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Warum Rechtspopulisten Wählen zu MEHR Migration führt

Rechtspopulisten versprechen immer, hart gegen Migration vorzugehen. Wenn sie an der Macht sind, passiert oft das Gegenteil: Mehr Migranten kommen ins Land. Ein Faktencheck mit Zahlen aus mehreren Ländern.

Das hohle Migrations-Versprechen

Sie wollen Migration bekämpfen und die „Tore schließen“. Aber es klappt irgendwie nicht. Sobald rechtspopulistische Parteien an der Regierung sind, passiert immer wieder das Gegenteil: Mehr Migrant:innen kommen ins Land. Die Kluft zwischen Versprechen und Wirklichkeit ist so auffällig, dass Migrationsforscher schon einen Namen dafür haben: das illiberale Migrationspolitik-Paradox.

Auch in den letzten Jahren traf dieses Paradox auf mehrere große Länder mit rechten oder rechtspopulistischen Regierungen in Europa zu – das ist das Ergebnis unseres Faktenchecks mit Migrationsstatistiken bis zum Jahr 2022. Die Eurostat-Netto-Zuwanderungs-Zahlen sowie die Zahlen für Großbritannien sind die aktuellsten vergleichbaren Zahlen auf europäischer Ebene.

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Das Ergebnis: Rechte Regierungen in Großbritannien, Italien, Polen und anderen Ländern hatten eigentlich versprochen, Migration zu reduzieren. Das Gegenteil trat ein sobald sie an der Macht waren: Die Netto-Zuwanderung nahm zu. Die Versprechen verpufften.

Warum? Die meisten Länder in Westeuropa sind zunehmend auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen, weil die Bevölkerung immer älter wird – und das verschweigen Rechtspopulist:innen gern. Außerdem sind auch sie gezwungen, in der Regierung Kompromisse einzugehen, auf die Wirtschaft zu hören und sich an Gesetze halten. Ihre großen Versprechen lassen sich so oft gar nicht einlösen.

Rechte und linke Regierungen unterscheiden sich kaum bei Migrationspolitik

Migrationsforscher haben die Migrationspolitiken zahlreicher westlicher Länder in den letzten Jahrzehnten untersucht. Ihr Ergebnis: Langfristig gibt es keinen messbaren Zusammenhang zwischen dem politischen Lager (links oder rechts) und der “Strenge” in der Migrationspolitik.

Einmal an der Macht, sind beide gezwungen, migrationspolitische Entscheidungen entlang von „Sachzwängen“ zu treffen. Die Folge: Rechte Regierungen sind liberaler als man denkt, zum Beispiel bei der Öffnung für ausländische Arbeitskräfte. Und linke Regierungen verschärfen im Zweifelsfall genauso die Gesetze für Geflüchtete.

Beispiel 1: Großbritannien

In Großbritannien war bis jetzt eine konservative Partei an der Macht, die in den letzten Jahren viele Botschaften von Rechtspopulisten beim Thema Migration übernommen hatte. Das Versprechen, Migration zu begrenzen, hat wesentlich zum Erfolg der Brexit-Kampagne 2016 beigetragen.

Wunsch nach weniger Flüchtlingen

Asylbewerber machen indes nur einen geringen Teil der Netto-Migration aus (rund 11 Prozent oder 67.000, so Zahlen für 2023). Auf sie konzentrieren sich allerdings die meisten Migrationsdebatten. Vor allem die gestiegene Zahl von Menschen, die den Ärmelkanal per Boot überquerten (2022: 45.000), sorgte für große Verunsicherung. “Die Boote zu stoppen” war eines der Hauptversprechen der Torie-Regierung. Außerdem kündigte sie an, Geflüchtete für ein Asylverfahren nach Ruanda zu fliegen, stieß dabei aber auf rechtliche Probleme.

Rasanter Migration-Anstieg nach dem Brexit

Mit dem Brexit veränderte sich die Zuwanderung ins Vereinigte Königreich grundlegend. 2020 endete die Freizügigkeit für EU-Bürger. Ihre Zahl im Land ging deutlich zurück. Es gab aber insgesamt nicht den befürchteten Migrations-Rückgang und dramatische Folgen für die Wirtschaft. Stattdessen kam es zu einer massiv gestiegen Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten, vor allem aus der Ukraine und China.

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Dazu hatte die konservative Regierung die Migrationsregeln deutlich liberalisiert: Während es für EU-Bürger deutlich restriktiver wurde, ist es für den Rest der Welt einfacher geworden, nach Großbritannien zu gehen, unter anderem wegen geringer Lohn- und Qualifikationsanforderungen.

Seit die Tory-Regierung 2010 an die Regierung gekommen war, war es eigentlich ihr Ziel gewesen, die Netto-Zuwanderung auf unter 100.000 zu senken. Das wurde aber nie erreicht, auch nicht annähernd. Im Jahr 2019 gab man das Ziel unter Premier Boris Johnson auf. Die Migrationsreformen nach dem Brexit brachten dann eine neue Rekordzuwanderung: Im Jahr 2023 kamen rund 685.000 Personen neu hinzu und damit mehr als je zuvor, so aktuelle Zahlen.

Fazit: Die Migrationspolitik der konservativen Regierung ist stark geprägt von einem Abwehrdiskurs gegenüber einigen Zehntausend Geflüchteten, die pro Jahr über den Ärmelkanal ins Land kommen. Gleichzeitig hat sie – ohne viel öffentliche Debatte – die Grenzen geöffnet für hunderttausende Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten, zum Beispiel aus China oder der Ukraine.

Beispiel 2: Italien

In ihrem Wahlkampf versprach die derzeitige Regierungs-Chefin Giorgia Meloni, sie werde die „illegale Migration“ nach Italien unterbinden. Inzwischen hat sie sich in ihren Äußerungen zum Thema deutlich gemäßigt. Sie verschärfte die Regeln für Seenotrettung und arbeitet an einer „Drittstaaten-Lösung“ für Asylverfahren in Albanien. Ihr Versprechen konnte sie damit nicht erreichen. Die Zahlen der Geflüchteten, die über das Mittelmeer nach Italien kommen, schwankt massiv. In den Jahren 2022-2023 gab es einen starken Anstieg, aktuell geht sie stark zurück.

Selbst in ihrer eigenen Regierung ist man sich über die Maßnahmen nicht einig: Das „Drittstaaten-Modell“ wird von allen Regierungsparteien unterstützt. Uneinig ist man sich bei weiteren Asylreformen: Melonis Verbündete unterstützen die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Ihre Koalitionspartner:innen von der „Lega“ stimmte in Brüssel dagegen.

Mehr günstige Arbeitsmigranten

Sehr offen zeigt sich die Regierung hingegen bei der Regularisierung ursprünglich illegaler Migrant:innen als Arbeitskräfte. Allein für 2024 hat die Regierung mehr als 150.000 Aufenthaltserlaubnisse dafür geplant. Dabei fordert die Wirtschaft noch mehr: Innerhalb weniger Tage stellten italienische Arbeitgeber rund 690.000 Anträge für Arbeitskräfte – fast fünfmal mehr als per Gesetz vorgesehen.

Es handelt sich um eine riesige „Amnestie“ für Irreguläre, die der Wirtschaft günstige Arbeitskräfte verschafft. Nur: Reden tut die Regierung darüber nicht gern. Stattdessen gibt man sich „hart“ gegen über Flüchtlingen. Insgesamt steigt die Zahl der Migrant:innen nach Italien seit Jahren an.

Beispiel 3: Polen

Die letzten zehn Jahre prägte die rechtskonservative PiS-Partei die Migrationspolitik in Polen. Im Wahlkampf hetzte Parteichef Kaczyński immer wieder gegen Migrant:innen. Im Jahr 2015 behauptete er, sie würden „Krankheiten nach Polen bringen“. In großem Widerspruch dazu steht seine Migrationspolitik, die Polen vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland gemacht hat.

Harter Kurs gegen muslimische Geflüchtete

Bei Geflüchteten versucht das Land einen harten Kurs besonders gegenüber der EU und gegenüber muslimischen Geflüchteten zu verfolgen. Das hat zur Folge, dass nur sehr wenige Asylsuchende in Polen einen Asylantrag stellen, pro Jahr nur wenige Tausend. Anders ist das bei ukrainischen Geflüchteten.

Hier hat Polen in den letzten Jahren Hunderttausende Menschen aufgenommen: In Polen leben nach Deutschland die größte Zahl ukrainischer Kriegsflüchtlinge. Im April waren es rund 954.000 laut UN-Zahlen. Im Sommer 2022 waren es zeitweise 1,6 Millionen. Schon vor Februar 2022 lebten schätzungsweise bis zu 1,5 Millionen Ukrainer*innen in Polen.

Die meisten Arbeits-Visa in der EU

Die Zuwanderung von Ukrainer:innen begann schon lange vor dem Ukraine-Krieg: Viele Arbeitsmigranten aus Ukraine sind nach Polen gezogen, nachdem die polnische Regierung die Voraussetzungen für Arbeitsmigration aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion gelockert hat. 2014 brach dann Krieg in den östlichen Regionen des Landes aus. Die meisten, die vor 2022 kamen, waren Männer, sie hatten befristete Aufenthaltstitel sowie Arbeitsverträge im Niedriglohnsektor. Für sie wurde Polen zum Einwanderungsland. Seit etlichen Jahren hat Polen die meisten Arbeits-Visa in der EU vergeben (2021: 790.000).

Insgesamt kann man sagen, dass Polen es für nicht-europäische Geflüchtete stark erschwert hat, im Land Asyl zu beantragen. Für Geflüchtete aus der Ukraine und Arbeitskräfte aus Drittstaaten hat sie hingegen die Einreise deutlich erleichtert. Auch hier stieg die Nettomigration insgesamt an.

Gegenbeispiel: Ungarn

Ein Gegenbeispiel ist Ungarn, das seit Jahren eine sehr restriktive Flüchtlings- und Migrationspolitik verfolgt. Seit einem Höhepunkt von Asylanträgen 2015 verfolgt die Regierung Orbán eine Abschottungs-Politik mit dem Fokus auf Grenzschutz. Die Regierung hat so ihr Ziel weitestgehend erreicht, die Migration gering zu halten.

Die Folgen der Abschottung: Seit 2022 schrumpft die ungarische Bevölkerung (-47.000, 2022) und benötigte Arbeitskräfte fehlen. Ende letzten Jahres entschied sich deshalb sogar die rechte Autokratie in Ungarn dafür, in Zukunft mehr ausländische Arbeitskräfte anzuwerben.

Gründe für Kurswechsel an der Macht

Rechtspopulistische Parteien mäßigen sich oft, wenn sie in Regierungsverantwortung kommen. Das kann eine kommunikative Mäßigung sein, aber auch eine inhaltliche. Beim Thema Migration ist das in den genannten Beispielen besonders deutlich geworden. Die Forschung nennt für diese “Mäßigung” drei Hauptgründe:

  • Kompromisse mit Koalitionspartnern
  • Forderungen aus der Wirtschaft
  • Konflikte mit dem nationalen oder internationalen Rechtsrahmen

„Die Wahrnehmung, rechtspopulistische Parteien stünden für eine restriktivere Migrationspolitik, ist natürlich fester Bestandteil ihrer Kommunikationsstrategie”, sagt der Migrationsforscher Oliviero Angeli vom Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM). “Da werden Asylverschärfungen deutlich in den Mittelpunkt gerückt, während Vereinfachungen für hunderttausende Arbeitsmigranten kaum kommuniziert werden.” Der Grund sei, dass man bei rechten Wählern mit solchen Liberalisierungen nicht punkten könne.

Faktisch sind nahezu alle westeuropäischen Staaten immer mehr auf Zuwanderung von ausländischen Arbeitskräften angewiesen. Grund ist der demographische Wandel, wie eine aktuelle Prognose zeigt. Außerdem möchten die jungen Menschen im Land kaum noch harte und schlecht bezahlte Jobs annehmen. Deswegen fehlen nicht nur die häufig zitierten Fachkräfte, sondern auch viele im Niedriglohnbereich.

Niemand will die Person abschieben, die die eigene Großmutter pflegt

Diese strukturellen Veränderungen zeigen sich auch in den Ländern mit rechtspopulistischen Regierungen: Italien sei zum Beispiel stark auf Migration aus Asien angewiesen, so Experte Angeli, weil ältere Menschen eher zuhause gepflegt würden und Heime kaum bezahlbar seien. Dafür kämen viele Pflegekräfte aus Vietnam oder den Philippinen. “Und niemand will, dass die Person, die die eigene Großmutter pflegt, das Land verlassen muss.”

Regierungen unter Führung oder Beteiligung rechtspopulistischer Parteien unterscheiden sich in ihrer Migrationspolitik oft gar nicht so gravierend von konservativen oder auch sozialdemokratischen Regierungen, so Angeli weiter. Die Grundtendenz sei oft: irreguläre Migration erschweren, Arbeitsmigration erleichtern. Aber einen wichtigen Unterschied gebe es: “Für rechtspopulitische Regierungen ist Migration immer ein wichtiges Thema, für linke Regierungen meist nicht”, sagt Angeli.

Prekäre Bedingungen für Geflüchtete

Trotz dieser Ähnlichkeiten mache es für bestimmte Gruppen sehr wohl einen Unterschied, ob eine rechtspopulistische Partei an der Regierung sei, sagt Sabine Hess, Grenzforscherin von der Uni Göttingen. “Die Lebensumstände und die Rechte von Geflüchteten werden oft deutlich prekärer.” Häufig kämen sie zwar weiter ins Land, aber die Regierungen würden ihnen das Leben deutlich erschweren.

Migrationsfeindlichkeit wird “salonfähig”

Das Paradox sei ohnehin eher ein “neoliberales Paradox”, sagt Hess. “Benötigte Arbeitskräfte können kommen, für Geflüchtete will man die Grenzen schließen”. Auch in Deutschland sehe man diese Ambivalenz: “Es gibt ein massives Anziehen der Abschiebe-Rhetorik” und gleichzeitig versuche man für ausländische Arbeitskräfte attraktiv zu werden.

Die Abschiebe- und Grenzen-Rhetorik richte sich vor allem an einheimische Wähler. Geflüchtete würde das kaum abschrecken, sagt Hess, “aber es wirkt als Rechtsruck in die Gesellschaft hinein”, so Hess. Migrationsfeindliche Parolen würden wieder salonfähig. “Wohin das führt, haben wir zum Beispiel bei dem „Sylt-Video” gesehen.

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Fazit: Rechtspopulistische Parteien versuchen oft, Migration als Angst-Thema zu besetzen. Sie lenken damit von anderen wichtigen Themen ab wie etwa dem Abbau des Sozialstaats oder der Überalterung der Gesellschaft. Ein Migrations-Stopp als vermeintliche Lösung hilft da wenig. Einmal in der Regierung tun sie oft das Gegenteil ihrer Ankündigungen: Sie folgen den „Sachzwängen“ und lassen mehr Migration zu.

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Artikelbild: Roberto Monaldo/LaPresse via ZUMA Press/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

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