Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.
Xandr und die Netzwerke der Datenhändler: Alternativer Medienpreis 2024 für netzpolitik.org-Recherche
Wir freuen uns über eine Auszeichnung für unseren Kollegen Ingo Dachwitz. Er hatte 2023 aufgedeckt, wie umfangreich und invasiv die AdTech-Industrie alle Internetnutzer:innen überwacht und gemeinsam mit dem US-Medium The Markup die 650.000 Zielgruppenkategorien des Datenmarktplatzes Xandr analysiert.
Für Recherchen zu den gigantischen Datensammlungen der AdTech-Industrie und den Netzwerken der Datenhändler ist unser Kollege Ingo Dachwitz mit dem Alternativen Medienpreis 2024 in der Kategorie „Vernetzung“ ausgezeichnet worden.
Die Jury hob unter anderem die Alltagsrelevanz, die Detailtiefe und vielfältigen Aufbereitungsformate der Recherche aus dem Jahr 2023 hervor. Die Veröffentlichung wurde vom Verbraucherzentrale Bundesverband damals auch als „Snowden-Moment der Online-Werbebranche“ tituliert, weil sie erstmals schwarz auf weiß belegt hat, wie umfassend und invasiv die Erfassung durch die Tracking-Industrie ist – und wie gefährlich. Herzstück der Recherche war eine Tabelle mit mehr als 650.000 Zeilen: die Angebotsliste des Microsoft-Datenmarktplatzes Xandr mit den kleinteiligen Kategorien, in die die Werbeindustrie alle Menschen einsortiert.
Die Kategorien reichen von detaillierten soziodemographischen Informationen („Einkommen: 1000-2000 Euro“) über Geo-Informationen („war in den letzten zwei Wochen im Casino“) und Gesundheitsinformationen (Brustkrebs, Schlafprobleme, Essstörung, Spielsucht) bis zu psychosozialen Analysen („Moms who shop like crazy“). Viele Kategorien setzen bei den persönlichen Schwächen von Menschen an, um sie manipulierbar zu machen. Es können aber auch sicherheitsrelevante Gruppen wie Soldat:innen, Polizist:innen oder Richter:innen als Zielgruppen ausgewählt werden. Der Privatsphäre-Forscher Wolfie Christl hatte die Xandr-Datei aufgespürt und mit netzpolitik.org sowie dem US-Medium The Markup geteilt.
Mehrere Veröffentlichungen
Die Recherche umfasst mehrere Veröffentlichungen. Ausgezeichnet wurde Ingo Dachwitz für den Auftakt mit dem Titel „Das sind 650.000 Kategorien, in die uns die Online-Werbeindustrie einsortiert“. Weitere Artikel der Reihe umfassen eine Analyse zur Beteiligung deutscher Firmen am System der Datensammler, eine Anleitung für Datenauskunftanfragen bei Datenhandelsfirmen, einen Kommentar zum kaputten System der Online-Werbung, eine Liste mit den absurdesten Kategorien, einen englischsprachigen Beitrag zu europäischen Datenhändlern sowie eine EU-weite Analyse zu problematischen Segmenten.
Ingo Dachwitz und Sebastian Meineck haben außerdem in unserem Podcast Off The Record über die Recherche gesprochen und einen Vortrag Zum Thema auf dem 37. Chaos Communication Congress gehalten. Mehrere Datenschutzbehörden hatten nach der Veröffentlichung Prüfungen beteiligter Firmen eingeleitet.
Alternativer Medienpreis seit 25 Jahren
Der Alternative Medienpreis zeichnet seit 25 Jahren kritischen und nicht-kommerziellen Journalismus aus. Vergeben wird er von der Nürnberger Medienakademie e. V. und der ebenfalls gemeinnützigen Stiftung Journalistenakademie. 210 Bewerbungen waren bis Anmeldeschluss eingegangen, davon nominierte die Vorjury 36 Beiträge.
Die anderen Gewinnerbeiträge handeln von der Widerstandshandlung des Desertierens; vom Logistikriesen Kühne+Nagel, der sich seiner Nazi-Vergangenheit nicht stellen will; von der Belastung unserer Böden durch die industrielle Landwirtschaft und von einer Kreuzberger Jugendgang in den 1980er-Jahren und dem problematischen Konzept „Integration“. Die Preise sind jeweils mit 500 Euro dotiert.
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Author: netzpolitik.org