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Sachsen vor der Wahl: „Demokratie muss man lernen“

Belltower.News

Der Verein Treibhaus aus Döbeln im Gespräch: Über die AfD im Stadtrat, den Ausbruch aus der eigenen Bubble und wie Fördermitgliedschaften helfen.


Das Treibhaus in Döbeln

Am 1. September wählt Sachsen einen neuen Landtag. Es steht viel auf dem Spiel: Laut aktuellen Umfragen ist die AfD die zweitstärkste Kraft und könnte somit erstmal an einer Regierung beteiligt sein. Doch es gibt zahleiche zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich für ein demokratisches Miteinander und gegen Diskriminierung einsetzt. Belltower.News hat mit einigen davon gesprochen, um mehr von ihrer Perspektive auf die Landtagswahlen und die Situation vor Ort zu erfahren.

Der Verein Treibhaus Döbeln hat ein soziokulturelles Angebot für Menschen allen Alters geschaffen und steht mit Freiheit, Gleichheit und Solidarität für antifaschistische und rassismuskritische Grundsätze. Mit nicht kommerziellen Partizipationsangeboten bietet der Verein ganz unterschiedlichen Gruppen einen Platz für Begegnung und Austausch.

Belltower.News: Wie ist die aktuelle Situation?
Treibhaus e.V.: Unser Verein hat eine lange Geschichte: uns gibt es schon seit 27 Jahren und leider ist es auch eine Geschichte voller Angriffe und Anfeindungen. Wir haben uns aber in den letzten Jahren immer mehr geöffnet gegenüber der Stadtgesellschaft. Wir sind ein Ort der Demokratie und haben neben unserem großen Haus in der Bahnhofstraße 56 auch noch einen dezentralen Ort – ein Ladengeschäft in der Döbelner Innenstadt. Dadurch versuchen wir stärker in die Stadtgesellschaft zu wirken. Wir haben dazu gelernt und uns verändert. Es findet zwar viel in unserem Haus statt, aber wir gehen auch viel raus und arbeiten mit den Menschen hier vor Ort.

Was sind aktuelle Entwicklungen vor Ort?
Aber nicht nur die AfD ist ein Problem für uns, sondern einfach auch die Wähler*innen mit vielen undemokratischen Einstellungen hier vor Ort, die den Bündnisgründungen kritisch entgegenstehen und die man kaum noch erreichen kann.

Was ist aus eurer Sicht das Wort-Case-Szenario für die anstehenden Landtagswahlen?
Das Schlimmste wäre natürlich eine alleinige AfD-Regierung, also wenn sie die absolute Mehrheit bekommen. Oder aber auch eine Koalition aus der AfD und den Freien Sachsen – eventuell auch noch mit einer demokratischen Partei, die die Brandmauer durchbricht und sich doch entscheidet, mit der AfD zu koalieren. Beides ist aber unserer Perspektive relativ unwahrscheinlich. Ein weiterer Worst Case wäre, wenn SPD, Linke und Grüne gar nicht in den Landtag einziehen können.

+++ Hier lesen:  AfD-Experte Michael Kraske im Interview – „Ich erwarte durch die anstehenden Wahlen im Osten ein politisches Beben, das ganz Deutschland schwer erschüttern wird.“ +++

Welche Punkte machen euch Angst oder Sorgen?
Uns macht die Spaltung der Gesellschaft viele Sorgen. Dass wir die Menschen mit unserer kulturellen, demokratischen Arbeit gar nicht mehr erreichen und die Fronten so verhärtet sind und das Misstrauen so groß ist. Das geht natürlich auch mit einem Desinteresse an unserer Arbeit einher. Gleichzeitig halte ich es für besorgniserregend, dass das Misstrauen in die demokratischen Wahlen immer mehr wächst und damit auch in die demokratische Regierung. Da kommt die Angst auf, dass Wahlen nicht anerkannt oder als manipuliert angesehen werden. Dazu kommt dann eben die Sorge, dass viele Projekte wegfallen könnten, an denen natürlich auch Personalstellen und somit Existenzen hängen.

Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem es neue Formen von Demokratiearbeit braucht. Ich weiß bislang nicht genau, wie das konkret aussehen kann. Aber ich glaube, dass Demokratie eine Sache ist, die man lernen muss. Gerade hier im Osten ist zu wenig passiert und das können wir mit ganz praktischen Beispielen ändern – sei es mit einem Verein, einer Initiative, in der man sich engagiert, oder eben auch, dass man ganz klar die Bedürfnisse der Menschen abklopft, die aktuell nicht erreicht werden. Ich glaube, dass das über Demonstrationen und Demokratiefeste hinausgeht. Wir müssen auf die anderen Menschen zugehen, auch wenn gerade das die Schwierigkeit ist.

Habt ihr Ansätze, wie man genau die Menschen erreichen kann, die sonst schwer erreichbar sind?
Wir können nicht darauf warten, dass diese Menschen zu uns kommen, sondern müssen selbst auf die Menschen zu gehen. Das beinhaltet klassische Demokratiearbeit, also zum Beispiel Präsenz auf einem Dorf- oder Stadtfest oder auch an anderen Orten wie Supermärkten, aber auch, dass wir in Stadtteile gehen, wo der Anteil an Menschen, die wenig Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe haben, hoch ist. Das braucht natürlich Zeit und Ressourcen wie monetäre Mittel. Vieles ist da auch durch Covid-19 verloren gegangen; die Fronten sind verhärteter. Man begegnet Menschen nicht mehr einfach so, sondern man begegnet Menschen, die man treffen will und die in der gleichen Bubble sind. Einen so richtig offenen Austauschort gibt es einfach nicht mehr. Also ein Ort, an dem man auch auf andere Meinungen trifft und einfach diskutieren kann.

Die Situation einer Gefährdung ist für euch nicht neu. Bisher habt Ihr allen Angriffen getrotzt. Gibt es eine neue Qualität?
Auf jeden Fall, gerade weil eine Regierungsbeteiligung von der AfD für alle neu wäre. An diesem Punkt waren wir bisher nicht. Dass sie die stärkste Kraft werden, hätte man vor ein paar Jahren wahrscheinlich nicht in diesem Ausmaß erwartet. Wichtig ist, dass wir innerhalb der Stadtgesellschaft gut vernetzt sind. Und dass wir auch mit wichtigen Institutionen wie der Stadtverwaltung in einem regelmäßigen Austausch sind. Und es ist wichtig, dass wir trotzdem eine große Öffentlichkeit haben und möglichst viele Menschen mitbekommen, was wir hier für eine gute Arbeit machen. Trotzdem ist es mir auch wichtig, dass es nicht immer nur darum geht, wie schlecht hier alles ist, sondern dass wir hervorheben, welche Bedeutung so ein soziokulturelles Zentrum hat und dass eigentlich jede Stadt so ein Zentrum braucht. Wir sind ja gut vernetzt und stark – das motiviert weiterzumachen.

Welche Möglichkeiten gibt es, bspw. für Leute aus München oder Berlin, euch und ähnliche Initiativen zu unterstützen?
Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit sind wahnsinnig wichtig, damit Leute sehen, was wir hier vor Ort für Arbeit machen und gegebenenfalls auch darauf reagieren können, wenn ein Angriff passiert. Außerdem brauchen wir Geld. Gerade bei den so unsicheren Förderungsperspektiven geht nichts übers Spenden und finanzielle Unterstützung. Man kann Fördermitglied werden. Unser großes Ziel ist es im nächsten Jahr eine Stelle zu schaffen, die sich rein aus Spenden finanziert. Zusätzlich haben wir einen tollen Onlineshop mit nachhaltiger, fairer Kleidung. Als Verein brauchen wir auch Eigenmittel, die wir dadurch erwirtschaften. Das ist gerade für Menschen, die weiter weg wohnen, eine coole Chance, sich ganz im Sinne der Nachhaltigkeit zwei, drei Shirts zu kaufen und damit auch ein Statement zu setzen.

Was habt Ihr den Leuten „da draußen“ zu sagen?
Wenn bei uns was Schlimmes passiert, etwa ein Angriff, sind immer schnell viele Menschen da. Wir bekommen viel Rückmeldung. Das tut gut und ist auch extrem wichtig zu wissen in diesen Momenten. Aber es ist uns genauso wichtig, dass verfolgt wird, was wir Gutes machen, was in dem Verein eigentlich stattfindet. Ich bezeichne es oft als magisch: Wenn man hier reinkommt, hat man so ein Gefühl und bekommt die Geschichten und die Atmosphäre vom Verein mit. Und das ist wichtig: dass man mal vorbeikommt, an Veranstaltungen teilnimmt und sieht, wie viele gute Sachen wir hier tagtäglich bewerkstelligen. Und nicht nur, wenn etwas Schlimmes passiert.

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