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„Proportional die meisten“: Merz-Aussage zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien und Afghanistan ist falsch
Bei einer Bundespressekonferenz sagte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, Deutschland habe proportional zu seiner Größe die meisten Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan aufgenommen. Das stimmt nicht.
von Paulina Thom
Es gebe kein zweites Land auf der Welt, das auch nur annähernd – proportional zu seiner Größe – eine solche große Zahl von Flüchtlingen aus Syrien und Afghanistan aufgenommen habe wie Deutschland.
27.08.2024
Falsch
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Falsch. Weder in absoluten Zahlen noch relational zur Bevölkerungsgröße oder Fläche hat Deutschland die meisten Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan aufgenommen. Im weltweiten Vergleich haben beispielsweise die Türkei, der Libanon, Jordanien oder der Iran in Bezug auf ihre Bevölkerungsgröße deutlich mehr Geflüchtete aufgenommen.
Seit dem Anschlag auf einem Volksfest in Solingen, bei dem drei Menschen mutmaßlich von einem Syrer mit einem Messer getötet und mehrere verletzt wurden, diskutieren Politikerinnen und Politiker über mögliche Konsequenzen für die Migrationspolitik.
Bei der Bundespressekonferenz am 27. August 2024 sprach CDU-Chef Friedrich Merz über seine Forderungen, darunter etwa Änderungen des Aufenthaltsrechts, aber auch ein Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien und Afghanistan. Einige der Vorschläge sind laut Expertinnen und Experten umstritten, andere rechtlich schwer oder kaum umsetzbar. Die Forderung nach einem Aufnahmestopp relativierte Merz bereits am nächsten Tag.
Um seine Forderung zu untermauern, sagte Merz bei der Bundespressekonferenz, in Deutschland lebten derzeit fast eine Million Menschen aus Syrien, 400.000 aus Afghanistan. Und weiter:„Es gibt kein zweites Land auf der Welt, das auch nur annähernd – proportional zu seiner Größe – eine solche große Zahl von Flüchtlingen aus Syrien und Afghanistan aufgenommen hat wie Deutschland.“
Doch ein Vergleich mit anderen Ländern zeigt, dass das nicht stimmt.
Türkei hat derzeit die meisten Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen, der Iran die meisten aus Afghanistan
Daten dazu, wie viele Flüchtlinge einzelne Länder bis Ende 2023 aufgenommen haben, finden sich beim Flüchtlingskommissariat (UNHCR) der Vereinten Nationen (UN). Die UN definieren einen Flüchtling im „Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“ aus dem Jahr 1967 als Person, die:
„aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.“
In absoluten Zahlen zeigt sich, dass die Türkei derzeit mit großem Abstand die meisten geflüchteten Menschen aus Syrien aufgenommen hat: Mit mehr als 3,2 Millionen Menschen leben in dem Land knapp über die Hälfte aller insgesamt 6,435 Millionen geflüchteten Syrerinnen und Syrer. An zweiter Stelle folgt der Libanon (rund 785.000) und erst an dritter Stelle Deutschland (rund 706.000).
Auch bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan belegt Deutschland nicht den ersten Platz. In absoluten Zahlen hat der Iran mit mehr als 3,7 Millionen die meisten Menschen aus Afghanistan aufgenommen, gefolgt von Pakistan mit knapp 2 Millionen. Deutschland liegt mit etwas mehr als 255.000 aufgenommenen Flüchtlingen an dritter Stelle. Global auf der Flucht sind laut Bericht des UNHCR etwas mehr als 6,4 Millionen Afghaninnen und Afghanen. Knapp 60 Prozent von ihnen leben nach den Zahlen der UN im Iran.
In Deutschland leben etwas mehr als eine Million afghanische und syrische Schutzsuchende
Bei den Zahlen des UNHCR handelt es sich um anerkannte Flüchtlinge oder Menschen in einer „Flüchtlings ähnlichen Situation“ („refugee-like situation“).
Zu den Begrifflichkeiten erklärt das Bundesamts für Migration und Flüchtlinge auf seiner Webseite: „Der Begriff Flüchtling wird zwar im Alltag vielfach als Synonym für geflüchtete Menschen genutzt, im Verständnis des Asylrechts umfasst er jedoch ausschließlich anerkannte Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention, das heißt Personen, die nach Abschluss eines Asylverfahrens den Flüchtlingsschutz erhalten.“ Es gibt in Deutschland drei weitere Schutzformen: die Asylberechtigung, den subsidiären Schutz und das Abschiebeverbot. Diese Schutzformen sind in den Zahlen des UNHCR enthalten.
Neben des Zahlen des UNHCR erfasst auch das Statistische Bundesamt Daten zu Flüchtlingen. Die Anzahl anerkannter Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan ist dort geringer als bei der UNHCR.* Beim Statistischen Bundesamt ist zudem zusätzlich erfasst, wie viele schutzsuchende syrische und afghanische Menschen in Deutschland leben. Hierzu zählen neben Menschen mit einem anerkannten auch solche mit einem offenen oder abgelehnten Schutzstatus. Demnach lebten hierzulande Ende 2023 711.650 Schutzsuchende aus Syrien und 322.570 Schutzsuchende aus Afghanistan.
Insgesamt lebten laut Ausländerzentralregister 972.460 Menschen aus Syrien und 419.410 Menschen aus Afghanistan. Auf diese Zahlen scheint sich Merz in seiner Aussage zu berufen. Jedoch sind darunter auch Menschen mit anderen Aufenthaltstiteln, beispielsweise zur Ausübung eines Berufs oder zum Studium.
Deutschland hat weltweit auch proportional nicht die meisten Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan aufgenommen
Weder in absoluten Zahlen, noch proportional zur Bevölkerung – wie Friedrich Merz behauptet – hat Deutschland die meisten Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan aufgenommen. Das belegt ein Datenabgleich von den Zahlen der UN mit der jeweiligen Bevölkerungsgröße von 2023, die wir von der Weltbank übernommen haben. Für den Abgleich sind nur Länder einbezogen worden, in denen gegen Ende 2023 mindestens 1.000 Flüchtlinge aus einem der beiden Länder lebten.
Das Ergebnis: Verglichen mit der eigenen Bevölkerungszahl liegt der Libanon mit gerundet 147 Geflüchteten aus Afghanistan und Syrien pro 1.000 Einwohner weit vorn. Es folgen Jordanien, der Iran und die Türkei. Erst nach Österreich und damit an sechster Stelle steht Deutschland mit elf Geflüchteten aus den beiden Ländern pro 1000 Einwohner. Nimmt man für den weltweiten Vergleich anerkannte und offene Schutzsuchende, landet Deutschland einer Auswertung des nach noch einen Platz dahinter, nach Zypern.
Laut dem UNHCR-Bericht für 2023 gibt es weltweit 117,3 Millionen Zwangsvertriebene, mehr als die Hälfte von ihnen sind Binnenflüchtlinge (68,3 Millionen). Von den anderen leben 69 Prozent in den jeweiligen Nachbarländern. Im Hinblick auf alle Geflüchteten weltweit liegt Deutschland in absoluten Zahlen mit 2,6 Millionen auf Platz vier der Aufnahmeländer. Davon sind mehr als eine Million ukrainische Geflüchtete.
Auch wenn Friedrich Merz – der auf unsere Nachfrage dazu und zu seiner Datengrundlage bis zur Veröffentlichung dieses Artikels nicht reagierte – mit „proportional zur Größe“ die Fläche der Länder gemeint haben sollte, bleibt seine Äußerung falsch, wie der ARD-Faktenfinder zeigt. Unter Berücksichtigung von Flüchtlingen und Schutzsuchenden landet Deutschland mit etwa 3.000 Menschen pro 1.000 Quadratkilometer auf Rang vier, deutlich hinter dem Libanon und etwas knapper hinter Jordanien und der Türkei.
* Sowohl der UNHCR als auch das Statistische Bundesamt nennen als Quelle für ihre Zahlen das Ausländerzentralregister. Bei den Zahlen zu anerkannten syrischen Flüchtlingen gibt es eine Diskrepanz, die man uns nicht erklären konnte: Der UNHCR geht von rund 80.000 Menschen mit Anerkennung mehr aus als das Statistische Bundesamt. Bei afghanischen Flüchtlingen geht das UNHCR ebenfalls von mehr Menschen aus. Hier beträgt die Differenz aber nur rund 3.000 Menschen. Wir haben mit der jeweils höheren Zahl des UNHCR gerechnet.
Redigatur: Matthias Bau, Uschi Jonas
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
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Author: Paulina Thom