Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.
Seit bald einem Jahr ist das Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft. Es soll das vertrauliche Melden von Missständen garantieren. Doch die meisten Polizist:innen wissen nichts davon – und haben laut einer Studie immer noch Hemmungen dabei, gegen Verfehlungen ihrer Kolleg:innen vorzugehen.
Fast ein Drittel aller Polizeibediensteten haben schon einmal direkt oder indirekt Fehlverhalten von Kolleg:innen oder Vorgesetzten bemerkt, etwa Straftaten oder verfassungsfeindliche Äußerungen. Jedoch haben viele Angst davor, solche Missstände zu melden, wie aus einer aktuellen Studie der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hervorgeht. Glatte 74 Prozent der Befragten wurden zudem nicht darüber informiert, dass ihnen seit vergangenem Sommer ein rechtlicher Schutz zusteht und sie, zumindest auf dem Papier, keine Repressalien zu befürchten haben.
„Polizist:innen haben Angst, wenn sie Missstände melden – vor ihren Kolleg:innen, ihren Vorgesetzten und damit um ihre Karriere“, sagt die Juristin und Projektkoordinatorin Franziska Görlitz in einer Pressemitteilung und fordert dringende Nachbesserung. „Nur so kann Fehlverhalten in der Polizei aufgedeckt und in Zukunft vermieden werden“, sagt Görlitz.
Initiative gegen Missstände bei der Polizei
Die Studie ist Teil des von der Alfred Landecker Foundation geförderten GFF-Projekts „Mach Meldung“. Dieses will Polizeibedienstete dabei unterstützen, Missstände im Dienst zu melden – ob rechtsextreme Chats, Datenmissbrauch oder Sexismus am Arbeitsplatz. Eine zentrale Rolle spielt dabei das im vergangenen Jahr beschlossene Hinweisgeberschutzgesetz. Es soll die vertrauliche Meldung solcher Verstöße sicherstellen, außerdem verbietet es Repressalien jeglicher Art, ob Mobbing seitens Kolleg:innen oder versperrte Karriereleitern.
Doch gerade in eng gestrickten Zirkeln schrecken viele vor diesem Schritt zurück. „Die Angst vor negativen Konsequenzen stellt in einer geschlossenen Polizeikultur ein enormes Hindernis für Hinweisgeber*innen dar“, führt die Website des Projekts aus.
Eigentlich soll das Hinweisgeberschutzgesetz hierbei gegensteuern – nicht nur mit der Garantie von Vertraulichkeit oder der Möglichkeit, sich an eine externe Meldestelle zu wenden, wenn man der internen nicht vertraut. Vom Gesetz erfasste Arbeitgeber:innen, wozu die Polizei zählt, müssen dem Gesetz nach ihre Mitarbeiter:innen über ihre neuen Rechte informieren, was aber offenkundig fast flächendeckend unterblieben ist.
Abgeschottetes System
So steht denn auch die Angst vor negativen Reaktionen der Kolleg:innen mit 55 Prozent an erster Stelle, wenn es um Hemmungen beim Melden von Verstößen geht. Knapp die Hälfte der Befragten führen die Angst vor Konfrontationen mit den Kolleg:innen, die den Verstoß begangen haben, als Grund für eine Nichtmeldung an. Fast genauso viele (47 Prozent) begründen dies mit „Loyalität gegenüber Kolleginnen und Kollegen beziehungsweise der Institution Polizei“. Und 42 Prozent haben Angst vor negativen Konsequenzen für die weitere Laufbahn.
Zuletzt hatte die Ampelkoalition mit Uli Grötsch (SPD) erstmals einen Polizeibeauftragten ernannt, um das angeschlagene Vertrauen in die deutsche Polizei zu stärken. Parallel zum Hinweisgeberschutzgesetz, das auf eine EU-Richtlinie zurückgeht, soll er unter anderem als Anlaufstelle für Polizist:innen dienen, die Probleme am Arbeitsplatz beobachten. Allerdings ist er nur für Bundeseinrichtungen zuständig, etwa die Bundespolizei oder das Bundeskriminalamt.
Dabei dürfte einiges an Überzeugungsarbeit auf Grötsch zukommen. So stimmten laut der GFF-Studie zwar 72 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei damit steht und fällt, dass Beamt:innen Verfehlungen ihrer Kolleg:innen melden. Zugleich meinen aber 76 Prozent, dass es im Polizeidienst auf Sekunden ankomme und gelegentliches Fehlverhalten „viel zu oft aufgebauscht“ werde. Und 49 Prozent sagen, dass man im Team zusammenhalten müsse und sich Missstände besser intern regeln ließen.
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Author: Tomas Rudl