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Das Fediverse ist ein offener, freier und nicht-kommerzieller Gegenentwurf zu den herkömmlichen Plattformen. Doch Server müssen bezahlt, Beiträge moderiert und die Technik am Laufen gehalten werden. Was kostet das eigentlich und wieviel Zeit stecken die Betreiber:innen in ihre Mastodon-Instanzen?
Der dezentrale Microblogging-Dienst erfreut sich weiterhin großer Beliebtheit. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / photothekSeit der Twitter-Übernahme von Elon Musk suchen immer mehr Menschen ein neues digitales Zuhause. Deswegen wächst seitdem das Fediverse und dort vor allem das twitterähnliche Mastodon. Im Gegensatz zu einer großen Plattform besteht das Fediverse aus vielen einzelnen Instanzen, die von vielen verschiedenen Institutionen und Einzelpersonen betrieben werden. Mehr als 15.000 aktive Mastodon-Instanzen gibt es mittlerweile weltweit.
Was oft unter den Tisch fällt: Eine solche Instanz kostet Geld und macht Arbeit. Was sonst die kommerziellen Plattformen aus ihren Daten- und Werbeerlösen bezahlen, übernehmen jetzt oft Menschen in ihrer Freizeit und oftmals sogar mit ihrem eigenen Geld, das sie in die Projekte stecken. Manche Instanzen werden über Spenden der Community finanziert, doch die Arbeitszeit bleibt bei kleinen und mittleren Instanzen ehrenamtlich und unbezahlt.
Wie viel Aufwand ist das eigentlich? Wer haftet, wenn etwas schief geht? Wir haben ein paar kleinere und mittlere Instanzen gefragt, wie sie die Aufwände stemmen und was die Nutzer:innen beitragen können, damit der Betrieb problemloser läuft.
Aufwand hält sich bei kleinen Instanzen in Grenzen
Tldr.nettime.org ist eine Instanz aus dem Umfeld von Kunst, Wissenschaft und Aktivismus. Sie ist mit knapp 400 Nutzer:innen relativ klein. Wer dazukommen will, muss ein paar Zeilen über sich schreiben, um freigeschaltet zu werden.
Einer der Betreiber ist der Professor für Digitalkultur Felix Stalder. Er sagt, dass sich der Aufwand für die Instanz in Grenzen halte. Monatlich seien es eine Handvoll Moderationsentscheidungen. Insgesamt schätzt er den Aufwand täglich auf etwa fünf Minuten pro Person in einem vierköpfigen Team, insgesamt sind das aber immerhin zehn Stunden im Monat. Hinzu kämen ein paar Stunden Serveradministration. Der Eindruck von Stalder ist, dass der Aufwand technisch sehr anwachse mit mehr Nutzer:innen, weil Mastodon nicht so gut skaliere.
Die Serverkosten liegen bei der kleinen Instanz bei 30 Euro monatlich und 10 Euro für ein Bankkonto. Das alles wird derzeit noch aus privater Kasse bezahlt. In Zukunft will die Instanz die Nutzer:innen um Spenden bitten – auch um ein Bewusstsein zu schaffen, dass das Betreiben Arbeit und Geld kostet. Aus Haftungsgründen hat tldr.nettime.org einen Schweizer Verein als Rechtsform gewählt.
„Es gibt immer was zu tun“
Rollenspiel.social sammelt bereits Spenden, um den Betrieb der Instanz aufrecht zu erhalten. Die Instanz hatte im Juli 821 aktive Nutzer:innen bei etwa 4.500 existierenden Accounts. In Sachen Moderation gab es nur elf Meldungen. Der Betrieb kostet monatlich zwischen 200 und 400 Euro, von denen etwa die Hälfte durch die Nutzer:innen gedeckt wird. Im Juli gingen etwa 4 Terabyte Traffic rein und raus, es wurden 153 GB Medien abgespeichert.
Rollenspiel.social hat noch keine Rechtsform. Das sieht der Betreiber Daniel Buck wegen der Rechtslage föderierter Systeme und wegen der Abrechnung von Spenden als Problem an. Generell seien Spenden ein zweischneidiges Schwert, weil damit auch die Erwartungen an den Betrieb der Instanz wachsen würden. Von den Nutzer:innen wünscht sich Buck einerseits Spenden, aber auf der anderen Seite auch konkrete Hinweise bei Moderationsmeldungen, damit er und seine Unterstützer:innen nicht alles in ihrer Freizeit rekonstruieren müssen. Generell sollte die Community auf Hilferufe der Betreiber:innen reagieren und mitmachen: „Es gibt immer etwas zu tun“, so Buck.
„An schlechten Tagen drei Stunden“
Deutlich besser finanziert ist chaos.social mit seinen 6.100 aktiven Nutzer:innen. Ein Konto kann man dort nur noch mit einem Einladungslink anlegen. Die Instanz ist als Verein organisiert und laut dem Finanzbericht für fast drei Jahre ausfinanziert. Das Spendenaufkommen liegt bislang immer deutlich über den Serverkosten von knapp 400 Euro monatlich.
Die Moderation brauche mal mehr, mal weniger viel Zeit, sagt rixx, einer der Admins von chaos.social: „Wir arbeiten jeden Tag die offenen Reports ab, das heißt es ist außerdem eine Arbeit, die jahrelange Zuverlässigkeit erfordert.“ Wie lange das genau dauert, sei schwer zu sagen: „An guten Tagen ist es in fünf Minuten gemacht, an schlechten Tagen schlichtet man drei Stunden diplomatisch Streit zwischen Menschen, die eigentlich nur eine Pause vom Internet brauchen.“ Moderation sei mit Abstand der größte Aufwand.
„Diesen sozialen Raum zu pflegen – ohne ihn mit unserer Vorstellung, wie er sein sollte, zu dominieren: Das ist ein andauernder Drahtseilakt“, so rixx weiter. Nutzer:innen könnten neben den Spenden zum Gelingen beitragen, indem sie aktiv und bewusst die Instanz als digitalen Lebensraum mitgestalten. Dazu zählt rixx einen konstruktiver Tonfall, Spaß am Gerät, das Einbringen von Ideen, hilfreiche Reports und – wenn doch mal was nicht passt – Nachsicht miteinander und mit den Admins.
190 Euro Serverkosten bei 4.800 Nutzer:innen
Bei nrw.social gibt es etwas mehr als 4.800 aktive Nutzer:innen, die im September 1,2 Terabyte Traffic nach innen und 3,4 Terabyte nach außen generiert haben. Die Serverkosten liegen bei knapp 190 Euro pro Monat. In den letzten 30 Tagen musste nrw.social 38 Moderationsmeldungen bearbeiten. Insgesamt sei der Zeitaufwand sehr schwierig zu beziffern, sagt Dominik Bieber von nrw.social: „Bei besonderen Lagen, wie zum Beispiel großen Spamwellen, die wir vor ein paar Monaten von mastodon.social hatten, ist dann auch wieder von jetzt auf gleich mehr zu tun. Ansonsten ist das Moderieren aber sehr entspannt, weil wir einfach sehr viel Glück mit unserer Community haben.“
Am anspruchsvollsten seien die großen Wellen an neuen Nutzenden im letzten Jahr gewesen, da habe er den ganzen Tag vor dem Rechner sitzen müssen, erzählt Bieber. Bei der Moderation sei das schwierigste, die Sachen rechtlich richtig einzuschätzen – und dabei auch die Folgen für die Betreiber abzusehen.
Gemeinnützige Großinstanz gut finanziert
Nicht nur kleine und mittlere Instanzen wollen finanziert sein. Etwas größer sind die Dimensionen bei der Instanz mastodon.social mit ihren 290.000 aktiven Nutzer:innen. Betrieben wird sie von einer gemeinnützigen GmbH rund um den Mastodon-Entwickler Eugen Rochko. Die gGmbH hat laut ihrem Jahresbericht (PDF) im Jahr 2022 326.000 Euro Spenden von mehr als 9.000 unterschiedlichen Spender:innen eingenommen. Von diesem Geld hat die gGmbH 127.000 Euro ausgegeben, davon 80.000 für Personalkosten und knapp 7.000 Euro für Server.
Vermutlich werden sich in den nächsten Jahren verschiedene Modelle herausbilden. Es wird weiterhin Hobby- und Kleininstanzen geben, die aus eigener Tasche und ehrenamtlichem Engagement heraus Instanzen fahren. Dann wird es wie schon jetzt Mischformen geben, die auf freiwillige Spenden und Ehrenamt setzen. Andere Instanzen setzen wie digitalcourage.social auf niedrige Monatsbeiträge, die zur Finanzierung beitragen. Die Frage nach der nachhaltigen Finanzierung von dezentralen sozialen Netzwerken ist genauso spannend, wie die nach der Governance und der Frage, wer über die Instanzen entscheidet und wie demokratische Beteiligungsmodelle jenseits von finanzieller Mithilfe aussehen.
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Author: Markus Reuter