Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.
Die EU-Länder wollen den im Dezember erreichten Kompromiss nicht akzeptieren, das Parlament keine nachträglichen Zugeständnisse an die Mitgliedstaaten. Damit scheint das Gesetz für bessere Arbeitsbedingungen auf den letzten Metern zu kippen. Noch wird aber weiterverhandelt.
Die Richtlinie zur Plattformarbeit steht vor dem Aus. Eigentlich hatten sich EU-Parlament und EU-Rat im Dezember schon auf eine endgültige Fassung geeinigt. Damit müssen beide Institutionen dem geplanten Gesetz nur noch einmal zustimmen, was normalerweise eine Formalität ist. Einige Mitgliedstaaten, besonders Frankreich, verweigern aber ihre Zustimmung. Bisher haben auch Versuche, die Verhandlungen wieder in Lauf zu bekommen, keine Wirkung gezeigt.
Eigentlich will die EU mit dem Gesetz die Arbeitsbedingungen von Arbeiter:innen auf Plattformenf wie etwa Uber verbessern. Ein weit verbreitetes Problem im Sektor ist Scheinselbstständigkeit, dass also Arbeiter:innen, die eigentlich angestellt sein müssten, stattdessen formell selbstständig sind und dadurch Rechte verlieren. Hier soll die Richtlinie es Arbeiter:innen leichter machen, ihre Rechte durchzusetzen. Außerdem sollen sie besser darüber informiert werden, wie automatisierte Systeme über sie Entscheidungen treffen.
Belgien versucht zu vermitteln
Das alles wird nun vermutlich nicht mehr kommen – oder zumindest nicht mehr bald oder in der Form, auf die sich die Institutionen im Dezember geeinigt haben. Im neuen Jahr hat Belgien die EU-Ratspräsidentschaft und damit den Vorsitz der nun weiter geführten Triloggespräche übernommen. Vorher waren die Verhandlungen von Spanien geführt worden – einem sozialdemokratisch regierten Land, dem einige Mitgliedstaaten zu große Nähe zum arbeiter:innenfreundlichen Entwurf des Parlaments vorwarfen.
Der neue belgische Vorsitz versuchte dann zuerst einmal, die Verhandlungen einfach weiterlaufen zu lassen, wo sie stehenblieben: Laut Euractiv präsentierte er Parlament und Rat Anfang Januar einen neuen Text, der beinahe haargenau dem gescheiterten Kompromiss entsprach. Dieser Ansatz scheint, wenig überraschend, bei den Mitgliedstaaten auf wenig Freude gestoßen zu sein, weshalb Belgien wenige Tage später einen neuen Entwurf nachlegte.
Annäherung an Mitgliedstaaten
Dieser Entwurf ist, wie von den Mitgliedstaaten gefordert, in einigen Punkten stark verwässert. Das beginnt mit dem Kern des Gesetzes, wie es die EU-Kommission ursprünglich geplant hatte: der Liste an Kriterien. Anhand derer soll sich feststellen lassen, ob es sich bei der Plattform um einen Arbeitgeber handelt oder nicht. Das soll etwa daran festgemacht werden, ob eine Plattform eine Höchstgrenze für die Bezahlung der Arbeiter:innen festlegt, die über sie arbeiten.
Im Kommissionsentwurf galt ein Arbeitsverhältnis als scheinselbstständig, wenn es zwei von fünf dieser Kriterien erfüllte. Das Parlament hatte diese Kriterien umgekehrt, der Rat die Zahl erhöht, zwischendurch wurde wieder nah am ursprünglichen Kommissionentwurf verhandelt. Der Rat hat nun eine neue Version vorgelegt, die größtenteils wörtlich seine Forderungen von vor den Trilogverhandlungen übernehmen: Sieben statt fünf Kriterien sollen es sein, von denen mindestens drei erfüllt sein müssen, um als Arbeitgeber:in zu gelten.
Wenn Gewerkschaften unternehmensfreundlich sind
Hinzu kommt der Streit um die sogenannte „französische Ausnahmeregelung“: Gesetze und Tarifverträge sollen die Scheinselbstständigkeits-Kriterien nicht auslösen können. Wenn eine Plattform also etwa eine Obergrenze für die Bezahlung einer Arbeiterin festlegt, weil das in einem anderen Tarifvertrag so festgelegt ist, dann soll das nicht als Anzeichen für Scheinselbstständigkeit dienen.
Die Parlamentsseite sieht das als massives potenzielles Einfalltor für „gelbe“ Gewerkschaften – also von Unternehmen selbst gegründete und unternehmensfreundliche Gewerkschaften. Die könnten in einem Tarifvertrag großen Einschränkungen der Rechte von Arbeiter:innen zustimmen. Aufgrund der Ausnahmeregelung könnten die Betroffenen nichts dagegen unternehmen. Diese Befürchtung ist nicht aus der Luft gegriffen: Es gibt ähnliche Beschwerden bereits in Belgien und dem Vereinigten Königreich.
Keine Änderungen plant die Ratspräsidentschaft dagegen im Bereich des sogenannten algorithmischen Managements, also den neuen Regeln zu mehr Transparenz bei Entscheidungen durch Algorithmen. Diese Regelungen waren auch in den vorherigen Verhandlungen schon weniger umkämpft.
Ansonsten fordert der Rat mehr Rechte für die Mitgliedstaaten. So sollen sie etwa selber bestimmen dürfen, ob nicht nur Arbeiter:innen, sondern auch ihre Vertreter:innen etwa in Gewerkschaften eine eventuelle Scheinselbstständigkeit überprüfen können sollen.
Eine Totalblockade der Gesetzgebung?
Ob all diese Änderungen irgendeinen Effekt haben werden, ist momentan zweifelhaft. Der neue belgische Vorstoß fand zwar anscheinend Zustimmung im Rat, dafür findet die Parlamentsseite die Eingeständnisse gegenüber der Ratsposition nicht vertretbar. Das haben die Abgeordneten auch bei einer neuen Trilogsitzung gestern Abend klar gemacht.
Parlament und Rat versuchen nun noch einen letzten Anlauf, um sich auf einen gemeinsamen Text für die Annahme eines Angestelltenverhältnisses zu einigen. Eine weitere Trilogsitzung am 8. Februar wird wahrscheinlich die letzte Gelegenheit sein, noch eine Lösung zu finden.
Das Problem ist aber auch eher, dass der Gesetzgebungsprozess der EU ins Lächerliche gezogen wird: Die Institutionen hatten sich bereits geeinigt, Nachverhandlungen sollte es eigentlich nicht mehr geben. Am Trilogprozess gibt es zwar eine Menge berechtigte Kritik wegen mangelnder Transparenz, aber er ist zumindest ein funktionierender Weg, neue Gesetze zu verabschieden. Den drohen diese späten Einwände nun zu blockieren. Ein ähnlicher Fall war die Blockade der FDP gegenüber dem Verbrenner-Aus im vergangenen Jahr.
„Das Verhalten des Rats ist ein Affront gegenüber dem Parlament“, sagte Dennis Radtke zu netzpolitik.org. Der Deutsche ist Schattenberichterstatter für die konservative EVP für die Richtlinie. „Sollte eine Einigung tatsächlich scheitern, dann muss man die Verantwortlichen dafür benennen; zum einen Olaf Scholz, der sich einmal mehr von der FDP am Nasenring durch die Manege führen lässt und zum anderen Emmanuel Macron, dem die Interessen von Uber offenbar wichtiger sind als die von prekären Beschäftigten in Frankreich und dem Rest der EU.“
Deutschland enthält sich bei allen Abstimmungen zur Richtlinie im EU-Rat, weil die FDP eine Zustimmung blockiert.
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Author: Maximilian Henning