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Sicherheitspaket: Wir müssen unsere Freiheit nutzen, um sie zu verteidigen

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

SicherheitspaketWir müssen unsere Freiheit nutzen, um sie zu verteidigen

Die Regierung will mit ihrem Sicherheitspaket massiv in Grundrechte eingreifen. Der große öffentliche Aufschrei bleibt aus, doch gerade jetzt sollten wir entschieden „Stopp“ sagen. Ein Kommentar.


Gastbeitrag, Matthias Spielkamp – in Demokratieeine Ergänzung
Anfang des Jahres demonstrierten sehr viele Menschen gegen Remigrationsfantasien und für eine freie und offene Gesellschaft. Beim „Sicherheitspaket“ gehen deutlich weniger Leute auf die Straße. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / snapshot

Die Pläne der Regierung zu kommentieren, digitale Überwachung mit dem sogenannten Sicherheitspaket massiv auszuweiten, kann man sich leicht oder schwer machen. Es ist leicht, der Gemeinde der ohnehin bekehrten netzpolitik.org-Leser*innen und der digitalen Zivilgesellschaft zu erklären, dass die Pläne „der Politik“ mal wieder Grundrechte abbauen.

Sicherheitsbehörden bekommen neue Befugnisse, Menschen fühlen sich beobachtet, die Falschen werden verhaftet, die Technologien befördern Diskriminierung und so weiter und so fort. Die Argumente sind bekannt und am Ende fühlen sich alle in dem bestätigt, was sie ohnehin schon wussten. Das Parlament beschließt die Gesetze trotzdem.

Warum?

Das ist schwieriger. Es geht um die Frage, warum das Thema nicht genug Menschen zum Protestieren bringt. Oder, schlimmer noch: Warum Menschen die Argumentation sogar überzeugend finden, dass es biometrische Gesichtserkennung und KI-gestützte Datenanalyse braucht, um sicher zu leben.

Technologieeinsatz ist kaum spürbar

Einer der entscheidenden Gründe liegt wohl darin, dass diese technologiegestützten Methoden sehr abstrakt sind. Viele Menschen spüren die Folgen ihres Einsatzes nicht direkt. Und empfinden sie daher nicht als Kosten, die sie selbst tragen müssen.

Es ist beispielsweise völlig klar, dass eine Ausgangssperre zwischen 21 und 4 Uhr die Zahl der Gewaltverbrechen an öffentlichen Orten massiv verringern würden. Wäre sie durchsetzbar? Kaum. Weil Menschen sie als direkte und konkrete Einschränkung ihrer Freiheit im eigenen Alltag empfinden würden. Und sie daher sagen würden: Dieser Preis ist zu hoch.

Warum empfinden sie den Preis digitaler Überwachung als so niedrig, dass sie ihn zahlen würden, obwohl zugleich völlig unklar ist, wie Verbrechen dadurch verhindert werden können? Sicherlich deshalb, weil die meisten unter den Folgen nicht zu leiden hätten.

Rechtsextreme Kräfte sind auf dem Vormarsch.

Wir halten mit unserer Arbeit dagegen.

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„Die versus wir“

„Ich habe nichts zu verbergen“ kann eine pragmatische Haltung sein – für diejenigen, die nicht selbst von staatlicher Repression betroffen sind und sich nicht für den Erhalt von Freiheitsrechten einsetzen. Oft ist es ein „die versus wir“, die der Haltung zugrunde liegt.

Da sind Menschen, die von der Polizei mit ständigen Kontrollen drangsaliert werden, weil sie eine dunkle Hautfarbe haben. Zu denen gehören „wir“ nicht – die Mehrheit, der das nicht passiert.

Da sind die, gegen die Polizei und andere staatliche Stellen ihren ganzen Machtapparat auspacken und auch zu oft missbrauchen – etwa „Klimakleber*innen“, die als kriminelle Vereinigung verfolgt werden. Auch zu denen gehören „wir“ nicht – die Mehrheit, die keinen zivilen Ungehorsam praktiziert (oder auch nur an genehmigten Demonstrationen teilnimmt).

Nicht obwohl, sondern weil wir in einem Rechtsstaat leben

Wer dann Martin Niemöller zitiert, wird schnell als Übertreiber hingestellt. „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist“, hatte der Pfarrer in Vorträgen im Nachkriegsdeutschland gesagt. Und weiter: „Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler. Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

Wir leben in einem gefestigten Rechtsstaat, nicht unter einer Nazi-Regierung. Das kann uns also nicht passieren, ist oft eine Entgegnung. Ich halte es für falsch und sogar gefährlich, darauf lediglich zu entgegnen, dass in Thüringen eine rechtsradikale Partei bereits eine Mehrheit der Parlamentssitze hat und wir deshalb immer damit rechnen müssen, dass wir uns nicht mehr auf den Rechtsstaat verlassen können, weil die AfD alles dafür tun wird, ihn abzuschaffen

Das stimmt zwar. Aber es birgt die Gefahr zu denken: Solange wir die AfD aus der Regierung halten können, ist alles gut. Das wäre es nicht. Wie wir gerade sehen, gibt es bei SPD, CDU/CSU, FDP und Grünen so viele Scharfmacher*innen und rückgratlose Opportunist*innen, dass wir uns nicht in Sicherheit wiegen können. Sie sind bereit, Überwachung auszuweiten, um damit Stimmen bei denen zu sammeln, die nicht verstehen, dass sie selbst davon betroffen wären, und – derzeit – nicht fürchten, daraus Nachteile zu erleiden.

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Wir müssen „Stopp!“ sagen

Es muss uns daher gelingen zu vermitteln, dass unser aller Freiheit beschnitten wird, wenn wir zulassen, dass zum einen Angehörige von Minderheiten schikaniert werden, zum anderen Menschen, die sich bei Demonstrationen und anderen Gelegenheiten für politische Veränderungen einsetzen.

Das müssen wir bei jeder Gelegenheit tun, die sich bietet: indem wir Briefe und Emails an die politischen Parteien schreiben, Petitionen unterzeichnen und auf Demos gehen. Aber vor allem: Indem wir das Thema auch mit den Freund*innen und Familienmitgliedern diskutieren, von denen wir wissen oder befürchten, dass sie es nicht für notwendig halten, aktiv zu werden. Auch sie müssen wir davon zu überzeugen versuchen, dass wir alle hier und jetzt „Stopp!“ sagen müssen.

Die Voraussetzungen dafür sind so schlecht wie lange nicht mehr. Menschen, die vor Gewalt und Hunger fliehen, werden von Politik und Medien als potenzielle Attentäter*innen dämonisiert. Menschen, die den Straßenverkehr behindern, werden als Schwerverbrecher*innen verfolgt.

Nicht warten, bis es zu spät ist

Aber wir können uns daran erinnern, dass viele Menschen in vielen Gesellschaften gegen enorme Widerstände gekämpft und am Ende gewonnen haben. Und wir müssen die Chance nutzen, dass unsere Bedingungen wesentlich besser sind als die unter der Herrschaft der Nazis, in der DDR und anderswo: Wir leben nicht in einem Unrechtsstaat. Presse- und Äußerungsfreiheit sind garantiert und werden von den Gerichten grundsätzlich sehr hochgehalten, die Versammlungsfreiheit ebenso. Wir müssen diese Freiheit nutzen, um die Freiheit zu verteidigen.

Denn es wird oft vergessen, dass Niemöller nicht dafür gekämpft hatte, die Nazis von der Macht abzuhalten. Im Gegenteil: Er hatte mit ihnen sympathisiert und eben selbst geschwiegen, als sie andere verfolgten, darunter Mitglieder linker politischer Bewegungen, die der konservative Niemöller entschieden ablehnte.

Seine Einsicht kam daher zu spät, um die Katastrophe zu verhindern. Aber sie kam, und als er im Nachkriegsdeutschland seine Reden hielt, tat er es nicht vom hohen moralischen Ross herab, sondern in Sack und Asche. Mit dem Ziel zu verhindern, dass etwas ähnliches wieder passiert. Wir müssen uns also zugleich ein Vorbild an ihm nehmen und besser sein als er: Wir dürfen nicht warten, bis es zu spät ist.

Matthias Spielkamp ist Mitgründer und Geschäftsführer von AlgorithmWatch. Er ist Mitglied im Beirat des deutschen Koordinators für Digitale Dienste und Vorstandsmitglied bei Reporter ohne Grenzen, im Verwaltunsgrat der Stiftung Warentest, den Beiräten der Freudenberg-Stiftung und des Whistleblower-Netzwerks und im Fachausschuss Kommunikation/Information der Deutschen UNESCO-Kommission.

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Author: Gastbeitrag

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