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TikTok: „Alles, was du in der Schule garantiert NICHT über Nazi-Verbrechen lernst“

Belltower.News

„Keine Erinnerungskultur“ heißt ein TikTok-Account, der über den Nationalsozialismus aufklärt und damit Millionen Nutzer*innen erreicht.

(Quelle: Unsplash)

Susanne Siegert lädt als @keine.erinnerungskultur seit vier Jahren Videos im Internet hoch, zuerst auf Instagram, jetzt auch auf TikTok. Ihr Thema: „Alles, was du in der Schule garantiert NICHT über Nazi-Verbrechen lernst“. Damit erreicht sie Millionen von Nutzer*innen.

Civic.net: Wie bist du auf die Idee für deine Videos und deinen Kanal gekommen?
Susanne Siegert: Ich komme ursprünglich aus Bayern. Ungefähr 20 Kilometer von meinem Elternhaus und meiner Schule entfernt war das Außenlager Mühldorfer Hart, eines der größten Außenlager des Konzentrationslagers Dachau. Ich habe darüber in der Schule nie etwas gelernt. Wir haben generell nie darüber gesprochen. Es gibt keine große Beschäftigung damit.

Ich habe von dem Lager erst nach dem Abi erfahren und war dann im Frühjahr 2020 zum ersten Mal dort. Ab diesem Punkt habe ich angefangen, darüber zu recherchieren. Ich habe in Online-Archiven Dokumente zu diesem Ort gefunden und das war für mich echt ein krasses Erlebnis, dann plötzlich auf diesen Originaldokumenten den Ortsnamen Mühldorf zu lesen im Kontext der Vernichtung von vor allem Juden und Jüdinnen. Für mich war dieser Ortsname verbunden mit schönen Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend. Ich muss immer noch jedes Mal durch Mühldorf mit dem Zug, wenn ich zu meinen Eltern fahre.

Das hat bei mir ganz viel ausgelöst und ich wollte teilen, was ich bei meinen Recherchen gefunden habe. Deswegen habe ich im Dezember 2020 auf Instagram angefangen, über dieses Lager zu berichten und das ist dann irgendwie gewachsen. Ich habe angefangen, auch über andere Themen zu sprechen und mich vor der Kamera zu zeigen. Und erst vor gut zwei Jahren auch auf TikTok-Videos geteilt, was sehr gut funktioniert. Es ist sehr schön zu merken, dass eine sehr junge Zielgruppe sehr interessiert an diesem Thema ist.

Susanne Siegert macht digitale Bildungsarbeit auf TikTok (Foto: Martin Neuhof)

Nach welchen Kriterien wählst du aus, welche Geschichten du erzählst und welche nicht?
Das Schöne ist, ich bin unabhängig. Das heißt leider auch, ich bekomme kein Geld, aber dafür bin ich sehr frei in den Themen, über die ich spreche. Ich muss nichts zu irgendwelchen Gedenktagen machen, sondern nur zu Themen, die mir wichtig sind – ganz oft aus einer feministischen Perspektive: Es geht um Frauen, weiblichen oder queeren Widerstand, queere und andere Opfergruppen als die, die man in der Schule hat. Aber auch andere Perspektiven von jüdischen Opfergruppen, also auch deren Widerstand zum Beispiel. Es ist mir wichtig, Themen zu behandeln, über die nicht viel gesprochen wird. Was alle Themen gemeinsam haben ist, dass sie in mir etwas ausgelöst haben – ohne pathetisch klingen zu wollen. Ich hoffe, dass dann Menschen genau das gleiche Gefühl haben, wenn sie meine Videos sehen, dass sie weiter darüber sprechen und daraus was mitnehmen.

Wie gehst du mit der Herausforderung um, in den sozialen Medien Aufmerksamkeit zu erregen und gleichzeitig der Komplexität der Themen, die du behandelst, gerecht zu werden?
Ich finde das tatsächlich gar nicht so schwer. Alle Formate, sei es eine Unterrichtsstunde, eine Dokumentation bei Netflix, eine Führung, müssen ja auch Komplexität herunterbrechen. Klar, 90 Sekunden sind etwas Anderes als 90 Minuten, aber meistens habe ich nur eine Kernbotschaft. Die kann sein „Krass, guck mal, die Nazis haben sich die Mühe gemacht, Juden und Jüdinnen von dieser weit entfernten griechischen Insel zu verschleppen, einfach nur um sie dann 1000 km entfernt in Auschwitz zu ermorden“ oder „Die SS hat sogar Hunde genutzt um das Leben der Häftlinge zu Hölle zu machen.“ Es gibt in jedem Video eine Botschaft, die eigentlich in einem Satz erzählt ist und ich unterfüttere sie durch Quellen, Bilder, Videos oder durch Aussagen von Überlebenden, Gerichtsprozessprotokolle etc. Aber ich suche mir schon Themen raus, die sich auch in dieser kurzen Zeit und ohne viel Vorwissen gut erzählen lassen.

Wie schaffst du es, dich von Anfeindungen online nicht entmutigen zu lassen?
Ich fokussiere mich sehr auf Positives. Es gibt Menschen, die sich jeden Tag bei mir bedanken, die relevante Fragen stellen, Anmerkungen machen und auch Kritik äußern. Die Anfeindungen reichen von Kommentaren zu meinem Aussehen oder dazu, dass ich gendere, bis hin zu Gewaltandrohung, misogynen Beleidigungen, aber auch Holocaustrelativierung, -verharmlosung und -leugnung. Da gibt es verschiedene Umgänge für mich, aber mittlerweile blockiere ich die meisten dieser Menschen und lösche ihre Kommentare, um ihnen keine Plattform zu geben und Aussagen nicht einfach so stehenzulassen. Gerade wenn Menschen den Holocaust leugnen oder relativieren oder irgendwelche Verschwörungsmythen verbreiten, dann möchte ich das nicht stehen lassen und verhindern, dass diese Menschen noch ein weiteres Video sehen. Ich möchte eine Art Safer Space sein für Menschen, die die Themen interessieren und da haben solche Störenfriede einfach keinen Platz.

Was bedeutet für dich digitale Zivilgesellschaft? Siehst du dich als Teil davon?
Auf jeden Fall sehe ich mich als Teil davon, sowohl der analogen als auch der digitalen Zivilgesellschaft. Das sind wir ja eigentlich erst mal alle. Und ich finde es schon schön, dass das Engagement online ganz andere Form annehmen kann als „im echten Leben“ und ich mich mit Menschen zivilgesellschaftlich engagiere, die ich noch nie gesehen habe, indem wir zum Beispiel gegenseitig unsere Videos kommentieren, teilen und gemeinsam diskutieren. Ich lerne viel von Menschen online, die mir ihr Wissen und ihre Perspektive zur Verfügung stellen. Ich finde, das macht uns auch zu einer Zivilgesellschaft. Für mich bedeutet das, einfach gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Sowohl in der Zivilgesellschaft generell als auch im digitalen Bereich ziehen wir an einem Strang, und zwar mit Menschen, die tausende von Kilometern entfernt wohnen und die ich noch nie im echten Leben gesehen habe, aber denen ich mich eng verbunden fühle, einfach, weil wir eine ähnliche Mission haben, die sich auch in unseren Inhalten zeigt.

Was wünschst du dir von einer digitalen Zivilgesellschaft für die Zukunft? Und was kann jede*r einzelne dazu beitragen?
Ich glaube, dass sich jeder als Teil der digitalen Zivilgesellschaft verstehen und jede Person ihre Perspektive einbringen sollte. Das heißt nicht, dass jede Person unbedingt Videos auf TikTok machen und sich da zeigen muss. Ich kann verstehen, wenn Leute das blöd finden oder es aus verschiedenen Gründen nicht machen möchten. Aber Teil einer digitalen Zivilgesellschaft zu sein, heißt ja auch, dass man Kommentare meldet, die menschenfeindlich sind, dass man Kommentare hinterlässt und positiv bestärkt bei Creator*innen oder Institutionen, die man gut findet, dass man Inhalte teilt, um die Reichweite zu stärken. Das sind alles Dinge, die zu einer digitalen Zivilgesellschaft gehören. Im echten Leben ist es viel aufwendiger, da müsste man Flyer verteilen, auf Demos reden, Menschen einladen und ihnen eine Bühne geben. Das ist im Digitalen sehr viel einfacher und deswegen würde ich mir von jeder Person wünschen, dass sie diese Hürde nimmt und sich beteiligt, auf die ein oder andere Art.

Was ist dein aktuelles Lieblings-Meme?
Mein aktuelles Lieblings-Meme, und für alle Zeit das schönste Meme, wie ich finde, ist der Sad Hamster. Dieser kleine süße Hamster mit den riesigen Augen, im Hintergrund ist immer traurige Geigenmusik und so funny Sprüche dazu, von denen ich mich manchmal sehr gut beschrieben und repräsentiert fühle. Jeder von uns ist mal ein kleiner Sad Hamster.


Das Interview führte Civic.net, ein Projekt der Amadeu Antonio Stiftung. Wer mehr über digitale Zivilgesellschaft, TikTok und natürlich Memes erfahren will: Dafür gibt es ab jetzt das ABC der digitalen Zivilgesellschaft. In dem Glossar finden alle, die sich für ein demokratisches Miteinander in den Sozialen Medien einsetzen wollen, Informationen und Tipps für digitales Engagement!

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… julie leuze ist die nummer acht im red bug charity projekt.