Mit dem Sächsischen Förderpreis für Demokratie werden Projekte, Initiativen und Kommunen ausgezeichnet, die sich für die Stärkung der Demokratie und Menschenrechte in Sachsen engagieren und sich gegen Rassismus, Antisemitismus oder Rechtsextremismus einsetzen. Aus 50 eingegangenen Bewerbungen hat die Jury sechs Initiativen nominiert. Wir stellen sie bis zur Preisverleihung am 6. November vor.
Kinder und Jugendliche erspielen sich demokratische Werte – ein Erfolgsmodell.
(Quelle: anDemos )
Das Kaffeehaus – ein Ort der Inspiration, des Austauschs und des Wetteiferns um die besten Ideen. Im Europa der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert war es eine feste Institution, vor allem unter Literat*innen. Ob sich die Initiator*innen von ball:inclusive, Dr. Julia Schulze Wessel und Steve Bittner, dessen bewusst waren, als sie in einem Café ihre Idee für ein Projekt entwickelten, das sich in den folgenden fünf Jahren zu einem herausragenden didaktischen Konzept der politischen Bildung entwickeln und über die Grenzen Sachsen hinaus Bekanntheit erlangen würde?
„Das Besondere an dem Projekt ist, dass wir demokratische Grundwerte im Sport, im Erleben deutlich machen und nicht durch verbale Kommunikation. Die kommt dann auch nochmal im Anschluss. Aber der erste Zugang bei ball:inclusive spielt sich im Spiel, im Zusammenspiel ab.“ So beschreibt Julia Schulze Wessel die Grundidee von ball:inclusive, dem Projekt des Instituts für angewandte Demokratie- und Sozialforschung (anDemos e.V.). „Das Projekt ist sehr experimentell gestartet. Wir haben zuallererst einmal ausprobiert. Und die erste Idee, im Basketballspiel selbst demokratische Grundwerte zu erspielen, hat funktioniert.“
Das Team geht dafür in die Trainings von Kinder- und Jugendbasketballteams. Dafür werden die Trainer*innen im Vorfeld mit dem Programm vertraut gemacht, die theoretischen Grundlagen vermittelt und gemeinsam geschaut, welche Demokratieerzählung in den modifizierten Spielen zu finden ist. Die Einbindung der Trainer*innen im ländlichen Raum ist dabei die größte Herausforderung, da diese in der Regel ehrenamtlich arbeiten und daher nur begrenzt Zeit in die Projektarbeit investieren können, berichtet Julia Schulze-Wessel. Dieser Teil der Arbeit ist zentral, da die Umsetzung der Spiele durch die Trainer*innen angeleitet werden sollen. Ein vertrautes Umfeld und vertraute Personen bilden zusammen mit der Freiwilligkeit und der Orientierung an den Fähigkeiten der Teilnehmenden die Basis für die erfolgreiche Umsetzung der Spiele.
Konkret läuft das dann so ab: Zu Beginn werden die Spieler*innen kurz in das Projekt eingeführt, ohne näher auf die konkreten Grundwerte einzugehen, um die es im spezifischen Spiel gehen wird. Dadurch soll vermieden werden, dass von vornherein alle so spielen, wie sie es für gesellschaftlich akzeptabel halten, erklärt Julia Schulze Wessel. Es sollen ganz im Gegenteil nämlich Konfliktsituationen entstehen, welche dann im Nachgang herausgearbeitet und reflektiert werden. Eine Spielversion nennt sich etwa Parteiball. Hier erspielen sich die Teilnehmer*innen einen Zugang zum Thema Freiheit. Es werden zwei unterschiedlich große Teams gebildet. Um den Gruppenvorteil des größeren Teams auszugleichen, darf sich das kleinere Team eine spezielle Regel ausdenken, welche ausschließlich für das größere Team gilt. In der anschließenden Reflexionsrunde werden dann gemeinsam Diskussionsfragen besprochen: Welchen Einfluss habe ich auf die Regeln? Wie stark wird die Mehrheit eingeschränkt? Und ist ein faires Spiel noch möglich?
Die Entwicklung des Projekts
So wurde die Projektidee zum Erfolg: Der ursprüngliche Ansatz aus der Feder der beiden Politikwissenschaftler*innen Julia Schulze-Wessel und Steve Bittner war deutlich theoretischer gedacht. Die konzeptuelle Grundlage bestand vor allem aus der Auseinandersetzung mit einem komplexen Demokratiebegriff: Es sollte über die demokratische Ordnung als Norm gesprochen werden. Diese Idee hat sich allerdings sehr schnell gewandelt, weil die Kinder stark im praktischen Sportkontext geblieben sind, erklärt Schulze Wessel. Dies sei ein typisches Problem vieler Formate, die zentral über verbale Kommunikation funktionieren. Dank ihrer didaktischen Expertise – und einer Portion Mut – haben die beiden Gründer*innen aus der ersten Idee etwas völlig Neues entwickelt. Bis heute mangelt es an theoretischen Grundlagen für diese Art der Politikvermittlung. Mit der erfolgreichen Entwicklung und Umsetzung des Projektes wuchs deshalb auch das Interesse anderer Wissenschaftler*innen. Mittlerweile sind Sport- und Demokratiedidaktiker*innen mit im Team, Kooperationen mit Universitäten laufen an und wissenschaftliche Artikel erscheinen. Eine Erfolgsgeschichte in nur fünf Jahren.
Wie es weitergeht
ball:inclusive ist mittlerweile weit über Sachsens Grenzen hinaus bekannt und das Team kommt ob der hohen Nachfrage schon fast an seine Grenzen in der praktischen Umsetzung des Projekts. Als nächstes soll es raus aus der direkten Praxis, rein in die Multiplikator*innenausbildung gehen. Eine Idee ist es, das Konzept in die Fort- und Weiterbildung von Trainer*innen aufzunehmen. Aber auch die Erweiterung auf andere Sportarten ist denkbar. Insbesondere für die Umsetzung an Schulen müssten die Spiele weiterentwickelt und verändert werden, um Defiziterfahrungen während der Spiele zu vermeiden. Die Schule ist nach wie vor ein Ort, an dem ansonsten schwer erreichbare Kinder und Jugendliche angesprochen werden können. „Aber der Kontext ist von den Voraussetzungen her völlig anders“, gibt Julia Schulze-Wessel zu bedenken. „Die Schule ist erstmal ein Zwangskontext. Es kommt sehr stark auf das Verhältnis zum Lehrer an und die erste Herausforderung ist diese Begeisterung, die ja bei den Kindern und Jugendlichen, wenn sie im Verein spielen, sowieso da ist für diesen Sport und für das Training.“
Es bleibt also spannend, wie das Team um Julia Schulze-Wessel und Steve Bittner auch diese Herausforderungen mit ihrer Expertise und Kreativität meistern werden.
Aber, so Schulze Wessel: Zivilgesellschaft sei nicht die Feuerwehr. Das, was auf struktureller Ebene schieflaufe, das könne die Zivilgesellschaft nicht auffangen. Sie könne Themen einbringen, die zum Beispiel von den Parlamenten nicht so gesehen werden, Veränderungen anstoßen. Zivilgesellschaft, das ist für Julia Schulze Wesel der Ort, wo noch etwas Anderes gelebt wird, wo ein Stück von der Zukunft vorweggenommen wird. „Das, was wir brauchen ist eine Idee von einer Zukunft, wie Gesellschaft möglich ist.“