Demokratiearbeit in Sachsen hat besonders im ländlichen Raum massiv zu kämpfen. Landflucht junger Menschen, zunehmende Gewalt gegen politische Bildner*innen und eine starke AfD. Doch die Zivilgesellschaft gibt sich noch längst nicht geschlagen.
(Quelle: lilazwei, Karla Schröder)
Was haben Punks, gelbe Säcke und eine Opernsängerin gemeinsam? Alle sind Teil der Demokratiearbeit in Sachsen. Unter dem Titel „Demokratie in Fahrt“ führt eine zweitägige Bustour Mitte August ins tiefste Sachsen zu „Orten der Demokratie“, die vom Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung gefördert werden. Die zuständige Ministerin Katja Meier ist selbst in Zwickau aufgewachsen und hat die Baseballschlägerjahre der 1990er im Jugendalter miterlebt. Das beeinflusst ihre Arbeit noch heute, erzählt sie in der „Doro 40“, einem Stopp auf der Demokratietour. Insgesamt fahren 25 Teilnehmende, größtenteils Menschen aus der politischen Bildung, mit dem Bus zu fünf Haltestellen der Demokratie. Mit an Bord sind Martina Glass und Siri Pahnke von der Vernetzungsstelle „Orte der Demokratie”. Sie organisierten die Fahrt.
Jugendliche Punks, die Häuser kaufen
Die „Doro 40“ ist ein alternativer Jugendtreff: ein Punk-Schuppen mit schwarzen Wänden innen und Graffiti außen. Jugendliche Punks kaufen das Haus 2008 in Limbach-Oberfrohna. Sie gründen den Verein „Soziale & politische Bildungsvereinigung e.V.“ – und müssen sich seitdem gegen wiederholte Angriffe von Rechtsextremen wehren. Der Tiefpunkt: ein Brandanschlag auf die Räumlichkeiten. Doch sie geben nicht auf: Zwar wandern einige von ihnen in die Stadt ab, doch neue kommen hinzu. Heute besitzt der Verein drei Einrichtungen in Limbach-Oberfrohna. Neben dem Veranstaltungsraum gibt es auch einen Infoladen: beides sprechen die Szene an. In diesem Jahr eröffnen die Aktivist*innen den „Eckpunkt“: Ein Ort, der zur Vernetzung der demokratischen Initiativen und Bürger*innen in Limbach-Oberfrohna dienen soll. Hell und freundlich eingerichtet, mit weißen Wänden. Das Projekt gehört seit diesem Jahr zu den „Orten der Demokratie“.
Neben der „Sozialen & politischen Bildungsvereinigung e.V.“ sind in diesem Jahr noch fünf weitere „Orte der Demokratie“ hinzugekommen. Das Förderprogramm startete 2022 mit 13 Projekten. Die Förderung läuft über drei Jahre mit je bis zu 100.000 Euro pro Jahr. Im Koalitionsvertrag „Gemeinsam für Sachsen“ von 2019 legte die Landesregierung aus CDU, SPD und Grüne das Förderprogramm fest. Vor dem Hintergrund, dass vermehrt Bürger*innen in Deutschland sich um die Demokratie sorgen, weil sie „Spaltungen, Ausgrenzungen und Konflikte erleben“, erklärt die sächsische Demokratieministerin Katja Meier auf der Webseite.
Demokratiearbeit unter erschwerten Bedingungen
Insbesondere in Sachsen ist die Gewalt gegenüber politischen Bildner*innen besonders hoch. Jede*r fünfte erlebte 2024 bereits Gewalt und Angriffe. Auch die AfD nimmt demokratische Aktivitäten ins Visier. Seit Jahren zweifelt die rechtsextreme Partei die Gemeinnützigkeit demokratiefördernder Initiativen an. Denn gemeinnützige Vereine haben gewisse Vorteile, wie das Ausbleiben einer Körperschafts- und Gewerbesteuer. Andererseits wird jedoch die Bildung finanzieller Rücklagen durch den Status der Gemeinnützigkeit eingeschränkt. Solche Verfahren kosten die Vereine nicht nur Zeit und Geld, sie erschweren auch die Fortsetzung ihrer Arbeit erheblich.
Allgemein erscheint die Lage in Sachsen für Freund*innen der Demokratie prekär. Das wird auch im Kompetenzzentrum für Gemeinwesenarbeit und Engagement e.V. (KGE) in Aue-Bad Schlema deutlich. Neben zivilgesellschaftlichen Hürden ist es auch der Stadtrat, der dem Verein zu schaffen macht. Der Stadtrat – die AfD hat fünf Sitze, die Freien Sachsen haben drei – blockiert regelmäßig Veranstaltungen, die im öffentlichen Raum stattfinden sollen. Doch der Verein hat eigene Räumlichkeiten und nutzt sie für den Austausch. „Alle Ideen sind hier willkommen!“, sagt Angela Klier, Vorsitzende des KGE bei einem Besuch der Bustour. Dieser „Offene Bürgertreff Aue – DIE Demokratiewerkstatt“ ist seit 2022 Teil der „Orte der Demokratie“. Ob die Förderung über die drei Jahre hinausgehen kann, bewegt zurzeit viele Projekte. Die Chancen, dass es weiterläuft, stehen schlecht. Mit Blick auf die kommenden Landtagswahlen erscheinen die Aussichten auf finanzielle Stärkung von Demokratiearbeit insbesondere im ländlichen Raum düster.
Ein Lichtblick in Rodewisch
Ein deutlich positiveres Bild zeichnet sich in Rodewisch ab. Das Besondere hier: In der Kleinstadt ist die Demokratiearbeit direkt an die Stadtverwaltung angegliedert und wird von einer kämpferischen Bürgermeisterin unterstützt. Kerstin Schöniger ist eng vernetzt mit dem „ROWI Stadtbüro“ und dem 2024 eröffneten „ROWI Labor“. Das „niederschwellige Rathaus“ ist den Bewohner*innen für Fragen offen wie „Wo kriege ich gelbe Säcke her?“ oder zur Unterstützung bei Steuererklärungen oder Hilfe bei der Medienkompetenz älterer Leute.
Das Angebot des „ROWI Labor“ strotzt vor Vielfältigkeit und lädt zum Herumexperimentieren im Miteinander ein. „Ein Ort, an dem die Menschen an einen Tisch kommen und Verständnis für das Gegenüber erlangen“, beschreibt Babett Ludwig, die Citymanagerin der Stadt Rodewisch, den Raum, an dem sich laut den Mitarbeitenden viele Rodewischer*innen interessiert zeigen.
Was hat eine Opernsängerin mit Demokratie zu tun?
Nathalie Senf ist seit 2022 Projektleiterin des „Soziokulturellen Zentrums Alte Brauerei“ in Annaberg-Buchholz. Ein „Ort der Demokratie“ für „Menschen unterschiedlichen Alters, verschiedener Herkunft und vielfältiger Orientierung“. Für Senf steht bereits während ihrer Karriere als Opernsängerin fest, dass sie sich politisch einbringen möchte. Ihre erste Passion hat sie durch ihren Wechsel zur Demokratiearbeit nicht komplett aufgegeben. Mit der Gründung eines Chorprojekts geht Musik und Demokratiearbeit dort Hand in Hand. Der „HEART CHOR“ steht allen offen und verbindet Singen mit politischer Bildung.
Die Zukunft der Demokratie in Sachsen
Die Demokratiearbeit in Sachsen ist gefährdet, das zeigen die vielen Herausforderungen, denen sich die Akteur*innen stellen müssen. Doch die Beispiele von Projekten der „Orte der Demokratie“ zeigen auch: Es gibt viele Menschen, die sich dem Druck widersetzen und kreative Wege finden, um die Demokratie zu stärken. Und sie sind nicht allein. Hoffnung geben auch die 20.000 Menschen in Dresden und Leipzig, die am Sonntag für die Demokratie demonstrierten: Die Demokratie lebt – auch wenn sie in Sachsen auf einem schmalen Grat balanciert.