Im Landkreis Sonneberg in Thüringen gibt es seit vergangenem Jahr erstmals in Deutschland einen Landrat der rechtsextremen AfD. Der Aufschrei damals war laut, aber flaute schnell wieder ab. So ging die alarmierende Meldung unter, dass der Landkreis Sonneberg im Jahr 2023 erstmals als Hotspot rechtsmotivierter Angriffe in Thüringen auffiel. Ein Zufall? Wohl kaum, wie auch andere Studienergebnisse nahelegen.
Jahresstatistik 2023: Sonneberg neuer Hotspot rechter Gewalt
Der thüringische AfD-Landesverband wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Seit vergangenem Sommer stellt nun genau dieser Landesverband erstmals einen Landrat. Robert Sesselmann gewann die Stichwahl im südthüringischen Landkreis Sonneberg. Nach 100 Tagen hatte der MDR einmal nachgeschaut, wie es nun läuft. Das Fazit war ziemlich unspektakulär: Egal wie viel im Wahlkampf gegen „die da oben“ geschossen wurde, in der Praxis muss ein Landrat nun mal auch liefern. Und dann lassen sich ideologisch motivierte Ankündigungen wie die Kürzung der Fördermittel für „Demokratie leben“ eben doch nicht so einfach umsetzen. Der SPIEGEL titelte kürzlich sogar vom „Praxisschock„, da der AfD-Landrat nach großspurigem Wahlkampf zu Themen wie Russland und Flüchtlingen nun schon mit einer maroden Steinmauer an der Landstraße 1148 nicht klarkam.
Und ja, so manch einer kann sich angesichts dieses Realitätschecks vielleicht eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen. Allerdings gilt das eher weniger für die Menschen vor Ort. Denn vor einigen Wochen wurde die Jahresstatistik der Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen (ezra) für 2023 veröffentlicht. Darin tauchte neben den Städten Erfurt und Weimar erstmals der Landkreis Sonneberg als „Hotspot rechtsmotivierter Angriffe in Thüringen“ auf.
Während die Beratungsstelle 2022 nur 4 Angriffe in Sonneberg dokumentierte, stieg die Anzahl auf 20 im Jahr 2023. Der Landkreis Sonneberg hat nun mit seinem AfD-Landrat die zweithöchste Anzahl rechtsmotivierter Angriffe im ganzen Bundesland zu bewältigen. Selbst Städte wie Weimar (17) und Jena (13) waren rechtsmotivierter Gewalt weniger stark ausgesetzt als Sonneberg. Jetzt gehen diese Angriffe selbstverständlich nicht auf das Konto vom Landrat selbst. Dennoch ist angesichts des starken Anstiegs der Gewalt ein Zusammenhang zu vermuten. Studienergebnisse stützen diese Vermutung.
Studienergebnisse: Sonneberg keine Ausnahme
Die Politikwissenschaftlerin Rafaela Dancygier veröffentlichte 2023 Ergebnisse einer Studie, in der sie die Hintergründe von Gewalt gegen Flüchtlinge in Deutschland analysierte. Dabei kam sie zu dem Ergebnis, dass die Gewalt zwar oft von männlichen, jüngeren Tätern mit niedrigerem Einkommen verübt werden, diese aber oft auf Unterstützung einer breiteren (also auch weiblicheren, besser verdienenden, älteren) Bevölkerungsschicht setzen können. Diese Unterstützung für Gewalt gegen Geflüchtete umfasst zwar immer noch weniger als ein Fünftel der Gesamtbevölkerung, reicht aber viel tiefer in die „Mitte der Gesellschaft“ hinein. Diese Unterstützer:innen von Gewalt sind dabei mit weitem Abstand am häufigsten AfD-Wähler:innen. Dementsprechend kann ein starkes Abschneiden der AfD von potenziellen Täter:innen als ermutigendes Zeichen wahrgenommen werden.
Eine Studie von Robert Braun und Ruud Kopmanns von 2013 kam zu dem Ergebnis, dass die Reaktion von „bystanders“, also nur Umstehenden oder Schaulustigen auf rechte Gewalt Einfluss darauf hat, ob und in welchem Umfang weitere Gewalt ausgeübt wird. In dieser Studie wird der Einfluss von political opportunities auf die Schaulustigen und damit auch auf die rechte Gewalt erneut bestätigt, den die Autoren schon 2010 zeigen konnten. Schon 1994 wies Thomas Ohlemacher eine Korrelation zwischen der öffentlichen Meinung über Geflüchtete und rechte Gewalt nach. Er bezeichnete das Verhältnis von öffentlicher Meinung und Gewalt als „Spirale“.
Fazit: Risikofaktor AfD?
Wir können und sollten daraus nicht ableiten, dass jeder Wahlerfolg der AfD automatisch zu Gewaltausbrüchen führt. Soziale Phänomene sind viel zu komplex für solch einen simplen Schluss. Darüber hinaus ist es auch nicht klug, von Wahl zu Wahl mehr in den Panikmodus zu verfallen. Gleichzeitig ist es aber wichtig, Entwicklungen wie zuletzt in Sonneberg rechtzeitig zu bemerken und die Probleme anzusprechen.
Positionen rechtsextremer Parteien zu normalisieren birgt immer auch das Risiko, potenziellen rechten Gewalttäter:innen das Gefühl zu geben, ihre Verbrechen seien „in Ordnung“. In Sonneberg ist das schon traurige Realität geworden. Gleichzeitig stehen an diesem Wochenende auch zahlreiche Kommunalwahlen an, in denen sich entscheidet, welche Mehrheiten auf Kreis-, Stadt- und Gemeindeebene in Zukunft existieren werden. Deswegen an dieser Stelle noch einmal der Aufruf an alle Leser:innen: Geht wählen, wählt demokratisch. Es ist so wichtig wie selten zuvor. Nicht nur, um den Einfluss der AfD einzudämmen. Sondern auch, um rechte Gewalt vor Ort zu verhindern.
Artikelbild: Martin Schutt/dpa