In Dresden wurde der Sächsische Förderpreis für Demokratie verliehen. In Zeiten, die bedrohlich sind wie selten.
Am 6. November wurde in Dresden der Sächsische Förderpreis für Demokratie verliehen.
Es war ein Tag, den viele nicht so schnell vergessen werden: Morgens wird klar, dass Donald Trump zum zweiten Mal US-Präsident wird, abends dann die Nachricht, dass die Ampel-Koalition bricht. Im Lauf des Nachmittags trifft es Sachsen zusätzlich: Die Sondierungen für eine neue Landesregierung sind geplatzt. Wie es weitergeht, ist an vielen Stellen mehr als offen und verunsichernd, für eine stabile Demokratie sieht es nicht gut aus.
Zur Verleihung des Sächsischen Förderpreises für Demokratie reisen viele Nominierte und Gäste mit gemischten Gefühlen und eher niedergeschlagen an. Auch Sachsens Demokratieministerin Katja Meier zeigt sich besorgt: „Es geht um unsere Zukunft und die Zukunft der Demokratie selbst.“ Und das, obwohl in Sachsen in diesem Jahr fast 75 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme bei den Landtagswahlen abgaben. Meier erinnert an Wahlen, bei denen nicht einmal die Hälfte wählen ging. „Wahljahre sind ja eigentlich Festjahre der Demokratie. Aber unter einer gesunden Demokratie verstehe ich, dass sich Menschen ein Engagement trauen, ohne Anfeindungen befürchten zu müssen.“
Von Anfeindungen berichten viele der Initiativen, die in diesem Jahr für den Förderpreis nominiert wurden und aus allen Richtungen des Freistaates zur Preisverleihung angereist sind. „Wir ernten den gesammelten Hass des Milieus“, berichten auch die Engagierten des Bündnisses Happy Monday Bautzen, die den Montagsmahnwachen kreative Kunst- und Kulturveranstaltungen im öffentlichen Raum entgegen setzt, der seit Jahren wegen der rechtsextremen Proteste zum Angstraum wurde. „Online können wir alle liken, aber im ländlichen Raum muss man sich hinstellen und Gesicht zeigen“, erklären die Engagierten auf der Bühne. Dafür wurde das Bündnis mit einem mit 1.000 Euro prämierten Anerkennungspreis ausgezeichnet, genauso wie das Projekt Mahngang Täter*innenspuren aus Dresden, in dem sich die Beteiligten gegen ein Vergessen der NS-Geschichte Dresdens stark machen. Einen Anerkennungspreis erhielt auch der Verein Bon Courage aus Borna. Vor 15 Jahren von zwei Schwestern gegründet, die im Lauf der Zeit weitere Mitstreiter*innen gewinnen konnten, organisiert der Verein ein Beratungsangebot für Geflüchtete. Keine Selbstverständlichkeit in Sachsen, wo es regelmäßig zu flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen und Angriffen kommt. „Je ländlicher die Gegend, desto weniger Leute begegnen Geflüchteten mit einem freundlichen Gesicht“, erzählt Sandra Münch von Bon Courage. 2016 wurde das Büro des kleinen Vereins mit Steinen und Buttersäure angegriffen. Die Vereinsmitglieder hat das eher angespornt, statt abzuschrecken.
Von rechtsextremen Bedrohungen berichtet auch Wojciech Urlich. Als er 2021 von Berlin nach Görlitz zog, war er überrascht, wie vielfältig und aufgeschlossen viele Bewohner*innen sind. Während er Görlitz aus den Nachwendejahren noch als grau und trist kennt, verliebt er sich in die aufgeblühte Europastadt, in der es bereits queere Netzwerke gibt, und findet, dass es höchste Zeit für einen CSD auch hier ist. Zum dritten Mal fand 2024 mit dem CSD Görlitz Zgorzelec die einzige sächsische Pride-March in zwei Städten und Ländern statt. In diesem Jahr geriet die Demo erstmals in den Fokus rechtsextremer Gegenproteste. „Wir waren der einzige CSD in Sachsen, der bisher keine Gegenproteste hatte.“ Neonazis aus Deutschland riefen Wochen vorher dazu auf, gemeinsam mit polnischen Rechtsextremen den CSD zu stören, über 450 von ihnen reisen an und bedrohen die 700 Demo-Teilnehmer*innen, die für queere Rechte auf beiden Seiten der Grenze Flagge zeigen. Für die grenzüberschreitende Sichtbarmachung von queerem Leben erhalten die Engagierten einen Anerkennungspreis. Für Wojciech Urlich nicht nur eine Würdigung des Ehrenamts in ungezählten Abendstunden, sondern auch ein Zeichen für die Stadt: „Morgen haben wir ein Auswertungsgespräch mit der Stadt Görlitz, mit allen zuständigen Leuten aus der Verwaltung und von der Polizei. Denen werde ich die Urkunde zeigen“, erzählt er stolz. „Mein Ziel ist es, dass der CSD Görlitz Zgorzelec jetzt auch in den offiziellen Veranstaltungskalendern der Stadt auftaucht.“
Den mit einem Preisgeld von 5.000 Euro verbundenen Hauptpreis erhält an diesem Abend die Initiative Bunte Perlen Waldheim. Als im Januar 2024 die correctiv-Recherchen die Abschiebefantasien der AfD öffentlich machten und bundesweit in den größeren Städten Hunderttausende gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen, beschließt eine kleine Gruppe von Waldheimer*innen, dass es auch in der 9.000-Einwohner-Stadt Zeit ist, Flagge für die Demokratie zu zeigen. Bei Montagsspaziergängen versammelten sich hier ohnehin regelmäßig Rechtsextreme, AfD und Freie Sachsen, lange Zeit mit unangemeldeten Demonstrationen. Seit es die demokratischen Proteste gibt, müssen auch die Rechtsextremen ihre Kundgebungen anmelden. „Der öffentliche Raum gehört ihnen eben nicht selbstverständlich“, sagt Cindy Reimer von den Bunten Perlen. Beide Demonstrationen finden jedoch in Sichtweite voneinander statt, das aggressive Klima hat Folgen: Die Bunten Perlen veranstalteten ein Straßenfest, eine Märchenstunde, literarische Osterspaziergänge, Konzerte, doch das Fazit ist ernüchternd. „Das waren die Gesichter, die man kannte. Da sind keine gekommen, die vorher nicht da waren“, erzählt Josephine Döring von den Perlen. Die engagierten jungen Frauen können das sogar nachvollziehen. Vor allem die Angst, den Nazis am nächsten Tag an der Supermarktkasse wieder zu begegnen, ist real. „Am Abend demonstriert man auf unterschiedlichen Kundgebungen, am nächsten Tag bringt man die Kinder in die gleiche Kita. Gesicht zeigen, das stimmt bei uns einfach. Da ist nichts Anonymes.“ Auf die Frage, wie man sich in einer solchen Lage vor rechtsextremen Bedrohungen schützen kann, antwortet Cindy Reimer: „Wir können uns nicht schützen. Es kommt eben vor, dass vor unseren Haustüren Rechtsextreme stehen. Wir können nur zusammenhalten und aufeinander aufpassen.“
Bei den Kooperationsgesprächen mit Behörden müssen sich die Bunten Perlen gegen den Vorwurf wehren, sie würden die Stadt diffamieren. Cindy Reimer kontert: „Waldheim steht schlecht da, weil hier seit zwei Jahren unangemeldet Neonazis rumlaufen!“
Auch Schriftstellerin Anne Rabe, die alle Preisträger*innen des Abends mit einer Laudatio würdigt, kennt diesen Abwehrreflex zu gut: „Schon seit den 90ern ist es so, dass für einen Imageschaden nie die Rechtsextremen verantwortlich gemacht werden, sondern immer die, die auf die Rechtsextremen aufmerksam machen.“
Wie es gelingen kann, dass eine Verwaltung mit Einwohner*innen in den Dialog treten und zur Teilhabe anregen kann, zeigt die Stadt Rodewisch aus dem Vogtlandkreis, die sich nun „Kommune der Demokratie“ nennen darf. „Dieser übliche Bürgermeister-Sprech, vergiss es, da kommt niemand in mein Rathaus. Ich muss zu den Leuten gehen“, erklärt Bürgermeisterin Kerstin Schöniger. Mit dem ROWI-Stadtbüro entstand eine dezentrale Anlaufstelle, die die Innenstadt wiederbeleben soll. Statt das Rathaus, das außerhalb gelegen und mit beschränkten Öffnungszeiten schwerer zugänglich ist, haben die Bürger*innen nun einen gut zu erreichenden Ort. Im ROWI-Stadtbüro stehen die Türen offen, Bürger*innen können ohne Termin vorbeikommen, können sich gelbe Säcke und Formulare abholen und sich ganz nebenbei über Veranstaltungen oder Fragen zu kommunalpolitischen Ereignissen informieren. Auch verschiedene Veranstaltungen werden hier umgesetzt. Mit dem ROWI-Labor entstand ein multifunktionaler Ort der Demokratie, der als offenes Vereinsheim, als Werkstatt, als Clubkino und als Workshopraum zur Verfügung steht, ein Ort, der zur Beteiligung der Bevölkerung beitragen und motivieren soll. Das gelingt den Mitarbeiter*innen vor Ort außerordentlich gut, wie die Bürgermeisterin erzählt: „Keiner hat es vorher vermisst und jetzt ist es plötzlich nicht mehr wegzudenken.“
Gefragt, was das Geheimnis von Rodewisch ist und ob andere Kommunen das Konzept übernehmen könnten, antwortet Schöniger: „Was in Rodewisch funktioniert, wird nicht einfach so woanders funktionieren. Aber wir gehen auch gern mal auf Spionage-Tour und schauen uns woanders Dinge ab“, erzählt die Bürgermeisterin augenzwinkernd. Ihr Geheimnis ist eigentlich keines: „Man braucht Menschen, die Menschen mögen“, und meint damit ihre Mitstreiterin Babett Ludwig, die ROWI leitet. Mehr als 30 Ehrenamtliche, die sich rund um das Stadtbüro engagieren, gehören dabei zum Team und haben dazu beigetragen, dass das Labor mehr und mehr zum Mitmachlabor wurde.
Im Lauf des Abends hat sich die Stimmung im Saal des Kleinen Hauses des Staatsschauspiel Dresden völlig gewandelt: Unsicherheit und Zukunftsangst sind einer Zuversicht gewichen, die vor allem die Preisträger*innen des Förderpreises ausstrahlen: Mit Mut und Hoffnung lässt sich, auch bei starkem Gegenwind, viel für die Demokratie bewegen.