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Neuer X-odus: Millionen Menschen stürmen Bluesky

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Neuer X-odusMillionen Menschen stürmen Bluesky

Musks Plattform X wird von einer weiteren Exodus-Welle erfasst. Vor allem der Konkurrent Bluesky profitiert davon, während das unkommerzielle und dezentrale Fediverse leer ausgeht. Woran liegt das?


Markus Reuter – in Technologiekeine Ergänzungen
Von der neuen Abwanderungswelle von Musks Plattform X profitiert derzeit vor allem Bluesky. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / NurPhoto

Der Kurznachrichtendienst Bluesky hat zuletzt täglich eine Million neue Nutzer:innen gewonnen, er wächst damit gerade ähnlich schnell wie Threads vom Meta-Konzern. Insgesamt hat die Twitter-Alternative jetzt 19 Millionen registrierte Accounts, von denen fast 1,5 Millionen täglich posten. Damit überholt er die dezentrale Twitter-Alternative Mastodon deutlich.

Nach der US-Wahl, dem von Elon Musk unterstützten Sieg Trumps und verschiedenen Regeländerungen wandern immer mehr Menschen und Organisationen von X ab, das sich zunehmend zur toxischen rechten Propaganda-Plattform entwickelt. Zuletzt hatte der Guardian mit seinen 80 Accounts und 27 Millionen Followern den Rückzug aus X verkündet. Fußballvereine wie der FC St. Pauli, Kulturveranstaltungen wie die Berlinale, österreichische Journalist:innen, sowie Prominente wie Stephen King oder Jamie Lee Curtis kehren Musk den Rücken. Viele von ihnen gehen nun zu Bluesky.

Bei Bluesky gab es aufgrund des massiven Ansturms zuletzt Performance-Probleme, auch drängen vermehrt Troll-Accounts und Spammer auf die Plattform, was bei Bluesky offenbar Probleme in der Moderation verursacht.

Erfolgsfaktoren beim Exodus

Der Erfolg eines Kurznachrichtendienstes liegt an verschiedenen Faktoren. Ein Faktor ist die Präsenz von Prominenten, Medien, Journalist:innen, Institutionen und Organisationen der Zivilgesellschaft. Je mehr solche followerstarken Accounts die Nutzer:innen dort vorfinden, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass Neue dort hingehen, bleiben wollen und auch selbst aktiv werden.

Wichtig ist außerdem – neben der einfachen Zugänglichkeit und Benutzbarkeit – eine einladende Kultur gegenüber denjenigen, die neu zu einem Dienst hinzustoßen. In all diesen Bereichen kann Bluesky offenbar immer mehr punkten. Hinzu kommt, dass sich der Wechsel von Twitter/X zu Bluesky nicht wie ein Bruch anfühlt: Der Dienst ist sehr ähnlich aufgebaut. Wie beim alten Twitter erscheinen die Posts einfach in umgekehrter chronologischer Reihenfolge, Nutzer:innen können allerdings selbst Algorithmen bauen und einsetzen. Insgesamt fühlt sich Bluesky an wie Twitter – nur ohne Hass und Hetze.

Auch das deutschsprachige Bluesky entwickelt sich derzeit rasant und seit einigen Wochen stellt sich dort in Nachrichten- und Ereignislagen wie dem Bruch der Ampel erstmals das Gefühl ein, dass diese Ereignisse auch entsprechenden Widerhall in Postings finden und Nutzer:innen auch wirklich neue Informationen über das Ereignis auf dem Netzwerk bekommen. Bis eine der Twitter-Alternativen allerdings ernsthaft Musks Plattform gefährdet, dürfte es trotz der wiederkehrenden Ausstiegswellen immer noch ein weiter Weg sein.

Kritik auch an Bluesky

Auch bei Bluesky ist der Himmel nicht immer wolkenlos. Der Dienst steht von Anfang an in der Kritik, weil Twitter-Gründer Jack Dorsey in der Vergangenheit seine Finger im Spiel hatte und weil der Dienst auf ein eigenes Protokoll namens AT Protocol setzt statt auf den Platzhirsch ActivityPub.

Theoretisch kann Bluesky auch dezentral betrieben werden, in der Realität liegt es derzeit in der Hand einer so genannten Benefit Corporation. Diese Unternehmensform beschreibt ein profitorientiertes Unternehmen, das einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft haben soll. Der positive Einfluss ist jedoch nicht gesetzlich geregelt oder näher spezifiziert. Damit ist Bluesky nicht vor einer so genannten Enshittification geschützt, bei der Dienste durch die Profitinteressen der Eigentümer und die daraus folgenden Änderungen immer schlechter für die Nutzer:innen werden.

Zudem hat Bluesky in jüngster Vergangenheit 15 Millionen Dollar von Blockchain Capital erhalten, einem Risikokapitalfonds mit Fokus auf Kryptowährungen. Der hat durch die Investition einen Sitz im Vorstand von Bluesky bekommen. Am Investment gibt es Kritik, da mit Brock Pierce einer der Mitgründer von Blockchain Capital Kontakte zum rechtsradikalen US-Strategen Steve Bannon hat. Bluesky sagt zu dem Vorwurf, dass Brock Pierce weder in Bluesky involviert sei, noch bei Blockchain Capital in den letzten Jahren eine Rolle gespielt habe.

Bluesky kündigte im Zuge der Investition an, dass es für eine Finanzierung über Premium-Funktionen nachdenkt, versicherte aber, dass die Zahlenden keine Vorteile in Sichtbarkeit und Reichweite erhielten, wie es bei X der Fall ist. Bluesky hat zudem erklärt, dass es die Postings der Nutzer:innen nicht zum Training von Künstlicher Intelligenz verwenden wird.

Warum profitiert das Fediverse nicht?

Im Gegensatz zu Bluesky und Threads stagniert das freie Mastodon seit Monaten bei etwa 15,4 Millionen registrierten Accounts, die Anzahl der monatlich aktiven Nutzer:innen liegt bei knapp 900.000. Mastodon ist Teil des Fediverse und über das ActivityPub-Protokoll theoretisch zu anderen sozialen Netzwerken wie Threads kompatibel. In der Realität aber haben viele Server sich zu Metas Threads abgegrenzt und dieses Netzwerk blockiert. Zu Bluesky gibt es für Mastodon eine Art Behelfsbrücke, für andere Fediverse-Dienste sogar echte Kompatibilität.

Es existieren viele gute Gründe, warum eigentlich eher das unkommerzielle und freie Fediverse von den Abwanderungen bei Twitter profitieren sollte, denn das böte die Chance auf echte Unabhängigkeit von profitorientierten Unternehmen. Doch in der Realität sieht es gerade nicht so aus: Die etwas sperrige und unzugängliche Kultur von Mastodon und eine in Teilen schlechte Usability sind eine Einstiegshürde und schrecken Menschen ab. Im Gegenzug ist die Bereitschaft der Wechselnden sich auf etwas Neues und in Teilen Komplizierteres einzulassen nicht stark genug.

Hinzu kommt auch ein in vielen Mastodon-Instanzen wehender Geist von Nischigkeit, Abgrenzung und Politikfeindlichkeit sowie eine Ablehnung der Twitterkultur generell, die von vielen auf Mastodon als sensationsheischend und reichweitengeil wahrgenommen wird. Die Folge: Die Plattform wirkt dann wenig attraktiv für Menschen, die nach einer Alternative zu Twitter suchen.

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Author: Markus Reuter

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