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So gut lief unser Energie-Jahr 2023 – so falsch lagen BILD & Co.

Was wurde uns nicht alles prophezeit, wenn in Deutschland die letzten Atomkraftwerke ausgeschaltet werden! Die Kohleverstromung werde in nie dagewesene Höhen steigen, die Menschen müssen sich gegenseitig ihre letzten Lumpen klauen, weil Blackouts und Niedergang dominieren werden. Deutsche Atomkraft würde mit LNG aus Katar ersetzt, während hier gleichzeitig ohne französische Atomkraft die Lichter ausgehen würden. Alle Welt lache deswegen über Deutschland.

Es scheint tatsächlich nicht wenige Deutsche zu geben, die ihr Weltbild und ihre Wahlentscheidungen davon abhängig machen, was das Ausland vermeintlich von uns denkt. Witzig – einerseits ist Deutschland ja sooo kein, dass es in Klimafragen ohnehin keinen Unterschied macht, aber gleichzeitig beschäftigt sich die ganze Welt mit dem deutschen Strommix? Unwahrscheinlich.

So gut lief das Energie-Jahr 2023 in Deutschland

Würde sich aber tatsächlich die ganze Welt mit der deutschen Stromversorgung beschäftigen, dann wäre 2023 eher ein Grund für erstaunte Gesichter voller Hoffnung gewesen. Das lief nämlich unerwartet gut, selbst für mich alten Berufsoptimisten:

Die einfach zu ermittelnde Statistik reicht bis 1990 zurück, für weiter zurückreichende Werte müsste irgendwer mühselig die Daten aus alten DDR-Bilanzen nachtragen. Professor Burger vom Fraunhofer ISE hat das dankenswerterweise für die besonders klimaschädliche Braunkohle übernommen: Sie lag auf dem Niveau von 1959 (!):

1959, ihr erinnert euch? Platz 1 der Single-Charts war da „Die Gitarre und das Meer“ von Freddy Quinn und die leistungsstärksten Supercomputer dieser Zeit schafften an einem ganzen Tag so viel Gleitkommaoperationen wie mein Smartphone in einer Sekunde (ist lange her).

So viel Erneuerbare wie nie!

War die AKW-Abschaltung vielleicht doch nicht so fatal?

Die Frage, die sich viele Menschen nun stellen: Wie konnten wir 3 Atomkraftwerke abstellen und gleichzeitig die Kohleverstromung so stark senken? Ist das nicht nur eine Folge von wirtschaftlichem Rückgang?

Zunächst ist es ganz grundsätzlich selten zielführend, in derartig komplexen Systemen wie dem Strommarkt eines großen Landes nach monokausalen Ursachen für eine Jahresstatistik zu suchen. Der Rückgang der deutschen Kohleverstromung hat gleich mehrere Ursachen:

  1. Der gesamte Stromverbrauch sank von 2022 auf 2023 um etwa 4 Prozent.
  2. Anstatt netto 5 Prozent unserer Stromerzeugung zu exportieren, importierten wir 2023 netto 2 Prozent unseres Bedarfs.
  3. Die Stromerzeugung aus Erneuerbaren stieg um 8 Prozent.

Zu Punkt 1: Ein Rückgang von 4 Prozent des Strombedarfs ist schon eher viel, allerdings ging der Strombedarf in den meisten der letzten 10 Jahre zurück, auch weil wir die Energie effizienter verwenden. Für eine Stadtbeleuchtung mit LEDs, Geräte mit Effizienzklasse A und optimierte Prozesse in der Industrie benötigen wir einfach weniger Strom als früher. Ein Teil des Rückgangs wird aber auch dem Kostendruck geschuldet sein.

Zu Punkt 2: Viele von uns gingen davon aus, dass unsere Stromexporte niedriger ausfallen als in den letzten Jahren. Dass wir am Ende auch aufs ganze Jahr bezogen zum Netto-Stromimporteur werden, war eine Überraschung. In den Debatten hatte auch ich selbst mehrfach die falsche Vermutung geäußert, dass sich das aufgrund der gleichen saisonalen Schwankung wieder ausgleicht, wie es in allen Jahren zuvor auch war.

Wo wir falsch lagen: Netto-Exporteur

Tatsächlich haben wir in den Wintermonaten tatsächlich wieder mehr exportiert, aber das hat die Importe aus dem Sommer nicht mehr ausgeglichen. Meine Hater können sich in den Kommentaren also gerne an meinem Irrtum laben. Womit ich jedoch Recht behalten habe, ist der Grund, warum wir mehr importiert haben:

Deutscher Kohlestrom ist mittlerweile einfach zu teurer und der europäische Strommix zu sauber, um damit große Überschüsse zu erzielen. Unsere Exporte des Jahres 2022 waren noch von einer mit Problemen kämpfenden französischen Atomflotte geprägt, so dass wir da den Rekordwert von 15 Terawattstunden nach Frankreich exportiert haben.

Das hat sich letztes Jahr glücklicherweise entspannt: Historisch gesehen lieferten die französischen Atomkraftwerke in 2023 zwar immer noch wenig Strom, aber doch beruhigende 40 TWh mehr als noch 2022, sodass unser Stromhandel 2023 viel ausgeglichener war: Frankreich exportierte 12,4 TWh an Deutschland, Deutschland exportierte 12,0 TWh an Frankreich.

Wir haben dänische Windenergie importiert

Die hohen Importüberschüsse erzielten wir mit Strom aus anderen Ländern:

Dänemark: 10,7 TWh (Fossilanteil 20 %)

Norwegen: 4,6 TWh (Fossilanteil < 1 %)

Schweden: 2,9 TWh (Fossilanteil < 5 %)

Niederlande: 2,1 TWh (Fossilanteil >50 %.)

Schweiz: 1,0 TWh (Fossilanteil 0 %)

Frankreich: 0,4 TWh (Fossilanteil < 7 %)

Deutsche Kohlekraft wurde also heruntergefahren und stattdessen wurde klimaschonenderer Strom von unseren europäischen Partnerländern importiert. Ein Umstand, der von der Bild als „Strom-Bettelei“ verunglimpft wird, führt wahrhaftig zu deutlich weniger Emissionen.

Quelle Energy-Charts.de, Balken mit positiven Werten sind Importe, Balken mit negativen Werten sind Exporte

Der importierte Strom hätte locker auch mit unseren eigenen Kraftwerken erzeugt werden können. Er macht nur einen kleinen Teil des gesamten Verbrauchs aus und wurde importiert, während unsere Kohlekraftwerke sich historisch langweilten: Unsere Braunkohlekraftwerke liefen 2023 nur die Hälfte der Zeit unter Volllast, die Steinkohlekraftwerke sogar nur zu 22 % der Zeit.

Wir hätten mehr als genug Strom selbst produzieren können, aber halt teurer

Wir können uns jetzt gerne in den Kommentaren streiten, was die Ursachen für den Strommix 2023 waren, aber die Prognosen für Blackouts, mehr Kohlestrom oder Abhängigkeit von Frankreich können wir in der Rückschau ins Reich der Mythen und Legenden verbannen (die Zahl der Stromausfälle sinkt).

Irgendwie auch irre, wie viele Menschen eine Abhängigkeit von französischem, ziemlich klimaschonendem Strom aus einer europäischen Demokratie fürchten und gleichzeitig kein Problem damit zu haben scheinen, dass 98 % unseres Erdöls, 100 % unserer Steinkohle und 95 % des Erdgases importiert sind. Wenn wir in großen Mengen Strom exportieren, für den wir aber erst Steinkohle und Erdgas importieren müssen, was ist dann gewonnen?

Besonders heuchlerisch geriet in diesem Zusammenhang mal wieder die gespielte Empörung von Jens Spahn, dem Energie-und Desinformations-„Experten“ der Unionsfraktion.

Dessen Twitter-Account steigerte sich im April 2023 mit „schmutzige Kohle […] wie nie zuvor.“ in immer emotionalere Höhepunkte auf Trump-Niveau hinein, obwohl er selbst diesen Ausstieg genau in der Form im Jahr 2011 im Bundestag mitbeschlossen hatte (in der Folge gingen im Jahr 2011 direkt 8 Kernreaktoren vom Netz, die Kohleverstromung stieg danach deutlich und sankt erst 6 Jahre später wieder unter den Wert von 2011).

Bislang kein „Kohlewinter“ in Sicht

Im Dezember 2023 fabulierte er hingegen einen „Kohlewinter“ herbei, den es bislang ebenfalls nicht gab. Der Dezember 2023 war der kohleärmste Dezember der Statistik und auch 4. Quartal 2023 zeigt ein Minimum der Kohleverstromung. Selbst jetzt noch fantasiert er weiter irgendetwas von einem „Strom-Not-Land“ und spielt die immer gleiche Platte ab, die herzlich wenig mit der Realität zu tun hat. Fast täglich knacken die Erneuerbaren gerade die 100-Prozent-Marke.

Vergessen wir auch nicht die Dauer-Beschallung mit ähnlich lautenden Lügen des unseriösen Blatts „BILD“, das in exakt die gleiche Kerbe schlug:

Nichts davon ist wahr geworden – oder war jemals richtig. Wann lernt die deutsche Bevölkerung – und besonders die Politik und Medienlandschaft endlich, dass sie hier systematisch angelogen wird?

Ja, Atomausstieg vor Kohleausstieg wäre noch besser gewesen

Ja, das hätte auch anders laufen können. Und ja, wäre Deutschland zuerst aus der Kohle und dann aus der Atomkraft ausgestiegen, dann sähe unsere Klimabilanz noch mal deutlich besser aus, was die Ausstiegsreihenfolge fragwürdig erscheinen lässt. Spahn macht diesen von ihm mit beschlossenen (!) Fehler aber nicht wieder gut, indem er mit Lügen über Kohlerekord-Märchen nach der Atomkraft auch noch Wind- und Solarkraft lahmzulegen versucht.

Denn hey, im Jahr 2024 stellen wir keine Atomkraftwerke mehr ab. Jede Kilowattstunde, die von jetzt an durch den Wind- und Solarkraftausbau dazukommt, verdrängt eins zu eins eine fossile kWh aus dem Netz. Das kann ziemlich cool werden. Let’s Go!

Dieser Artikel erschien zuerst bei Graslutscher.de. Artikelbild: canva.com / Screenshots bild.de

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