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Zollkrieg im Digitalen: Was die EU gegen Donald Trump in der Hand hat
Donald Trump bricht mit seinem Zollpaket einen globalen Handelskrieg vom Zaun. Das betrifft auch den Tech-Sektor. Obwohl – oder weil – US-Konzerne diesen Bereich dominieren, hat die EU eine ganze Reihe an Handlungsoptionen.
Die Zeit der Drohungen ist vorbei, nun macht die Trump-Administration Ernst. Ab Samstag wollen die USA fast alle Einfuhren mit einem pauschalen Zollsatz von mindestens 10 Prozent belegen, Importe aus EU-Ländern mit gleich 20 Prozent. Selbst ohne Vergeltungsaktionen dürfte das die Weltwirtschaft in eine Krise stürzen, sagen Fachleute voraus. Indes ist es unwahrscheinlich, dass die EU tatenlos zusieht, sollte die europäische Wirtschaft ernsthaften Schaden nehmen.
Unvorbereitet trifft das die EU nicht. Am Dienstag machte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor dem EU-Parlament klar, die „Menschen in Europa und unseren Wohlstand“ schützen zu wollen: „Wir haben den größten Binnenmarkt der Welt. Wir haben die Stärke zu verhandeln. Wir haben die Kraft zurückzuschlagen.“ Sollte die präferierte Verhandlungslösung scheitern, könne die EU einen Gang hochschalten. „Alle Instrumente liegen auf dem Tisch“, sagte von der Leyen.
EU-Digitalgesetze im Visier
Hinter verschlossenen Türen diskutieren europäische Politiker:innen seit Monaten, wie sich der aggressiven Außen- und Handelspolitik der rechtsradikalen US-Administration am besten begegnen lässt. Dass es krachen wird, hatte sich abgezeichnet: Vor dem Hintergrund seiner Wahlkampfversprechen begannen US-Wirtschaftsbosse, Donald Trump noch vor seinem Amtsantritt zu hofieren.
Mit nationalistisch gefärbten Argumenten machen insbesondere Tech-Oligarchen wie Mark Zuckerberg, Jeff Bezos oder der Trump-Vertraute Elon Musk seither Stimmung gegen EU-Digitalgesetze. Besonders die noch jungen Anläufe der EU, mit dem Digital Services Act (DSA) und dem Digital Markets Act (DMA) mehr Fairness im Internet sowie auf digitalen Märkten zu schaffen, sind ihnen ein Dorn im Auge.
Das stößt bei der „America First“-Regierung auf offene Ohren. So werde er nicht zulassen, dass sich die EU an US-Unternehmen bereichern würde, versicherte Trump etwa dem Apple-Chef Tim Cook. Der schlägt sich mit für ihn lästigen DMA-Auflagen oder europäischen Kartellrechtsbehörden herum. Derweil knüpfte Vize-Präsident J.D. Vance den Weiterbestand der NATO an die Bedingung, dass der DSA und seine Regeln zur Inhaltemoderation nicht durchgesetzt werden. Der schmeckt nämlich Zuckerberg und Musk nicht. In diese Kerbe schlägt ein Memorandum aus dem Februar, in dem Trump verspricht, US-Unternehmen gegen „unfaire Strafen und Geldbußen im Ausland“ zu verteidigen.
Für Aufsehen sorgten deshalb Medienberichte von Anfang des Jahres, dass die EU-Kommission die Zügel lockern und die Gesetze nicht vollständig durchsetzen würde. Diese Darstellung bestreitet die Kommission energisch. Tatsächlich hat Brüssel jüngst bekräftigt, dass Apple und der Google-Mutterkonzern Alphabet den DMA nicht ausreichend umgesetzt haben und sich weiter öffnen müssen. Auch laufen Untersuchungen gegen unter anderem X, Meta oder auch Microsoft weiter, in wenigen Tagen sollen zudem neue Entscheidungen zum Gebaren von Meta und Apple folgen. Die von ihr getroffenen Entscheidungen müssten notfalls vor Gericht standhalten, begründet die Kommission die lange Dauer der „komplexen“ Verfahren.
Potenzial für Eskalation
Doch die Durchsetzung bestehender Gesetze wird kaum die vollständige Antwort auf den wirtschaftspolitischen Angriff seitens Trump sein. Im Köcher steckt etwa ein noch nie genutztes, seit 2023 bestehendes „Instrument zur Bekämpfung von Zwangsmaßnahmen“. Dieses war ursprünglich geschaffen worden, um einzelne EU-Länder, aber auch die EU als Ganzes, vor Druck aus dem EU-Ausland zu schützen. Abgezielt hat die Verordnung damals vor allem auf China, das sich auf Litauen eingeschossen hatte, könnte sich künftig aber gegen die USA richten.
Mit dem umfassenden Instrument lassen sich unter anderem beliebige Zölle einführen oder – ebenfalls ein kursierender Vorschlag – Unternehmen aus einem bestimmten Land von öffentlichen Beschaffungen ausschließen. Laut Angaben der EU-Kommission geben über 250.000 Behörden in der EU jährlich rund 2 Billionen Euro für den Kauf von Dienstleistungen, Arbeiten und Lieferungen aus, etwa 14 Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts. Nicht alles davon hat einen Digitalbezug. Gehen aber aus solchen Beschaffungen keine Aufträge mehr an US-Unternehmen, würde das US-Platzhirsche wie Microsoft oder Oracle, die in manchen Marktsegmenten derzeit kaum Konkurrenz fürchten müssen, dennoch empfindlich treffen. Passenderweise überarbeitet die Kommission derzeit die Vergaberegeln.
Neues Leben hat Trump zudem der Idee einer Digitalsteuer eingehaucht. Über diese hatte die EU jahrelang diskutiert, sich letztlich aber nie auf eine EU-weit geltende Regelung verständigen können, während vereinzelte nationale Anlaufversuche verpufften. Gebremst hatten vor allem Länder wie Irland, die ausländische Unternehmen mit niedrigen Steuern locken. Viele IT-Unternehmen, darunter Apple und Meta, haben sich deshalb auf der Insel angesiedelt.
Ungleichgewicht im digitalen Sektor
Insgesamt geht es um sehr viel Geld: Während die EU im Handel mit den USA unterm Strich einen Handelsüberschuss aufweist, sieht es im Digitalbereich ganz anders aus. Rund 110 Milliarden Euro fließen jährlich netto aus der EU in die USA, wo viele der dominanten IT-Konzerne sitzen – von denen viele nur sehr gering besteuert werden. Parteiübergreifend mehren sich nun die Rufe, die Debatte über eine Digitalsteuer wieder aufzugreifen. Neuerdings können sogar konservative Politiker:innen, etwa der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, David McAllister (CDU), dem Ansatz etwas abgewinnen.
Sand ins Getriebe könnte die EU-Kommission zudem damit streuen, indem sie den sogenannten Angemessenheitsbeschluss aufhebt, der die Rechtsgrundlage für den transatlantischen Datenverkehr bildet. Der Beschluss war zuletzt in Zweifel gezogen worden, weil Donald Trump ein entscheidendes Aufsichtsgremium handlungsunfähig gemacht hatte. Sollte dieser Zustand anhalten, bliebe der Kommission ohnehin kaum etwas anderes übrig, als zu wackligen Standardvertragsklauseln zurückzukehren.
Schmerzhafter Prozess
Ob sich die Trump-Regierung tatsächlich auf Verhandlungen einlässt, wie es die EU-Kommission hofft, bleibt vorerst offen. Sollte der Handelskrieg jedoch eskalieren, wonach es derzeit aussieht, wird das große Auswirkungen haben. So habe die protektionistische Zollpolitik das Potenzial, die US-amerikanische Tech-Industrie völlig auf den Kopf zu stellen, mutmaßen Expert:innen.
Schließlich müssen die Konzerne nicht nur damit rechnen, im Streit mit der EU in die Schusslinie zu geraten – viele davon müssen auch die Zölle verdauen, die Trump dem Rest der Welt und insbesondere China auferlegt hat. Zumindest an den Börsen hat der sogenannte „Befreiungstag“ zu dramatischen Kurseinbrüchen geführt, stark betroffen sind US-Tech-Unternehmen.
Die EU wiederum könnte die bislang eher diffusen Forderungen nach „Digitaler Souveränität“ endlich mit Leben füllen, ohne das Thema europäischen Rechtsextremen zu überlassen. So schmerzhaft der Prozess auch sein mag – davor drücken kann sich die EU seit spätestens dieser Woche nicht mehr.
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Author: Tomas Rudl