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Wegen 100 Jahre alter Schallplatten: Musikindustrie verklagt Internet Archive

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Nach Klagen von Buchverlagen nehmen nun auch Musiklabels das Internet Archive ins Visier. Der Vorwurf: massenhafter Verstoß gegen das Urheberrecht. Die millionenschweren Forderungen könnten dem gemeinnützigen Projekt beträchtlich schaden.
Im Archiv des „Great 78 Project“ finden sich derzeit rund 400.000 historische Aufnahmen. – Alle Rechte vorbehalten Screenshot: archive.org; Montage: netzpolitik.orgEs war keine entspannte Woche für das Internet Archive. Kaum hatte sich die gemeinnützige Organisation im Streit mit vier Großverlagen geeinigt, brach ein neuer Konflikt aus. Diesmal sind es mehrere große Plattenlabels, die dem Online-Archiv massive Verletzungen des Urheberrechts vorwerfen. Es geht um hunderte Millionen US-Dollar und potenziell um die Zukunft des Archivprojekts – und das wegen teils 100 Jahre alter Schallplatten.
Das Internet Archive ist seit den 1990er-Jahren vor allem für seine Wayback Machine bekannt, mit der sich ältere  Versionen von Websites aufrufen lassen. Inzwischen sammelt das in San Francisco sitzende Archiv auch Software, Videos oder Bücher und stellt die Daten weitgehend frei zugänglich zur Verfügung. Es versteht sich als aktivistisches Projekt mit der Mission, „universellen Zugang zu allem Wissen zu ermöglichen“.
Großverlage wollen Kontrolle über Verleih
Doch die Mission des Internet Archives wird immer wieder durch die juristischen Fehden ausgebremst. So verlor das Internet Archive bereits im Frühjahr ein Gerichtsverfahren, geklagt hatten die vier US-Verlage Hachette Book Group, HarperCollins, John Wiley & Sons und Penguin Random House aus der Bertelsmann-Gruppe. Ihnen war die „Nationale Notfall-Bibliothek“ ein Dorn im Auge, die das Archiv in der Coronapandemie gestartet hatte. Damit Menschen zumindest genug Lesestoff haben, verlieh das Internet Archive vorübergehend mehrere Exemplare eines digitalen Buches auf einmal, anstatt sich nur auf die Anzahl der Exemplare zu beschränken, die die Online-Bibliothek physisch erworben hatte.
Die Verlage hielten das für eine Verletzung des Urheberrechts, das Gericht schloss sich dieser Sicht an. Der nun erzielten Einigung zufolge darf das Internet Archive künftig keine Bücher der klagenden Verlage mehr ohne ausdrückliche Genehmigung verleihen. Hinzu kommt eine nicht öffentlich bekannte Geldsumme, sofern das Internet Archive das Berufungsverfahren verlieren sollte. Denn trotz der Einigung will Brewster Kahle, der Gründer des Projekts, in Berufung gehen: „Wir brauchen starke Bibliotheken“, heißt es auf dem Blog des Archivs.
Hundert Jahre alte Platten gerettet
Der nächste Streit kommt durch die frische Klage von Musiklabels. In diesem Fall hatte das Internet Archive alte Schellackplatten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts digitalisiert und zum freien Herunterladen bereitgestellt. Es gehe darum, dieses auf „obsoletem Format“ verewigte kulturelle Material für künftige Generationen zu retten, bewirbt das „Great 78 Project“ seine bewusst knisternde, digitale Plattensammlung. Zu den derzeit verfügbaren Alben aus der Frühzeit der Musikindustrie gehören neben Stücken von Stars wie Frank Sinatra auch traditionelle Lieder auf Jiddisch und Tschechisch.
Aus Sicht der Labels hat das Internet Archive damit ihre Rechte bei knapp 3.000 Musiktiteln verletzt. Zum Vergleich: Im Archiv sind derzeit mehr als 400.000 Aufnahmen. Um den erlittenen Schaden auszugleichen, seien bis zu 412 Millionen US-Dollar fällig, so die Kläger:innen, zu denen unter anderem die Universal Music Group und Sony Music Entertainment zählen. Alle beanstandeten Aufnahmen würden sich auf legalen Streaming-Angeboten finden, heißt es in der Klageschrift. Deshalb bestünde keine Gefahr, dass sie in Vergessenheit geraten oder zerstört würden, heißt es weiter.
Möglich gemacht hat die Klage eine US-Gesetzesänderung aus dem Jahr 2018. Mit dem „Music Modernization Act“ wurde die Laufzeit des urheberrechtlichen Schutzes für Aufnahmen teils verlängert, die vor 1972 aufgezeichnet wurden. Auf Ausnahmeregelungen wie „Fair Use“ könnte sich das Internet Archive nicht berufen, betont die Industrie. Insgesamt sei das „Great 78 Project“ nichts anderes als ein massenhafter Verstoß gegen das Urheberrecht ohne rechtliche Grundlage, so ein Vertreter des Branchenverbands „Recording Industry Association of America“.
Plattenarchiv vor allem für Forschung interessant
Von einer massenhaften Nutzung könne keine Rede sein, argumentiert dagegen das Internet Archive. Seit 2006 würden engagierte Mitarbeiter:innen aus Bibliotheken und Archiven hunderttausende Aufnahmen konservieren. Dabei würden auch analoge Artefakte wie Knistern und Rauschen aufgezeichnet. Dies sei bei den restaurierten Aufnahmen der Labels, die sich auf Streaming-Diensten finden, nicht der Fall.
„Wenn Menschen Musik hören wollen, gehen sie zu Spotify“, schreibt Kahle. Wenn Menschen aber Aufnahmen von Platten studieren wollten, die so klingen, wie sie ursprünglich erschaffen wurden, dann würden sie sich an Bibliotheken wie das Internet Archive wenden. Eigenen Angaben zufolge würde jede Aufnahme aus der Sammlung durchschnittlich einmal pro Monat von einer Forscher:in aufgerufen, so das Projekt über die Nutzungszahlen. Beide Formen der Nutzung seien notwendig, so Kahle: „Es sollte hier keinen Konflikt geben.“

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Author: Tomas Rudl

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