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Update Gaza-Krankenhaus: Wo auch Faktenchecker falsch lagen

Der Parkplatz neben dem Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza-Stadt wurde kürzlich von einer Explosion getroffen. Nach Auswertung der Faktenlage scheint es sich nicht um einen gezielten Luftangriff gehandelt haben, entgegen der ersten Behauptungen durch Hamas. Die falschen Erstmeldungen sorgten für einen Sturm der Empörung und waren Anlass für enorm viel Hass und Antisemitismus. Umso wichtiger ist es, gesicherte Informationen abzuwarten. Unmittelbar danach veröffentlichten wir bereits einen Faktencheck und riefen zu Besonnenheit auf, und nicht sofort allen Meldungen zu glauben, nur weil sie das eigene Feindbild bestätigen.

In den letzten Tagen sind einige neue Informationen zutage getreten, die wir in diesem Artikel zusammenfassen. Es ist immer extrem wichtig, seine Weltbild an die Faktenlage anzupassen und nicht umgekehrt. Besonders, wenn man (voreilige) Schlüsse für sein politisches Handeln daraus zieht. Das tun wir hier, weil auch in einem Punkt unserer jüngsten Einschätzung daneben lagen. Der Vorfall zeigt auch noch mal, wie wichtig es ist, abzuwarten, da auch Tage später noch neue Informationen zum Vorschein kommen. 

Es spricht weiter viel für eine Hamas Rakete

Zu Anfang: Es sieht immer noch so aus, dass eine Hamas-Rakete wahrscheinlicher ist als ein israelischer Luftschlag. So sieht die Evidenz aktuell aus:

Der Einschlagkrater im Parkplatz des Krankenhauses ist sehr klein. Er ist nicht kompatibel mit der Munition, die Israel normalerweise nutzt, um Ziele im Gaza-Streifen zu bombardieren. Stattdessen sagen Waffenexperten, es ist kompatibel mit einer Hamas-Rakete. Die umliegenden Gebäude sind kaum beschädigt. Gegenüber Channel 4 sagte Islamic Dschihad, eine mit der Hamas verbündete Terrorgruppe, dass sie ein Fragment der Munition hätten. Die Hamas behauptet jetzt im Widerspruch dazu, dass es keine Überbleibsel der Munition gibt. Das ist aber sehr unwahrscheinlich und wirkt daher verdächtig, da die Hamas damit ja einfach eine israelische Beteiligung beweisen könnte.

Etwa 20-30 Sekunden vor der Explosion startete im Gazastreifen etwa 4-5 Kilometer hinter dem Krankenhaus ein für Israel bestimmter Raketenbeschuss. Es ist plausibel, dass eine dieser Raketen kurz nach dem Start einen Ausfall ihres Motors hatte und danach mit dem Rest-Momentum in einer parabolischen Kurve in das Krankenhaus geflogen ist. Bei einem Motor-Ausfall wäre auch noch genug Treibstoff in der Rakete, um eine größere Explosion zu verursachen. Zeitlich kommt das gut hin. Man unterschätzt gern die Zeit, die solche Projektile in der Luft verbringen, aber Physik lügt nicht. Es kommt öfter vor, dass solche Raketen regelmäßig fehlschlagen und dann in Gaza abstürzen. Während die Zivilist*innen in Israel mit dem Iron Dome geschützt werden, sind solche Abstürze für die Menschen in Gaza sehr oft tödlich, der Hamas ist das egal.

Analyse des Kraters

Auch der Krater im Parkplatz ist mit dieser Richtung grundsätzlich kompatibel. Leider sind Krateranalysen nicht 100 % sicher, und grundsätzlich können sie bei unbekannten Projektilen vor allem Aussagen über die „Achse“ des Einschlags sagen, aber nicht ob von Süd-Westen (Hamas-Abschussort) oder Nord-Osten (Israel). Gerade bei Projektilen mit steilen Einfallswinkeln (wie Raketen im freien Fall) wird es kompliziert. Nord-Osten (also Israel) gibt Analyse von Forensic Architecture als Ursprung an, stützt sich dabei allerdings auch auf Audioanalysen, die wir gleich noch widerlegen. Es wäre allerdings schon ein ziemlicher Zufall, wenn genau zum Zeitpunkt des Raketenstarts aus dem Süden ein einzelnes Projektil aus Israel (also dem Nord-Osten!) mit exakt dem entgegengesetzten Winkel startete. Der Einschlagwinkel spricht also ebenfalls eher für die Theorie der Hamas-Rakete. 

Eine weitere Möglichkeit wäre ein Luftschlag mit ungewöhnlicher Munition durch die israelische Luftwaffe. Diese war ebenfalls Minuten vorher aktiv

Fakt ist außerdem, dass die Hamas-Behörden über das Ausmaß Falschinformationen verbreitet haben. Das Krankenhaus entgegen erster Berichte wurde nicht direkt getroffen und auch nicht zerstört, sondern der Parkplatz davor. Videos direkt nach dem Raketeneinschlag zeigen dutzende Tote, aber auf keinen Fall 500, wie die Hamas behauptet hatte. Die USA sprechen von 100 bis 300 Toten, ein EU-Geheimdienst von 50 Toten.

In der Abwägung spricht weiterhin deutlich mehr für eine fehlgeschlagene Rakete aus Gaza. 

Falscher Beweis: Die Explosion in der Luft

Viele OSINT-Experten, Medien und auch das IDF nutzten ein Video einer Rakete, die in der Luft explodiert, um die „fehlgeschlagene Rakete“ Theorie zu illustrieren. Auch wir vertrauten auf die Expertise von @geoconfirmed, um unsere Artikel damit anzureichern. Wir gingen davon aus, dass Geoconfirmed die Explosion in der Luft tatsächlich lokalisiert hatte. Das war aber offenbar nicht der Fall und wir lernen daraus.

Es fällt auf, dass die Explosion in der Luft viel zu weit vom Krankenhaus entfernt war. Sie ereignete sich vermutlich in mehreren Kilometern Höhe, ein freier Fall aus dieser Höhe würde deutlich länger als die 7 Sekunden dauern, die zwischen Explosion in der Luft und Explosion am Boden vergingen.

Dazu kommt, dass durch die drei Kameras der Explosionsort der Rakete in der Luft lokalisiert werden konnte. Die Explosion ereignete sich demnach knapp an der Grenze des Gazastreifens „nach“ dem Krankenhaus, kann auch aus diesem Grund wenig mit dem Krankenhaus zu tun haben. Direkt neben dem Explosionsort befindet sich ein Iron-Dome Abschusssystem. Es ist daher plausibel anzunehmen, dass damit eine der Raketen aus dem zuvor erwähnten Raketenhagel aus dem Gaza-Streifen abgefangen wurde. Die Rakete auf dem Video ist also gar keine Hamas Rakete, sondern zeigt den Start des Iron Dome Interceptors. Das erklärt auch, warum die Rakete in der Luft die Richtung ändert, was Hamas-Raketen normalerweise nicht tun.

Geoconfirmed veröffentlichte einen Thread, um das richtigzustellen. 

Falscher Beweis: Dopplereffekt

Eine Analyse von der NGO earshot, die in die Analyse von Forensic Architecture einfließt, gibt vor, den Dopplereffekt zu nutzen, um den Ursprung der Rakete zu berechnen. Den Dopplereffekt kennt man am ehesten von einem vorbeifahrenden Krankenwagen:

YouTube player

Die Sirene klingt erst recht hoch, wenn das Auto auf einen zufährt und der Ton wird tiefer, wenn das Auto wegfährt. Wichtig: In dem Moment, in dem das Auto vorbeifährt, gibt es keinen Dopplereffekt mehr. Dann hört man für einen kurzen Moment den Ton so, wie er tatsächlich klingt.

Auf den ersten Blick klingt es plausibel, dass man damit die Richtung der Rakete ungefähr bestimmen könnte. Aber die Sache ist komplizierter, als man denkt. Earshot macht erstmal einen schweren physikalischen Fehler bei der Analyse dieser Grafik: 

Die eingezeichneten Pfeile sind physikalisch falsch. Die höchste Frequenz gibt es NICHT dann, wenn die Rakete am nächsten bei der Kamera ist. Die höchste Frequenz gibt es, wenn das Auto / die Rakete möglichst direkt auf einen zukommt! Im Gegensatz zur Earshot Analyse ist der „Punkt der größten Annäherung“ eigentlich ein Punkt mit sehr niedriger Frequenz, um genau zu sein, niedriger als zu jedem anderen Zeitpunkt davor. 

Was die Grafik von Earshot eigentlich zeigt:

Vermutlich ist der Punkt der größten Annäherung der Einschlag der Rakete. Da die Rakete 150 m vor der Kamera einschlägt, könnte sie auch von vorne oder von jeder Seite in einer parabolischen Kurve kommen. Im 3D-Raum ist es eben nochmal schwerer, die genaue Richtung nachzuweisen. 

Die zweite Grafik ist noch ungenauer. Earshot behauptet zwar, dass der Pitch ansteigt, und das tut er auch zunächst, aber kurz vor Impact ist er wieder etwas niedriger: 

Die Grafik ist auch extrem unübersichtlich, einfach weil die Kamera 1500 Meter vom Einschlag entfernt ist. Es ist nicht auszuschließen, dass man mit dem Dopplereffekt die Flugbahn von Raketen berechnen kann. Allerdings braucht es dafür qualitativ hochwertige Aufnahmen, und zwar wegen 3D-Bewegung am besten mehrere. Außerdem wäre ein grundlegendes Verständnis des Dopplereffekts nicht verkehrt. So ist die Analyse leider nicht zu gebrauchen.

Fazit

Praktisch alle OSINT-Analysen nach der Explosion im Krankenhausparkplatz hatten Fehler. Israels Streitkräfte haben falsche Videos geteilt, die Hamas beim Schaden übertrieben. Auch westlichen Geheimdienste lagen wohl falsch in mancher Hinsicht. Was würde helfen? Mehr Journalisten und Aktivisten mit OSINT-Expertise, die unabhängig voneinander die Evidenz überprüfen. Dennoch ist der aktuelle Stand der Dinge folgender: Es sieht immer noch so aus, dass eine Hamas-Rakete wahrscheinlicher ist als ein israelischer Luftschlag.

Es ist wichtig, dass es einfach etwas braucht, bis verlässliche Informationen vorliegen. Bedauerlicherweise gab es massiven Druck durch die Gewaltandrohungen von Hamas-Sympathisanten gegen jüdische Einrichtungen, und viele Analysen enthielten Fehler, so auch unsere. Besser wäre es, wenn alle Beteiligten etwas kühleren Kopf bewahren und den Analysen Zeit lassen, bevor man sich die Köpfe einschlägt für Dinge, von denen gar nicht klar ist, wer es war.

Artikelbild: Screenshot twitter.com

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