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In einer Rede vor EU-Minister:innen für digitale Infrastruktur warb EU-Kommissar Thierry Breton für seine Zukunftsvision: einen europaweiten, konsolidierten Markt für Telekommunikation. Ob dabei auch eine Datenmaut für YouTube & Co. eine Rolle spielen wird, bleibt vorerst unklar. Deutschland hält die Debatte für beendet, Italien hingegen wünscht sich einen „fairen Beitrag“ aller Marktteilnehmer.
EU-Kommissar Thierry Breton will die europäischen Märkte für Telekommunikation neu aufstellen. (Archivbild) – Alle Rechte vorbehalten Foto: IMAGO / ABACAPRESS, Bearbeitung: netzpolitik.orgEuropa braucht möglichst große, konsolidierte Netzbetreiber, die auf dem ganzen Kontinent tätig sind – zumindest wenn es nach EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton geht. Bei einem informellen Ministertreffen für Telekommunikation beschrieb er seine Vision . Bei der Zusammenkunft im spanischen León ging es um die Zukunft der europäischen Märkte für Telekommunikation. Wir veröffentlichen eine Zusammenfassung der Rede, in der Breton für sein Programm geworben hat.
Dieses ist durchaus ambitioniert: Zunächst soll ein Weißbuch die langfristige Strategie für die „digitale Infrastruktur der Zukunft“ abstecken, kündigte Breton an. Das Weißbuch soll sich mit allen heiklen Themen befassen: mit Investitionen, Konsolidierung des Marktes, Wettbewerb, Deregulierung und der Verwaltung des Spektrums für Mobilfunkangebote.
Wohin die Reise gehen soll, gibt Breton freilich jetzt schon vor: „Es soll die Schaffung echter europaweiter Infrastrukturbetreiber erleichtern, die über die nötige Größe verfügen, um das Potenzial eines EU-weiten Telekommunikationsmarktes voll auszuschöpfen“. Hierbei gelte es, den Regulierungsrahmen anzupassen, um die Kosten einer schnellen Technologieeinführung zu senken, sagte der EU-Kommissar.
Zugleich soll die Arbeit am bereits angekündigten „Digital Networks Act“ (DNA) starten, der die Absichtserklärungen in ein Gesetz gießen soll. Am Herzen liegen Breton insbesondere private Investitionen in den Ausbau. Schon bald will der Kommissar einen runden Tisch mit dem europäischen Finanzsektor einberufen, um Hürden für Investitionen in den Aufbau von Netzinfrastruktur zu identifizieren und zu beseitigen.
Zukunft der Datenmaut ungewiss
Unbekannt ist bislang, ob die sogenannte Datenmaut weiter eine Rolle spielen soll oder ob der umstrittene Ansatz vom Tisch ist. Manche hätten versucht, die Fragen rund um Investitionen auf einen Kampf um „Fair Share“ zu reduzieren, beklagte der EU-Kommissar. Es handle sich jedoch um eine „viel weiter reichende Frage, nämlich um ein neues Finanzierungsmodell für die massiven Investitionen“, die für die Ziele der „Digitalen Dekade“ notwendig seien, sagte Breton. Der EU-Digitalstrategie zufolge sollen bis zum Jahr 2030 allen EU-Bürger:innen moderne Internetangebote wie Glasfaserleitungen und 5G-Mobilfunkverbindungen zur Verfügung stehen.
Über ein Jahr lang gab es hinter den Brüsseler Kulissen heftiges Gezerre um den Vorschlag großer Netzbetreiber, sogenannte Over-The-Top-Anbieter wie Netflix oder YouTube extra zur Kasse zu bitten. Aus Sicht der Netzbetreiber verursachen eine Handvoll großer IT-Konzerne den Löwenanteil an Datentransfer, ohne sich an den Kosten für den Ausbau der Breitbandnetze zu beteiligen. Telekom Deutschland, Telefónica & Co. wollen mit der Datenmaut ein Modell, bei dem die Konzerne für den Transport der Daten bis zu den Nutzer:innen zusätzlich zahlen sollen.
Doch trotz der Rückendeckung von Thierry Breton, der vor seiner Polit-Karriere unter anderem den französischen Ex-Monopolisten Orange geleitet hatte, gab es von Anfang an großen Widerstand gegen die Idee. Regulierungsbehörden, Wissenschaftler:innen, Netzaktivist:innen und Verbraucherschützer:innen warnten vor negativen Folgen für die Netzneutralität, Medienvielfalt und versteckten Preiserhöhungen. Zuletzt zeigten die Ergebnisse einer öffentlichen EU-Konsultation auf, dass außer großen Ex-Monopolisten kaum jemand Gefallen an der Datenmaut fand.
Deutschland und Österreich halten die Debatte für beendet
Auch viele EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, Österreich und die Niederlande, stehen dem Ansatz ablehnend gegenüber. Und gehen sogar so weit, das Thema für abgeschlossen zu erklären: „Die Debatte ist beendet“, sagte der Staatssekretär für Infrastruktur, Stefan Schnorr (FDP), dem Online-Medium Politico am Rande des Ministertreffens. Dies bestätigt ein Sprecher des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV).
Schnorr zufolge lasse sich bis heute kein Marktversagen nachweisen, um ein derartiges Eingreifen ins Internet zu rechtfertigen. Dies sei die Position der Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten, sagte Schnorr – auch wenn er die Netzbetreiber verstehen könne, für die es „bequem“ wäre, „Geld fürs Nichtstun“ zu erhalten.
Ähnlich die Sicht der österreichischen Regierung. Der Ansatz würde zu einer Mehrbelastung für Nutzer:innen führen und zudem die Netzneutralität gefährden, sagte der Staatssekretär für Digitalisierung, Florian Tursky (ÖVP). „Ich freue mich, dass diese Debatte nun abgeschlossen worden ist“, so Tursky. Stattdessen sollen neue Denkansätze aufgegriffen werden, etwa eine Mindestbesteuerung großer IT-Konzerne oder eine Werbeabgabe im Internet, die Österreich im Jahr 2020 eingeführt hat.
Sand ins Getriebe streut jedoch Italien. Ursprünglich zählte das Land, neben Spanien und Frankreich, zu den Treibern der Datenmaut-Debatte. Im Sommer überraschte der italienische Staatssekretär für Digitalisierung, Alessio Butti (Fratelli d’Italia), indes mit der Aussage, die Datenmaut-Debatte sei „verfrüht“ und es brauche mehr Beweise, bevor ein konkretes Gesetz vorgestellt wird.
Für seinen Parteikollegen, den Wirtschaftsminister Adolfo Urso, scheint dies inzwischen teilweise geklärt zu sein: „Alle Marktteilnehmer, die von der digitalen Transformation profitieren, müssen einen fairen und verhältnismäßigen Beitrag zu den Infrastrukturkosten leisten“, sagte Urso gestern der Nachrichtenagentur Reuters – und klingt damit wie beispielsweise Telefónica, das in einem aktuellen Blog-Eintrag weiter für eine Kostenbeteiligung von OTTs wirbt.
Ob der Ansatz es in den Digital Networks Act schafft – und ob Breton überhaupt einen Gesetzentwurf vor den EU-Parlamentswahlen im nächsten Sommer präsentiert – ist also noch offen. Thomas Lohninger von der österreichischen Nichtregierungsorganisation epicenter.works rechnet jedenfalls mit einem anhaltenden Kampf: „Nach der EU-Wahl 2024 wird die Debatte auch in Europa nochmals aufflammen, denn egal ob sie Neelie Kroes, Günther Oettinger oder Thierry Breton heißen, ein EU-Kommissar wird scheinbar immer für die Telekomindustrie abgestellt“, sagt Lohninger.
Hinweis: Die Übersetzung aus dem französischen Original erfolgte mit DeepL.
Titel der Sitzung: „Die Zukunft der Telekommunikation“
Dienstag, 24. Oktober 2023, 9:00 – 10:30 Uhr
Frau Vize-Premierministerin, liebe Nadia,
Meine Damen und Herren Minister,
Zunächst möchte ich der spanischen Präsidentschaft dafür danken, dass sie die Zukunft des Telekommunikationssektors auf die Tagesordnung dieser Arbeitssitzung gesetzt hat und so den Dialog fortsetzen kann, den wir im Juni letzten Jahres in Luxemburg eröffnet haben.
Wir setzen diesen Dialog im Lichte zweier neuer Erkenntnisse fort:
Erstens: Der erste Bericht über den Stand der Digitalen Dekade, den wir im September veröffentlicht haben.
Zweitens: Die Ergebnisse unserer Konsultation über die Zukunft der Konnektivitätsbranche, die am 10. Oktober veröffentlicht wurden. Daraus geht eindeutig hervor, dass die Telekommunikationsanbieter Größe und Agilität benötigen, um sich an die laufende technologische Revolution anzupassen, doch die Fragmentierung des Marktes hält sie zurück.
Ich bin nun davon überzeugt, dass wir an einem mutigen, zukunftsorientierten „Digital Networks Act“ (Gesetz über digitale Netze) arbeiten müssen, um die DNA unserer Telekommunikationsvorschriften neu zu definieren.
Die Aufgabe wird nicht leicht sein, aber es ist zwingend notwendig, diese Arbeit jetzt zu beginnen.
Ich möchte diese Arbeit auf vier Haupt-Themenfelder ausrichten:
[Eine Überlegung, wie wir mehr privates Kapital in unseren Telekommunikationssektor locken können].
Erstens: Überlegungen dazu, wie wir mehr privates Kapital für unsere digitale Infrastruktur gewinnen können.
Einige haben versucht, die Frage der Investitionen auf einen Kampf um „Fair Share“ zu reduzieren.
In Wirklichkeit geht es um eine viel weiter reichende Frage, nämlich um ein neues Finanzierungsmodell für die massiven Investitionen, die für die Verwirklichung unserer „Digitalen Dekade“ erforderlich sind, dessen Rückgrat die Konnektivität ist.
Aus diesem Grund werde ich in Kürze einen Runden Tisch mit dem europäischen Finanzsektor einberufen, um Hindernisse für Investitionen in die Telekommunikationsinfrastruktur zu identifizieren und zu beseitigen.
[Weißbuch „Aufbau der digitalen Infrastruktur für das Europa von morgen“].
Der zweite Schwerpunkt wird die Veröffentlichung eines Weißbuchs sein, das eine langfristige Vision der digitalen Infrastruktur von morgen entwirft.
Es wird sich mit allen heiklen Fragen befassen: kritische Masse, Investitionen, Konsolidierung, Wettbewerb, Deregulierung, Frequenzverwaltung.
Es soll die Schaffung echter europaweiter Infrastrukturbetreiber erleichtern, die über die nötige Größe verfügen, um das Potenzial eines EU-weiten Telekommunikationsmarktes voll auszuschöpfen; sowie die Anpassung des Regulierungsrahmens, um die Kosten für eine schnelle Einführung der Technologien zu senken.
[Eine Änderung der Verordnung des gemeinsamen Unternehmens „Intelligente Netze und Dienstleistungen“].
Der dritte Schwerpunkt wird sich auf den Sektor der Telekommunikationsausrüstung beziehen, in dem Europa traditionell in einer Welt der „hardwarebasierten Netzwerke“ führend war. Wir müssen diese Führungsposition auch in der neuen Ära der software- und cloudbasierten Netze bewahren und sicherstellen, dass die europäischen Akteure auf gleicher Augenhöhe mit den „Hyperscalern“ konkurrieren können.
Um dies zu erreichen, müssen wir unsere bestehenden Programme und Maßnahmen umstrukturieren, was unserem Übergang zu cloud- und softwarebasierten Dienstleistungen und Infrastrukturen einen entscheidenden Impuls verleihen wird.
[Eine Empfehlung der Kommission an die Mitgliedstaaten über „Sichere Unterseekabel-Infrastrukturen für Europa“].
Zuletzt müssen wir, um unsere Sicherheit und die Widerstandsfähigkeit unserer Netzwerke zu gewährleisten, unsere strategischen Kabelverbindungen, die uns untereinander und mit den Infrastrukturen unserer Verbündeten verbinden, vervollständigen und verstärken.
In diesem Zusammenhang möchte ich eine Empfehlung der Kommission vorschlagen, um uns mit einem kohärenten politischen Ansatz in Bezug auf Unterseekabel auszustatten und eine bessere Koordinierung der Bemühungen der Mitgliedstaaten zu gewährleisten. In dieser Empfehlung werden wir Kriterien identifizieren, um die Identifizierung und Finanzierung von „Kabelprojekten von europäischem Interesse“, an denen die EU-Industrie beteiligt ist, zu erleichtern.
Hier einige Denkanstöße zur Zukunft des Telekommunikationssektors.
Lassen Sie mich abschließend auch an die Bedeutung der laufenden Arbeit erinnern, die darauf abzielt, den Rechtsrahmen anzupassen, Kosten zu senken und Bürokratie abzubauen, um eine schnelle Einführung der Technologien zu ermöglichen. Ich beziehe mich dabei auf das Gesetz zur Gigabit-Infrastruktur („Gigabit Infrastructure Act“). Es ist nun von entscheidender Bedeutung, die Verhandlungen zwischen Rat und Parlament zu beschleunigen, damit diese Maßnahmen so schnell wie möglich umgesetzt werden können. Ich zähle auf Sie, die Arbeit am Mandat für den Trilog zu beschleunigen! Das Parlament ist schon bereit und wartet auf Sie.
Ich danke Ihnen.
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Author: Tomas Rudl