Es gibt Fakes, die kommen immer wieder. Und je öfter sie wiederholt werden, desto stärker sind sie bei Personen verankert, die für AfD-Propaganda & Co. anfällig sind. Lange haben wir dieses Thema nicht behandelt, jetzt konnten wir bei der Fülle an Desinformation nicht mehr anders. Und wie immer bei Aufreger-Schlagzeilen wie diesen lassen die Fake-News der AfD nicht lange auf sich warten. Doch der Mythos zu den “Radwegen in Peru” geht viel länger zurück – genauer gesagt auf November 2023. Bis heute werden Fakes darüber geteilt. Warum jedoch genau diese Radwege in Peru nichts mit den Infrastrukturproblemen in Deutschland zu tun haben und warum dieser Fake eines der Beispiele ist, mit denen die AfD nur davon ablenken will, dass sie keine eigenen Themen hat, erfährst du in diesem Artikel.
Die Fakten über Radwege in Peru
Deutschland leiht verschiedenen Ländern Geld für Infrastrukturprojekte und andere Projekte der Entwicklungszusammenarbeit. Manchmal setzen sich die Gelder dafür aus Zuschüssen und rückzahlbaren Krediten zusammen, wie bei dem Projekt in Peru. Es handelt sich um Geld, das nur einen winzigen Bruchteil unseres Haushalts ausmacht, und bei den Krediten muss die geliehene Summe zurückgezahlt werden. Gefördert werden Projekte, die zur Entwicklung der Länder beitragen, dem Klima gut tun – und die von China finanziert werden, wenn wir es nicht tun, was uns weltweit Einfluss kosten könnte. Die AfD & Co. nutzen seit einiger Zeit jene “Radwege in Peru” als Fake, um so zu tun, als würde Deutschland Geld ins Ausland verschenken, anstatt die Infrastruktur bei uns zu finanzieren. Dass sie damit sogar grüne Forderungen übernehmen, anstatt grüne Politik zu kritisieren, merken sie nicht mal. Was genau fördert aber die Regierung in Peru?
Das Radwege-Projekt eines der vielen laufenden Projekte des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ). Es ist Teil des Projekts “Nachhaltige Mobilität in Lima”, der Hauptstadt des südamerikanischen Landes. Peru möchte aufgrund von Verkehrs– und Umweltproblemen in seiner Hauptstadt den öffentlichen Nahverkehr in großem Stil ausbauen. Dazu gehören übrigens nicht nur Radwege, sondern zum Beispiel auch der Ausbau von Metrolinien in Lima. Das ist dringend nötig, denn Luftverschmutzung und Staus stehen auf der Tagesordnung in der Metropolregion. Das Radwege-Projekt ist dabei nur ein Teil des ÖPNV-Ausbaus, wie du auf dieser Karte sehen kannst. Die Radwege, die in Lima mithilfe deutscher Zuschüsse gebaut werden, sind hier grün gestrichelt. Die geplanten Metrolinien sind gelb gestrichelt.
Radwege als “letzte Meile”
Zur Metro in Lima muss man jedoch erst mal hinkommen – auch Universitäten, Schulen und andere Einrichtungen müssen an die Metrolinien angebunden werden. Hier kommen die Radwege ins Spiel. Sie sind ein umweltfreundliches Angebot, um auch ärmeren Menschen eine kostengünstige Anbindung an den ÖPNV zu ermöglichen. Das BMZ schreibt:
“Deutschland bezuschusst mit 20 Millionen Euro Radwege in Lima, die auch Zubringer zur Metrolinie 2 sind. Darüber hinaus hat Deutschland im Jahr 2022 weitere 24 Millionen Euro zugesagt, um den Ausbau von Radwegen in weiteren Städten Perus zu unterstützen, wo diese in einem integrierten Verkehrssystem ihrerseits als Zubringer zum Beispiel zu Schnellbusstationen dienen.
Umsetzungsstand: Mit deutscher Unterstützung sollen 114 Kilometer Radwege in Lima gebaut werden. Von diesen sind, nach der üblichen Planungsphase am Anfang eines Vorhabens, die ersten acht Kilometer gebaut. Die Stadt Lima leistet einen Eigenbeitrag von 2,2 Millionen Euro. Die Stadtverwaltung Lima erhält von der KfW nicht die ganze Summe auf einmal, sondern in Tranchen, je nach Baufortschritt.”
Nur ein Bruchteil des Bundeshaushalts und des Bruttonationaleinkommens
Fassen wir zusammen: Insgesamt 44 Millionen Zuschuss gehen vom BMZ nach Peru für Radwege, weitere 155 Millionen sind rückzahlbare Darlehen für ein Schnellbussystem. Insgesamt 11,22 Milliarden Euro stehen dem BMZ 2024 zur Verfügung – 44 Millionen sind nur ein kleiner Bruchteil davon. Erst recht im Vergleich zum ganzen Bundeshaushalt. Was dem BMZ im Haushaltsjahr 2024 zur Verfügung steht, entsprechen 2,35 Prozent des gesamten Bundeshaushalts. Wenn du wissen willst, wie sich die Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit genau zusammensetzen, dann hat das der BR-Faktenfuchs hier genauer analysiert.
Als Anteil des Bruttonationaleinkommens gerechnet, gibt Deutschland circa einen Anteil von 0,7 Prozent für sogenannte öffentlichen Entwicklungsleistungen aus. Das Bruttonationaleinkommen “erfasst alle Einkommen der Inländer und gebietsansässigen Wirtschaftseinheiten, ganz unabhängig davon, ob dieses Einkommen im Inland erzielt wurde oder aus dem Ausland zufließt. Dies ist der hauptsächliche Unterschied zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), für das der Ort der Güterherstellung und somit das Inlandsprinzip maßgeblich ist”, wie das Statistische Bundesamt schreibt.
Entwicklungszusammenarbeit auch mit Vorteilen für Deutschland
Obwohl Entwicklungszusammenarbeit primär dafür gedacht ist, Projekte im Zielland des Geldes zu fördern, bietet sie auch Vorteile für Deutschland. Denn wie oben gesagt, sind auch zahlreiche deutsche Firmen an dem Metroausbau-Projekt als Unterauftragnehmer und Lieferanten beteiligt. Es werden also auch Arbeitsplätze in Deutschland gesichert. Der Präsident des Außenhandelsverbands BGA, Dirk Jandura, sagte dem RND, dass Deutschland Wirtschaft weltweit in einem Wettbewerb um Märkte, Rohstoffe und strategische Partnerschaften stehe, „dabei spielt die Entwicklungszusammenarbeit eine wichtige Rolle“.
Warum Entwicklungszusammenarbeit strategisch wichtig ist
Ist ja auch logisch: Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, alle Länder dieser Welt würden in der Entwicklungszusammenarbeit auf Deutschland warten. Das wäre sehr eurozentristisch und gleichzeitig naiv. Denn in den letzten Jahrzehnten haben sich neue global players im weltweiten Wirtschaftswettbewerb hervorgetan, unter anderem China. Das Land gewinnt unter anderem in Südamerika zunehmend an Einfluss. Erst kürzlich ist genau in Peru der erste von China kontrollierte Hafen Südamerikas eröffnet worden. Mit seiner Investitionsoffensive “Neue Seidenstraße” will China seinen weltweiten Einfluss stärken. Also: Wenn wir nicht Peru Kredite und Zuschüsse gewähren, wird es China machen. Und dann verlieren wir im schlimmsten Fall unseren Einfluss und unsere guten Beziehungen in Lateinamerika an das autokratische Land.
Halten wir fest: Die Zuschüsse für Radwege in Peru sind aus guten Gründen gezahlt worden, sie helfen Peru und Deutschland, nicht nur in Sachen Klimaschutz, und sie machen nur einen kleinen Teil des Haushalts sowie des Bruttonationaleinkommens aus. Wenn wir es nicht tun würden, dann zahlt China und wir verlieren schlimmstenfalls Aufträge für deutsche Unternehmen und andere Möglichkeiten der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Trotzdem haben sich genau über diese “Radwege in Peru” unzählige Menschen auf Social Media echauffiert, angeheizt von AfD-Lügen. Doch genau indem die AfD bemängelt, Deutschland würde zu wenig Geld in seine eigene Infrastruktur stecken, übernimmt sie damit eine der Hauptforderungen grüner Wirtschaftspolitik: nämlich den Ausbau der deutschen Infrastruktur. Sie gibt also indirekt den Grünen, ihrem politischen Gegner, recht!
Wie “Radwege in Peru” zum AfD-Dogwhistle geworden sind
Wir zeigen dir gleich fünf Fakes, in denen die “Radwege in Peru” aufgegriffen wurden. Seitdem die AfD falsche Zahlen dazu in die Welt gesetzt hat, ist das Schlagwort “Radwege in Peru” zum Dogwhistle der AfD und anderen Gruppen geworden. Es gibt unzählige Kommentare über die “Radwege” auf Social Media. Doch was ist ein Dogwhistle, oder “Hundepfeife”, eigentlich?
Diese manipulative Kommunikationsstrategie wird von Medienwissenschaftlern so beschrieben: “Ich sage etwas, dessen volle Bedeutung nur von einer ganz bestimmten Gruppe von Menschen richtig verstanden wird, während der Rest naiv und fälschlich glaubt, ich sage etwas viel Harmloseres als das, was ich eigentlich meine.”
Wenn jemand also “Radwege in Peru” hört und noch nie mit der Behauptung, Deutschland würde zu viel Geld für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben, konfrontiert wurde, denkt die Person an etwas ganz anderes, als eigentlich gemeint ist, an Urlaub etwa. Nur diejenigen, die wie eben bei einer “Hundepfeife” das entsprechende Gehör haben, werden den Kontext verstehen. Im Laufe des Jahres konnten wir beobachten, dass eben die “Radwege in Peru” dieses “Eigenleben” angenommen haben – das Schlagwort wird ganz flexibel in verschiedenen Kontexten verwendet. Meistens mit dem Ziel, die Bürger:innen davon zu überzeugen, wir würden zu viel Geld in die Welt hinausschmeißen und mit einer Forderung, die wohl am besten mit “Germany first” zu beschreiben ist.
Eine Chronik der “Radwege in Peru” – Fakes: 5 Beispiele
Doch welche Fakes genau werden über “Radwege in Peru” verbreitet? Nun, die Propaganda der AfD wäre keine Propaganda, wenn sie nicht massiv die Tatsachen verdrehen würde. Vielleicht erinnerst du dich: Die Carolabrücke in Dresden ist im September in Teilen eingestürzt. Von den Rechtsextremen kamen gleich hämische Kommentare à la: Geld für die Radwege in Peru habe man, aber nicht für die eigenen Brücken. Das ist doppelt perfide. Denn das eine hat nichts mit dem anderen zu tun – und indem die AfD mehr Investitionen in unsere Infrastruktur fordert, übernimmt sie damit grüne Wirtschaftspolitik, obwohl doch genau die Grünen bei der AfD so verhasst sind. Die AfD stellt hier alles auf den Kopf. Es ist aber wie immer bei der AfD nicht das einzige, wo die Rechtsextremen uns täuschen wollen. Von Anfang an hat sie gelogen.
Schauen wir auf eine Chronik der Fakes zum Thema.
1) Falsche Zahl in die Welt gesetzt von AfD-Politiker
Angefangen hat alles mit einer falschen Zahl. Bei einer Sitzung des Haushaltsausschusses im Bundestag im November 2023 verbreitete der AfD-Politiker Michael Espendiller den Fake, es würden 315 Millionen Euro für Radwege und Busse in Peru ausgegeben (siehe Protokoll S. 22). Wie wir oben gesehen haben: selbst wenn wir die Zuschüsse und die Entwicklungskredite zusammenrechnen, kommen wir nur auf 199 Millionen. Und davon sind ja 155 Millionen Zahlungen in Form von Krediten, die zurückgezahlt werden. Bleiben also 44 Millionen, die Zuschüsse sind, also nicht zurückgezahlt werden. Der AfD-Politiker hat die richtige Zahl einfach mehr als versiebenfacht.
Seitdem wird die falsche Zahl immer wieder aufgegriffen und auf Social Media verbreitet. Aber auch seriöse Medien griffen den Fake auf, ohne die Zahl zu factchecken. So zitierte damals der Focus AfD-Politiker Espendiller.
2) Nach Rede von Ex-AfD-Politikerin: Summe ist im Umlauf
Einen Tag nach der Sitzung des Ausschusses postete die Bundestagsabgeordnete Joana Cotar die 315 Millionen auf Twitter. Sie ist seit 2021 fraktionslos, zuvor war sie Teil der AfD-Fraktion. Auch in einer Rede im Bundestag am 1. Dezember wiederholte sie die falsche Zahl.
Du siehst: Es kann sehr schnell gehen, dass ein Fake, basierend auf einer falschen Zahl, die unhinterfragt verbreitet wird, von allen Seiten aufgegriffen wird und das öffentliche Narrativ dominiert.
3) CSU spottet über CSU-Politik
Es dauerte dann auch nicht lange, bis nicht nur die AfD den Fake weiter verbreitete und dazu beitrug, dass die “Radwege in Peru” bis heute als Sündenbock für eine Vielzahl von Deutschlands Problemen behandelt werden. Auch Parteien, die dieses Projekt selbst beschlossen haben, nutzten das für rechtspopulistische Profilierung.
Während der Bauernproteste erfuhr der Fake wieder Hochkonjunktur und auch die CSU griff ihn auf. Fun Fact: Ausgerechnet der Ex-Entwicklungsminister Gerd Müller von der CSU brachte das Projekt mit den Radwegen erst auf den Weg! Du erinnerst dich: Die ersten 20 Millionen des Zuschusses wurden ja schon 2020 bewilligt. Damals war Müller noch der Chef des Entwicklungsministeriums. 2022 kamen dann unter der Ampel-Regierung die weiteren 24 Millionen on top.
Auch die CSU-Schwesterpartei CDU schreibt in ihrem neuen Grundsatzprogramm (S. 24): “Erfolgreiche Entwicklungspartnerschaften sind in unserem eigenen Interesse, etwa wenn es um Friedenssicherung und Konfliktlösungen, um die Verringerung von Fluchtursachen oder den globalen Klima- und Gesundheitsschutz geht.”
Doch ausgerechnet der CSU-Generalsekretär Martin Huber echauffierte sich über diverse Projekte der Entwicklungszusammenarbeit, ohne anzuerkennen, dass alle in diesem Post genannten unter der Amtszeit seines Parteikollegen Gerd Müller (CSU) begonnen wurden (Grüne Kühlschränke in Kolumbien von 2019 bis 2022, Klimafreundliche ÖPNV-Systeme in Lateinamerika Beginn 2017, gendersensitive Dorfentwicklung in Nord-West-Bangladesch, Fortführung von 2020-2023, bäuerliche Kultur in China 2020-2024). Und wie oben schon erwähnt, der erste Zuschuss zu den Radwegen in Peru in 2020.
Doch auch Hubert Aiwanger griff die “Radwege” auf und schrieb während der Bauernproteste, dass mit den Geldern für die “Radwege in Peru” die Bauern in Deutschland hätten “befriedet werden können”. Dabei hätte er doch bei der CSU, in deren bayerischen Landeskabinett er als Staatsminister für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie sitzt, kurz nachfragen können, warum die Gelder für die “Radwege in Peru” bewilligt wurden.
4) Hochwasser: Zitat frei erfunden
Auch während der Hochwasserkatastrophen dieses Jahr wurden wie immer den Grünen Worte in den Mund gelegt, die sie nicht gesagt haben. Diesen Fake hier widerlegten bereits unsere Kolleg:innen von Correctiv. Der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt wurde ein Zitat nachgesagt, das aber frei erfunden war.
Correctiv schreibt dazu: “Das Profil auf X, welches das Zitat vermutlich erstmals veröffentlichte, bezeichnet sich in seiner Biografie als Satire-Account. Doch die vermeintliche Satire wird in den Kommentaren nicht als solche erkannt.”
5) Fake Bilder: nicht aus Peru
Auch Fake Bilder fehlen beim “Radwege in Peru”-Mythos nicht. So wie bei diesem Facebook-Post:
Eine einfache Bilder-Rückwärtssuche führt zu diesem Beitrag hier von 2018:
Bei der Plattform “Pikabu” handelt es sich um eine russische Social News Webseite, ähnlich wie Reddit. Die Übersetzung des Textes lautet:
“In der Stadt Rezhe im Oblast Swerdlowsk wurde ein Bürgersteig angelegt. Perfekt für meine langen Morgenläufe.”
Es handelt sich hier offensichtlich um einen satirischen Beitrag. Gut möglich ist, dass der Facebook-Beitrag dieses Bild wiederverwendete. Es kursierte jedoch bereits im Internet, bevor das Peru-Radwege Projekt startete. Auch ein Blick auf Details lohnt sich: Weder Flora noch die abgelegen wirkende Örtlichkeit passt zu Lima – einer Millionenmetropole.
Fazit: “Radwege in Peru” als Ablenkung – AfD hat keine eigenen Themen
Anhand dieser fünf selektiven Beispiele siehst du, dass das Schlagwort “Radwege in Peru” bereits so ein krasses Eigenleben im öffentlichen Diskurs in Deutschland angenommen hat, dass es immer und immer wieder auf Social Media trendet und der Fake weiterverbreitet wird. Es wird immer wieder als “Aufreger” verwendet. Manche Wähler:innen der AfD, die tatsächlich auf bessere Investitionen hoffen, lassen sich davon täuschen. Ironischerweise sind es aber eher die demokratischen Parteien, die solche Investitionen wollen. Immerhin sind Infrastrukturinvestitionen zum Beispiel eine der Hauptforderungen grüner Wirtschaftspolitik. Für die AfD sind sie nur ein Feigenblatt für ihren Hass. Mit all den Lügen, falschen Zahlen und der Pöbelei rund um die “Radwege in Peru” lenkt die AfD nur davon ab, dass sie keine eigenen Themen auf der Agenda hat und weiter unsere Gesellschaft spalten möchte. Tun wir ihr den Gefallen nicht.
Artikelbild: canva.com/Screenshot Twitter