Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.
Die EU will die medizinischen Daten von Millionen Bürger:innen zusammenführen. Für diesen Europäischen Gesundheitsdatenraum laufen gerade die finalen Verhandlungen. Bürgerrechtsorganisationen warnen: Patient:innen brauchen mehr Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten und ein umfassendes Widerspruchsrecht.
Seit knapp zwei Jahren debattiert die EU über den sogenannten Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS). Er soll den Austausch von Gesundheitsdaten innerhalb der Union erleichtern – und zwar für medizinische Behandlungen (Primärnutzung) und Forschung (Sekundärnutzung).
Aktuell handeln EU-Parlament, Ministerrat und Kommission im Trilog eine gemeinsame Position zum EHDS aus. Sie ringen dabei nicht zuletzt um die Frage, ob und inwieweit Bürger:innen der Weitergabe und Verwendung ihrer persönlichen Gesundheitsdaten widersprechen dürfen. Und die Zeit drängt: Noch vor den Europawahlen im Juni soll die Verordnung verabschiedet werden.
In einem offenen Brief fordern nun 13 europäische Organisationen und Gewerkschaften den Rat dazu auf, die Grundrechte der europäischen Patient:innen zu stärken. Alle Menschen in der EU sollten demnach das Recht erhalten, der primären und insbesondere sekundären Nutzung ihrer medizinischen Daten widersprechen zu können („Opt-out“). Den offenen Brief haben unter anderem die Organisationen European Digital Rights (EDRi), Epicenter.works, die Freie Ärzteschaft und der Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit unterzeichnet.
Sie stellen sich damit grundsätzlich hinter die im Dezember beschlossene Position des EU-Parlaments. Diese räumt „natürlichen Personen ein Widerspruchsrecht gegen die Registrierung ihrer personenbezogenen Daten“ in einer elektronischen Gesundheitsakte ein. Konkret sollen die Mitgliedstaaten jeweils festlegen, dass Versicherte der Weitergabe und Nutzung ihrer Gesundheitsdaten an den EHDS widersprechen können.
Keine Kontrolle ohne Opt-out
Zugleich kritisieren die Organisationen den Verordnungsentwurf der Kommission aus dem Mai 2022. Er sieht keinerlei Widerspruchsrecht für die Betroffenen vor, behauptet aber gleichzeitig, dass der EHDS den Bürger:innen mehr Kontrolle über ihre privaten Gesundheitsdaten gebe. Solange aber keine Opt-out-Möglichkeit in allen Mitgliedstaaten bestehe, so der offene Brief, gebe es diese Kontrolle schlichtweg nicht.
Ein fehlendes Widerspruchsrecht beschädige außerdem den Grundsatz der Vertraulichkeit zwischen Behandelnden und Patient:innen, so die unterzeichnenden Organisationen. Und es untergrabe zentrale Grundsätze des Datenschutzes, wie sie die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) festlegt.
Ihr Widerspruchsrecht könnten Patient:innen obendrein nur dann effektiv wahrnehmen, wenn sie dieses Recht auch kennen. Der offene Brief fordert daher, dass Behandelnde ihre Patient:innen „proaktiv“ und neutral über ihre Rechte informieren müssen.
Erst wenn Patient:innen in diesem Sinne eine umfassende Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten erhalten, so das Fazit des Briefes, verdiene der Europäische Gesundheitsdatenraum auch deren Vertrauen.
Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.
Zur Quelle wechseln
Zur CC-Lizenz für diesen Artikel
Author: Daniel Leisegang