Die Gewalt gegen queere Menschen nimmt seit Jahren zu. Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Bundesregierung, äußerte bereits im August 2023 Sorge um die wachsende Queerfeindlichkeit. Aus gutem Grund: Innerhalb von vier Jahren (zwischen 2018 und 2022) haben sich die Straftaten gegen queere Menschen um rund 200 Prozent erhöht. Bekommen queere Menschen nun Unterstützung aus unverhoffter Richtung? Die CDU/CSU scheint sich für ihre Belange zu interessieren. Sie hat kürzlich eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, die nach Straftaten gegen queere Menschen fragt, wie unter anderem queer.de berichtete. Doch ganz im Stil der AfD wollte wissen, wie viele der Täter Nicht-Deutsche oder Geflüchtete waren. Und womöglich hatte sich die Union etwas anderes erhofft: Die Hauptverantwortlichen für die Zunahme der Straftaten waren nämlich deutsche Rechte.
Sollten Straftaten nicht immer gleich schlimm sein, egal wer sie verübt?
Auf den ersten Blick geht es in den einzelnen Fragestellungen darum, wie sich Gewalt gegen queere Menschen entwickelt, wie viele Taten vermeldet wurden und wer die Täter:innen sind. Dieser Einsatz für queere Menschen von der Unionsfraktion klingt ungewöhnlich? Ist er auch. Und so ganz frei von einer immer konservativeren und in Teilen rechten Rhetorik ist er auch nicht. Stattdessen werfen einige der Fragen einen anderen Verdacht auf. Spielt die Unionsfraktion etwa – ganz nach Vorbild der rechtsextremen AfD mit ihrem Narrativ des angeblich „importierten“ Antisemitismus und Sexismus – queere Menschen gegen Migrant:innen aus?
Zunächst steigt die Kleine Anfrage mit allgemeinen Fragestellungen ein. Es geht darum, ob die Tatverdächtigen in den polizeilichen Meldestatistiken mit Geschlecht, Alter und Nationalität erfasst werden, dann fragt die Unionsfraktion, ob eine Unterscheidung nach Schwere der Straftaten erfolgt und ob sich eine höhere Anzeigebereitschaft auf die Aufzeichnungen auswirkt. Auch erkundigt sich die Fraktion nach der Erfassung von Hasskriminalität wegen geschlechtsbezogener Diversität, Gründe für den massiven Anstieg derer sowie der Anteil von Gewaltdelikten an den Gesamtstraftaten gegen Homosexuelle und trans Menschen. Alles schön und gut. Doch ab Position neun folgen dann Fragestellungen, die auf eine bestimmte Intention der CDU/CSU hindeuten.
Die wahre Absicht hinter dem Interesse an Straftaten gegen queere Menschen
Da fragt sie nämlich, „wie viele der Tatverdächtigen von Hassverbrechen aufgrund geschlechtsbezogener Diversität“ in den vergangenen zehn Jahren Ausländer waren, sich in einem laufenden Asylverfahren befanden oder abgelehnte Asylbewerber:innen waren, die ausreisepflichtig oder im Besitz einer Duldung waren. Sie fragt sogar extrem verdächtig (Frage 8), wie lange nicht deutsche Tatverdächtige in Deutschland seien. Inwieweit das für die Beurteilung einer Straftat gegen queere Menschen relevant sein soll, wissen wir auch nicht. Tut ein Schlag eines Menschen, der seit seiner Geburt hier lebt, weniger weh oder was?
Die Formulierung der anknüpfenden Fragen geht dann schon beinahe davon aus, dass besonders viele Tatverdächtige von Hassverbrechen gegen trans Menschen, Ausländer oder Asylsuchende seien. Denn die Unionsfraktion fragt weiterhin, wie die Bundesregierung diese Entwicklung bewertet, ob die 2015/2016 erfolgte Zuwanderung aus Syrien, Afghanistan, Irak und „anderen Staaten mit teilweise homo- und transfeindlichen Gesellschaftsvorstellungen“ eine Rolle spiele und welche Maßnahmen die Bundesregierung ergreife, um „Zuwanderer aus solchen Kulturkreisen für die Belange von Homosexuellen und Transmenschen zu sensibilisieren“. Die Richtung, was man sich erhofft, mit der Antwort zu erreichen, ist deutlich.
Rechte sind hauptverantwortlich für queerfeindliche Gewalt – Ausländer-Anteil rückläufig
Sorry, liebe Unionsfraktion: Tatsächlich geht die ansteigende Gewalt gegen queere Menschen gar nicht primär von Migrant:innen und Asylsuchenden aus. Ganz im Gegenteil. Queerfeindliches Gedankengut würde sich laut Ergebnissen der polizeilichen Meldestatistiken eher in rechten Reihen als bei Migrant:innen und Asylsuchenden finden. Während die Beteiligung von Menschen mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit an Straftaten wegen sexueller Orientierung oder geschlechtsbezogener Diversität in den Aufzeichnungsjahren 2020 bis 2022 prozentual an der Gesamtmenge der Straftaten rückläufig ist, steigt die deutscher Staatsangehöriger an.
In ihrer Antwort auf die Fragestellung Nummer fünf benennt die Bundesregierung die rechte Szene als einen der wesentlichen Gründe für den „massiven Anstieg der ‚Hasskriminalität‘“. So heißt es:
„Die Erkenntnisse weisen zudem weiterhin in der Mehrzahl auf die zugrunde liegende Ideologie in der rechten Szene hin. In Anlehnung an das traditionelle Geschlechterbild und insbesondere die damit verbundene Erwartungshaltung an ‚Familie‘ werden alle anderen Lebensentwürfe abgelehnt.“
Polizeiliche Kriminalstatistik: Eine ohnehin schwierige Quelle
An dieser Stelle wollen wir auch anmerken: Selbstverständlich müssen die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik in ihren Kontext gestellt werden, schließlich handelt es sich um Eingangsstatistiken. Die Polizei nimmt die Straftaten also bereits zu Beginn der Ermittlungen unmittelbar nach der Anzeige auf. Infos über Tatverdächtige stammen also von einem Anfangsverdacht, der sich möglicherweise während näherer Ermittlungen nicht bestätigen lässt. Was jedoch im Rahmen dieser Ermittlungen möglicherweise über die Identität des Täters oder der Täterin herauskommt und vom Anfangsverdacht abweicht, schlägt sich nicht in der Statistik nieder. Mehr zu diesem Dilemma in diesem oder auch diesem Text.
Unionsfraktion spielt marginalisierte Gruppen gegeneinander aus
Diese Kontextualisierung dient jedoch keineswegs der Entkräftigung der vorangegangenen Fakten: Die Kleine Anfrage der Unionsfraktion scheint wenig Interpretationsspielraum ihrer Intention zu lassen. Es scheint, als versuche sich die CDU/CSU an einer perfiden Taktik, in der normalerweise die AfD brilliert. Sie nimmt zwei marginalisierte Gruppen (in diesem Fall queere Menschen und Menschen mit Fluchterfahrung oder Migrationshintergrund) und versucht, sie gegeneinander auszuspielen. Während die Unionsfraktion in der Vergangenheit nicht gerade durch ihren Einsatz für queere Menschen aufgefallen ist (ganz im Gegenteil), setzt sie sich nun in ihrer Kleinen Anfrage vermeintlich für dessen Sicherheit ein – auf Kosten einer anderen marginalisierten Gruppe.
Das Problem liegt in der rechten Szene
Straftaten gegen queere Menschen nehmen zu, das hat offensichtlich auch die CDU/CSU verstanden. Schuld daran sind aber vor allem rechte Deutsche, an die sich in Teilen die Union selbst rhetorisch annähert. Der Anteil von Nicht-Deutschen ist sogar zurückgegangen. Wer genau wie die AfD versucht, wider jegliche Realität für alle Probleme Migranten und Schutzsuchende verantwortlich zu machen, wird dieses Problem nie lösen, nein, durch die Stärkung des Rechtsextremismus im Lande verstärkt man es offensichtlich dann nur.
Vielleicht hilft nun die Antwort der Bundesregierung, die mit Zahlen aus der polizeilichen Kriminalstatistik eindrücklich zeigt: Das Problem liegt bei deutschen Staatsangehörigen. Genauer: Bei rechten Staatsangehörigen. Genau denjenigen, deren Narrative man immer öfter bedient. Liebe Union, wenn euch wirklich am Wohlergehen von queeren Menschen gelegen ist, bekämpft die rechte Desinformation in den eigenen Reihen – speziell die, die gegen queere Menschen gerichtet ist. Und versucht nicht, die AfD zu kopieren.
Artikelbild: Kamil Zajaczkowski
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