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So entwickelt sich die zelluläre Landwirtschaft

Im Jahr 2040 essen europäische Flexitarier:innen kein Fleisch von toten Tieren mehr, sondern von lebenden. Auf vielen Bauernhöfen stehen Bioreaktoren. Eine Utopie.

Maja Stedes Gummistiefel sinken schmatzend im Schlamm ein; wieder hat es die ganze Nacht in Strömen geregnet. Die Rinderzüchterin steht am Rande ihrer Weide in der Nähe von Braunschweig, Niedersachsen. Ein paar weiße Wiederkäuer stehen verloren im Matsch, vor ein paar Jahren waren es noch fünfmal so viele. Ökonomisch besser ging es ihr damit nicht. Jetzt macht sie zelluläre Landwirtschaft und sagt stolz: „Meine Tiere sind keine Produkte mehr, sondern Spender.“ Und Bodenpfleger. Beim Grasen sorgen sie dafür, dass das Weideland eine Kohlenstoffsenke bleibt.

Nachwuchs Tomte kommt muhend auf Stede zugetrabt. Schon bald wird sein Gesicht auf Verpackungen in regionalen Bioläden zu sehen sein. Daneben, statt „Kalbfleisch“: „Sponsored by Kalb Tomte“. Und während Menschen sein Produkt verspeisen, wird er weiter über die Weide springen, fressen, leben. Stedes Blick schweift in die Ferne, zu den dicken dunklen Wolken, die so tief am Himmel hängen, als wollten sie in die hohen Schornsteine der alten Bierbrauerei kriechen. Drumherum fangen Solarleinwände und schwingende Windsäulen lautlos Energie für die Produktion. Verändert hat sich innen auf den ersten Blick nichts: Riesige Gärtanks laufen auf Hochtouren, in einigen schwimmen Hefen. Doch statt Bier wird Tier(protein) gebraut.

Das „Neo Brauhaus“ ist eine von vielen europäischen Zellfabriken. In Dänemark steht die größte; allerdings gehört sie einem israelischen Unternehmen. Im globalen Wettbewerb holt die EU langsam auf. Qualität wiegt nun schwerer als Schnelligkeit. Das strenge Zulassungsverfahren für neuartige Lebensmittel hat sich bewährt. Mit der Zeit wurde es effizienter, aber nicht laxer. Ordentliche, öffentliche Investitionen förderten Grundlagenforschung und Wissensaustausch – die Start-up-Szene begann endlich zusammen statt nebeneinander zu arbeiten.

Zur zellulären Landwirtschaft gehören zwei Methoden: Kultivierung und Präzisionsfermentation. Für die Kultivierung werden Stammzellen, die lebenden Tieren per Biopsie entnommen wurden, in einem pflanzlichen Nährmedium zu Fett- oder Muskelgewebe herangezüchtet. Bei der Präzisionsfermentation werden Mikroorganismen gentechnisch so verändert, dass sie tierische Stoffe produzieren, die genau so in der Natur vorkommen. Etwa Kasein, das wichtigste Protein in Kuhmilch, oder pflanzliches Hämoglobin, das Blut ähnelt. Genveränderte Substanzen sind im Endprodukt also nicht enthalten. Die erste, auf diese Weise hergestellte Kuhmilch gab es schon Ende der 2020er-Jahre in Deutschland zu kaufen, den ersten Käse ebenfalls. Tierleidfreies Fleisch ließ noch etwas auf sich warten, Fisch sowieso. An Meerestieren arbeiteten lange nur wenige in der Branche.

Mit hybriden Produkten gelang der Durchbruch: 50 Prozent pflanzliche Basis wie Ackerbohnen, Tofu, Weizen oder Lupine, und 50 Prozent zelluläre tierische Fette und Proteine. Das schmeckt authentisch nach Fleisch (oder Fisch), ist aber deutlich günstiger und vor allem weniger energieintensiv in der Herstellung. Pflanzen mit „magischen Zutaten“ erwiesen sich als Schlüssel für die Proteinwende, nicht etwa vollständig kultivierte Steaks oder Filets. Die Massenproduktion dieser komplexen, faserigen Strukturen schluckt viel grüne Energie – die nicht überall ausreichend verfügbar ist. Hierzulande stellen einige wenige Manufakturen vollwertiges Kulturfleisch her, meist alte Bauernhöfe mit genügend Platz für Solar- und Windpower, wie Maja Stedes Hof. In Japan dagegen gibt es schon Mikro-Brauereien für zu Hause, zum DIY-Kultivieren in der eigenen Küche.

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Auf Stedes Hof wachsen Stammzellen von Kalb Tomte gerade in einer Nährlösung aus Algen zum Filet heran. „Ich liebe meinen Beruf, die Nähe zu den Tieren. Mit den Biotech-Konzernen wollte ich nie was zu tun haben“, sagt sie. Beim Umbau ihrer Ställe und Ausbau der Energiequellen half ihr RESPECTfarms. Die deutsch-niederländische Initiative setzt sich seit Jahrzehnten für diejenigen ein, die zu Beginn der Proteinwende vergessen wurden. Viele der Tierfarmer:innen, die noch Ackerland hatten, beliefern die Konzerne nun mit pflanzlichen Rohstoffen – Nahrung für die Mikroorganismen in den Gärtanks. Andere nahmen die staatlichen Umschulungsangebote zu Energiewirt:innen an. Doch Stede hat eine Mission: „Die zehn Prozent der Bevölkerung, die immer noch auf Fleisch von getöteten Tieren bestehen, rumkriegen.“

Global konnte bisher die Hälfte der Tierprodukte durch pflanzliche und kultivierte Nahrungsmittel ersetzt werden. Viele der Flächen, auf denen vorher Vieh gehalten oder Futter angebaut wurde, sind längst renaturiert.

Wichtigste Quellen

Gespräch mit Jens Tuider, Leiter Strategie, ProVeg International.

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