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Überwachung mit Pegasus: In Polen und Ungarn bröckelt die Mauer des Schweigens

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Stück für Stück kommen neue Details der Überwachung mit der Spähsoftware Pegasus in Polen und Ungarn ans Licht. Selbst der PiS-nahe polnische Präsident soll ins Visier geraten sein. Derweil sorgt in Ungarn ein Begnadigungsskandal für ein politisches Beben – mit unerwarteten Kollateralschäden.

Andrzej Duda und Donald Tusk (rechts im Bild)
Polens Präsident Andrzej Duda mit dem neuen Premier Donald Tusk auf einem Archivbild von Januar. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / newspix

Sie hatten gemauert, wie sie nur konnten, aber der Pegasus-Überwachungsskandal lässt sie nicht los: Sowohl in Polen als auch in Ungarn waren regierungskritische Journalist:innen und Oppositionelle mit der Spähsoftware überwacht worden, doch spürbare Konsequenzen blieben bislang aus. Das dürfte sich nun ändern – schon allein, weil in Polen jüngst die langjährige Regierungspartei PiS abgewählt wurde und die neue Regierung Licht ins Dunkel bringen will.

Die erste Bombe zündete letzte Woche. So zirkuliert in der PiS-Partei derzeit eine Überwachungsliste mit rund einem Dutzend Namen, berichtete das Online-Medium Gazeta.pl. Darauf stehen prominente PiS-Politiker, unter anderem ein ehemaliger Landwirtschaftsminister oder ein Ex-Parlamentspräsident. Sogar Ex-Premier Mateusz Morawiecki soll dabei ins Visier geraten sein, fand Anfang dieser Woche der Radiosender RMF FM heraus.

Ob die Betroffenen tatsächlich mit Pegasus überwacht wurden, bleibt vorerst offen. Forensische Analysen wurden noch nicht vorgenommen. Aber allein die Existenz der Liste und mögliche Folgeenthüllungen versetzen die PiS in Alarmstimmung. Eine Krisensitzung jagt die nächste, Beobachter:innen sehen schon das Ende des konservativen PiS-Granden Jarosław Kaczyński nahen.

Machtspiele mit Überwachungstools

Ebenfalls unklar bleibt, welchen Zweck die vermutete Bespitzelung hatte. Es könnte sich um interne Machtspiele gehandelt haben, spekuliert etwa Krzysztof Brejza, dessen Überwachung bereits letztes Jahr öffentlich wurde: „Alles deutet darauf hin, dass Pegasus innerhalb der Partei verwendet wurde, um ‚Kompromat‘ zu sammeln, Fraktionsspiele zu betreiben und eine para-mafiöse Gruppe aufzubauen“, sagte Brejza, der inzwischen im EU-Parlament sitzt, gegenüber Gazeta.pl.

Zugleich baut die neue Regierung unter Donald Tusk weiteren Druck auf. Auf einer gestrigen Pressekonferenz sprach der ehemalige EU-Ratspräsident von einer „sehr langen Liste“ mit Namen von Überwachungsopfern. Neben ihm auf dem Podium: der PiS-nahe Präsident Andrzej Duda, dem nun Dokumente übergeben wurden, die „100-prozentig bestätigen, dass Pegasus in legaler wie illegaler Weise eingekauft und eingesetzt wurde“, so Tusk. „Dies ist nur eine Auswahl der Dokumente, die Ihnen zur Verfügung stehen, Herr Präsident.“ Weitere Enthüllungen dürften folgen.

Tiefe Einblicke ins Privatleben

Die Spähsoftware Pegasus des israelischen Herstellers NSO Group ermöglicht es Angreifern, unbemerkt in IT-Geräte wie Smartphones einzudringen. Angreifer:innen können dann beispielsweise in Echtzeit Gespräche mithören, den Standort ermitteln oder Inhalte von dem Gerät abziehen. Das legt nicht nur den privaten Lebensbereich des Opfers, sondern meist auch dessen Umfeld offen.

Die NSO Group beteuert zwar stets, das mächtige Werkzeug nur für den Kampf gegen schwere Verbrechen und Terrorismus zu vertreiben und es zudem nicht an autoritäre Regime weiterzugeben. Allerdings tauchen seit Jahren Spuren der Software auf Geräten von Oppositionellen, Journalist:innen und Aktivist:innen in aller Welt auf.

Inzwischen steht das umstrittene Unternehmen auf der US-Sanktionsliste. Zu einem ähnlich drastischen Schritt konnte sich die EU noch nicht durchringen. Ein Untersuchungsausschuss im EU-Parlament verlief weitgehend ergebnislos – nicht zuletzt, weil EU-Länder wie Polen, Ungarn oder Spanien jegliche Zusammenarbeit verweigert hatten.

Schlammschlacht in Ungarn

Dafür kommen die Enthüllungen in Ungarn nun von unerwarteter Seite. Péter Magyar, Ex-Mann der ehemaligen Justizministerin Judit Varga und selbst Profiteur der Fidesz, brach am Wochenende aus der Reihe und ging auf Facebook öffentlich die Regierung von Viktor Orbán an. „Im Laufe der letzten Jahre habe ich langsam erkannt, dass es sich nur um ein politisches Produkt handelt,“ schrieb Magyar: „einen Zuckerguss, der nur zwei Zwecken dient: der Verschleierung des Betriebs der Machtfabrik und der Erlangung ungeheuren Reichtums.“

In einem Interview am Sonntagabend, das inzwischen über eine Million mal gesehen wurde, packt Magyar weiter aus, auch zum Einsatz von Pegasus. Judit Varga hatte damals als Justizministerin die Spähangriffe auf die Smartphones der Betroffenen bewilligt. Im Visier waren nicht nur kritische Journalist:innen und Oppositionellen, sondern auch Politiker aus Orbáns eigenem Lager. So wurde etwa der ehemalige Staatspräsident János Áder über die Telefone zweier seiner Leibwächter indirekt überwacht.

Péter Magyar berichtet nun, auf seinem Telefon seien ebenfalls Spuren gefunden worden, die auf eine Infektion mit einem Staatstrojaner hindeuten. Ob es Pegasus gewesen sei: unklar.

Pegasus als Turnschuh

Magyar will im Einsatz des Staatstrojaners dennoch kein Problem erkennen. Auf die Nachfrage, ob so ein Einsatz rechtlich und moralisch angemessen sei, sagt er nur: „Das hat bei mir keine Probleme aufgeworfen“ und nennt den Skandal eine „aufgeblasene Geschichte“. Es gehe um die nationale Sicherheit. Auch zweifelt er an, dass es überhaupt Beweise gibt, dass die Regierung Pegasus eingesetzt habe.

Den Namen Pegasus habe seine Frau zum ersten Mal gehört als der Skandal damals aufgedeckt wurde, sagt er. „Wir haben drüber gelacht, weil sie als Kind diesen Turnschuh geliebt hat, Nike Air Pegasus.“

Sowohl die Staatspräsidentin Katalin Novák als auch die Ex-Justizministerin und EU-Spitzenkandidatin der Fidesz Judit Varga sind am Wochenende binnen weniger Minuten zurückgetreten. Eine Woche zuvor hatte die Nachrichtenseite 444.hu berichtet, dass Novák vergangenes Jahr einen Mann begnadigt hatte, der beschuldigt war, Kindesmissbrauch in einem Kinderheim zu verschleiern. Varga hatte die Begnadigung als Ministerin unterschrieben.

Für die Regierungspartei Fidesz ist das eine Art PR-Worst-Case. Sie inszeniert sich seit Jahren als Hüterin der Familien und christlichen Werte, etwa mit einem „Kinderschutzgesetz“, das queere „Propaganda“ verbietet oder Homosexualität mit Pädophilie gleichsetzt.


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Author: Tomas Rudl

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