Drücken Sie „Enter“, um den Inhalte zu überspringen

Massenüberwachung: Deutschland will Chatkontrolle im Rat nicht zustimmen – aber ist das ein „Nein“?

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

MassenüberwachungDeutschland will Chatkontrolle im Rat nicht zustimmen – aber ist das ein „Nein“?

Justizminister Buschmann sagt, dass Deutschland der Chatkontrolle „nicht zustimmen“ werde. Doch ob das ein „Nein“ ist oder eine Enthaltung wollen weder das Justizministerium noch das Innenministerium sagen.


Markus Reuter, Daniel Leisegang – in Überwachung3 Ergänzungen
Jetzt liegt es an Nancy Faeser. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Bernd Elmenthaler

Bei der geplanten Abstimmung über die Chatkontrolle im Rat am Donnerstag will die Bundesregierung offenbar „nicht zustimmen“. Das verbreitete Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) per Pressemitteilung. Ob diese Nicht-Zustimmung ein „Nein“ oder eine Enthaltung ist, hat Buschmanns Ministerium auf kurzfristige Anfrage nicht beantwortet, sondern auf das federführende Bundesinnenministerium verwiesen. Das Ministerium von Nancy Faeser (SPD) wollte sich auch nach mehrmaliger Nachfrage von netzpolitik.org jedoch nicht zum Abstimmungsverhalten äußern. [Siehe Update]

Der Bundesjustizminister gibt sich in seinem Statement jedenfalls eindeutig: „Die Chat-Kontrolle darf nicht kommen!“ Sie bedeute nichts anderes als das anlasslose und massenhafte Scannen – selbst verschlüsselter – privater Kommunikation. Ein derart schwerer Eingriff in die Privatsphäre der Bürger sei unverhältnismäßig, so der Minister.

„Nicht mit liberalen Rechtsstaat vereinbar“

Weiter heißt es im Statement von Buschmann:

Kein Mensch würde auf die Idee kommen, dass ich einem staatlichen Aufseher etwa mein Fotoalbum zur Vorabkontrolle vorlegen müsste, bevor ich einem Freund meine jüngsten Urlaubsfotos zeige. Freiheitsrechte und Datenschutz sind auch im digitalen Raum keine Rechte zweiter Klasse. Für mich ist klar: Die Bundesregierung wird der Chat-Kontrolle nicht zustimmen. Wir werben für Freiheit und Privatsphäre statt anlassloser Massenüberwachung. Sollte der AStV morgen dennoch die Chat-Kontrolle durchwinken, werden wir in den Trilog-Verhandlungen uns mit aller Kraft einbringen. Ich halte die Chat-Kontrolle für nicht mit dem liberalen Rechtsstaat vereinbar.

Die Abstimmung der Länder am Donnerstag in Brüssel ist keine formale Abstimmung, aber die belgische Ratspräsidentschaft wird prüfen, ob ihr Vorschlag genügend Unterstützung findet. Nach monatelanger Uneinigkeit ist in den vergangenen Wochen Bewegung in die Verhandlungen gekommen, da Frankreich plötzlich eine mögliche Zustimmung signalisiert hat. Wenn Frankreich kippt, könnte die umstrittene anlasslose Massenüberwachung im EU-Rat die nächste Hürde nehmen, weil dann bei der folgenden formalen Abstimmung die Sperrminorität knapp verfehlt würde.

Grundsätzliches Problem bleibt

Der Vorschlag der belgischen Ratspräsidentschaft (PDF) sieht verschiedene Änderungen vor, die aber laut einmütiger Meinung von IT-Sicherheitsexpert:innen nichts an der Tatsache ändern, dass Verschlüsselung durch den Entwurf massiv geschwächt wird.

So sieht der belgische Entwurf vor, dass Dienste das Risiko einschätzen müssen, ob auf ihren Plattformen Straftaten begangen werden. Das bedeutet, dass die Chatkontrolle vor allem Dienste treffen dürfte, die viel Anonymität und Verschlüsselung bieten. Die Dienste sollen zudem Bilder, Videos und URLs durchsuchen, nicht aber Audio und Text, wie es noch in früheren Konzepten zur Chatkontrolle vorgesehen war.

Zudem sollen Nutzer:innen einer Chatkontrolle zustimmen, sonst dürfen sie keine Bilder und Videos hochladen. Dieses Modell wird als „Upload Moderation“ bezeichnet. Dieses Modell suggeriert eine „Freiwilligkeit“, ist aber eine „erzwungene Zustimmung“, weil Nutzer:innen sonst nur um Kernfunktionen beschnittene Dienste bekommen.

Kritik wird wieder lauter

Mit der nahenden Abstimmung wird auch die Kritik an dem Vorhaben wieder lauter. Gestern hatten 36 Abgeordnete einen offenen Brief (PDF) zur Chatkontrolle veröffentlicht, in dem sie unter anderem vor Massenüberwachung und einem „Klima des Generalverdachts“ warnen. Mit ihrer Kritik stehen die Abgeordneten nicht allein. Dass der vorliegende belgische Vorschlag die Verschlüsselung privater Kommunikation entscheidend schwäche, sagen außerdem der Threema-Messenger, der Industrieverband eco, die Chefin des Signal-Messengers Meredith Whittaker sowie der Chaos Computer Club.

Update: In einer Pressemitteilung spricht sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser klar gegen den vorliegenden Vorschlag aus:

Die sogenannte Chatkontrolle lehnen wir ab. Deutschland wird im Rat deshalb mit Nein stimmen, wenn es beim aktuellen Vorschlag bleibt. Denn wir müssen gezielt handeln und die rechtsstaatliche Balance halten. Verschlüsselte private Kommunikation von Millionen Menschen darf nicht anlasslos kontrolliert werden. Darin sind wir uns in der Bundesregierung seit langem einig. Auch im Europäischen Parlament gibt es daran breite Kritik.

Zur Quelle wechseln
Zur CC-Lizenz für diesen Artikel

Author: Markus Reuter

Views: 3
Free & easy ad network.