Er ist ohne Frage der berühmteste Weltreisende aller Zeiten. Noch heute gilt Marco Polo als der erste Europäer, der China bereist hat. Vor 700 Jahren starb der große Venezianer. Grund für eine Veranstaltung im Italienischen Kulturinstitut in Köln.
Von Christoph Mohr
Wir schreiben das Jahr 1324. In Venedig, seiner Heimatstadt, stirbt der Kaufmann Marco Polo, wohlhabend, angesehen, aber wohl nicht mehr. Keine europäische Berühmtheit wie 400 Jahre später Casanova. Und doch wurde sein Buch über die China-Reise, die er Jahrzehnte zuvor unternommen hatte, eines der berühmtesten Bücher der Weltgeschichte. Das China, das er beschrieb, war so unglaublich, unglaublich reich, unglaublich groß(artig), dass der Reisebericht bald auch „Die Wunder der Welt“ genannt wurde oder einfach „Il Milione“.
Dabei ist vieles, was man über Marco Polo zu wissen glaubt, schlichtweg falsch. Als Marco Polo 1271 nach China aufbrach, waren es nicht Abenteuerlust oder Entdeckerfreude, die ihn motivierten. Der 17-Jährige wurde schlicht mitgenommen, von seinem Vater Niccolò und seinem Onkel Maffeo, beides Händler wie die gesamte Familie Polo vor und wohl auch nach ihm. Und die Gebrüder Niccolò und Maffeo waren möglicherweise selbst auf einer früheren Reise schon bis nach Fernostasien gelangt.
Gleichzeitig war der China-Aufenthalt auch keine Handelsreise im eigentlichen Sinne. Marco Polo kehrte erst 1295 nach Venedig zurück, blieb also über 20 Jahre in China, wo er in die Dienste des chinesischen Kaisers trat, als eine Art Verwaltungsbeamter.
Marco Polo ist nicht einmal der Autor des Buches, für das er weltberühmt wurde. Der Autor ist ein gewisser Rustichello da Pisa, ein Autor von Artusromanen, mit dem Marco Polo einige Jahre im Gefängnis in Genua saß. Als Kriegsgefangener! Venedig hatte gerade eine Seeschlacht gegen den Erzrivalen Genua um die Vorherrschaft im Levantehandel verloren, in der Marco Polo als Kommandant einer Kriegsgaleere involviert war.
Marco Polo ist auch nicht der erste Europäer, der den chinesischen Kaiserhof erreichte (und darüber einen Bericht verfasste). Diese Ehre kommt einem Mann zu, dessen Name heute nur noch Experten kennen: Johannes de Plano Carpini, ein Franziskaner, der sich im Auftrag von Papst Innozenz IV auf die Reise in das ferne China machte und seine Erfahrungen in einer umfangreichen „Historia Mongalorum“ zusammenfasste.
Nicht einmal der Titel von Marco Polos Reisebericht ist gesichert, ganz zu schweigen, dass es kein gedrucktes Buch war. Gutenberg erfand den Buchdruck bekanntlich erst 1450. Rustichello da Pisa nannte seine Version in franko-italienischer Sprache „Le Devisament dou Monde“, was man mit „Das Buch von der Vielfältigkeit der Welt“ übersetzen könnte, sehr deutlich anders als „Il Milione“, der Titel der ersten Übersetzung in das Toskanische, unter dem das Buch heute bekannt ist. Umstritten ist sogar, ob „Il Milione“ die Zahl meint oder vielleicht eine Spottbezeichnung für den Verfasser ist, dem man seine Beschreibungen nicht abnahm oder ganz einfach der Beiname der Familie Polo, der auf das venezianische Vierte Emilione verweist.
Auch ist das China, das Marco Polo beschreibt, nicht das teetrinkende Kaiserreich hinter der großen Chinesischen Mauer, die erst während der Ming-Dynastie (1368 – 1644) erbaut wurde. Marco Polos China ist das der Mongolenkaiser; seine Helden heißen Dschingis Khan und Kublai Khan, sein Boss.
Wer sich auf Marco Polo einlässt, der entdeckt noch viele andere Dinge, die so ganz anders sind, als man zu wissen glaubt. Tatsächlich ist es faszinierend, sich die Welt am Ende des 13. Jahrhunderts vor Augen zu führen, zu dem Zeitpunkt also, zu dem Marco Polo in China war.
Köln, die größte Stadt des deutschen Reiches, hatte etwa 40.000 Einwohner, Venedig, die Handelsmetropole, aber bereits über 100.000. Und während Köln durch den Warenhandel entlang des Rheins zwischen Norditalien und England reich wurde, kontrollierte Venedig, „die Königin der Adria“, als Seemacht das gesamte östliche Mittelmeer, eroberte zeitweise sogar Konstantinopel (das heutige Istanbul). Venedig blickte nach Osten, da war der Reichtum, an die Levante, über Konstantinopel hinaus in’s Schwarze Meer, bis in’s sagenhafte Indien.
Die größten Städte in Europa waren zu diesem Zeitpunkt übrigens mit jeweils etwa 150.000 Bewohnern Paris – und Granada, die Hauptstadt des islamischen-maurischen Sultanats der Nasriden, deren prachtvolle Alhambra noch heute Pflichtprogramm für jeden Andalusien-Touristen ist.
Khanbaliq, oder Cambaluc, wie Marco Polo es nannte, die prächtige Hauptstadt des Großkhans, in der der Venezianer zwei Jahrzehnte lebte, hatte jedoch schon deutlich über 500.000 Einwohner. Kein Wunder also, dass der Besucher aus Europa hier alles groß(artig) fand. Die Stadt kennen wir heute unter einem anderen Namen: Sie heißt Peking (Beijing).
All dies wird in Köln der Journalist und Schriftsteller Tilman Spengler erklären, der selbst studierter Sinologe ist und auch über China geschrieben hat. Er wird sicher auch eine Antwort auf die Frage haben, was denn die Chinesen über diesen „kleinen“ Europäer Marco Polo denken.
Die Freunde
Organisiert wird die Marco Polo-Veranstaltung im Italienischen Kulturinstitut von den „Freunden des italienischen Kulturinstitutes in Köln e.V.“, einem eigenständigen Verein, der im Kulturhaus Italiens ein durchaus ansehnliches eigenes Programm mit regelmäßigen Veranstaltungen verantwortet.
Ein besonderes Faible haben die „Freunde“ für Dantes „Divina Commedia“ („Göttliche Komödie“). Zu diesem großen Werk der italienischen Literatur gibt es eine eigene Lektüre-Reihe unter der Leitung des Dante-Experten Dr. Thomas Brückner, im Hauptberuf Oberstudienrat an der Goetheschule in Essen. Sechsmal wird es die „Lecture Dantis“ noch in diesem Jahr geben. Italien braucht sich um die Pflege seines großen Nationaldichters in Köln wahrlich keine Sorgen zu machen!
Präsident der „Freunde des italienischen Kulturinstitutes in Köln e.V.“ ist seit fast zehn Jahren Wolfgang Reuter. Der promovierte Mediziner ist laut Linkedin-Eintrag im Hauptberuf Chief Medical Officer der ERGO Versicherungsgruppe und freier Berater. Vizepräsidentin ist die Archäologin Christiane Vorster, ihres Zeichens Honorarprofessorin am Institut für Archäologie der Uni Bonn.
www.freunde.iiccolonia.de
Marco Polo in Venedig
Im heutigen Venedig erinnert nur wenig an den – neben Casanova und Vivaldi – berühmtesten Sohn der Stadt.
Übernachten kann man in der Ca’Amadi, einem Palazzo aus dem 13. Jahrhundert, der ursprünglich der Familie Polo gehört haben soll. Schöner Wink der Geschichte: Der Palazzo wurde im 15. Jahrhundert von Graf Francesco Amadi erworben, dessen Namen er noch heute trägt. Doch die Amadi waren ursprünglich weder Venezianer noch adelig: Sie waren bayerische Kaufleute, Zuwanderer in die reiche Handelsmetropole Venedig. Dafür, dass Francesco Amadi ihn bei einem Aufenthalt in Venedig beherbergte, hat Kaiser Friedrich III. diesem 1452 die Grafenwürde verliehen. Heute ist die Ca’Amadi ein charmantes kleines Boutique-Hotel.
Unweit der Ca’Amadi findet sich ein kleiner Innenhof mit eher unscheinbaren Gebäuden. Nur eine Marmorplatte mit der Inschrift „Corte Seconda del Milion“ erinnert daran, dass einige der anliegenden Häuser der Kaufmannsfamilie Polo gehört haben.
Begraben wurde Marco Polo in der Familiengruft in der Kirche San Lorenzo in Castello. Teil des Klosters San Lorenzo, einst eines der reichsten der Stadt. Die Grablege der Familie hat jedoch die Jahrhunderte nicht überdauert.
Erhalten hingegen ist das Testament Marco Polos aus dem Jahr 1323. Es befindet sich heute in der prachtvollen Biblioteca Nazionale Marciana an der Piazza San Marco. Zwei Details sind bemerkenswert: Zum einen hinterließ Marco Polo, sehr ungewöhnlich für diese Zeit, seinen gesamten Besitz seiner Frau und seinen drei Töchtern. Zum anderen enthält das Testament auch die Bestimmung, einem „tartarischen Sklaven“ die Freiheit zu gewähren, den Marco Polo offenkundig aus China mit nach Venedig gebracht hat.
In diesem Jahr ist noch bis zum 29. September 2024 im Dogenpalast (Palazzo Ducale) die Ausstellung „I Mondi di Marco Polo“ (Die Welten des Marco Polo) zu sehen. Die Kuratoren Giovanni Curatola und Chiara Squarcina haben 300 Exponate aus verschiedenen Museen in Italien, in Europa, sowie in Armenien, Katar und China zusammengebracht, die die Reisen des venezianischen Kaufmanns illustrieren.
https://www.zdf.de/nachrichten-sendungen/heute-in-europa/marco-polo-ausstellung-in-venedig-100.html
Im Großen und Ganzen macht Venedig aber recht wenig aus dem Jubiläum, vor allem nicht in „globaler“ Perspektive. Wie so etwas hätte aussehen können, zeigt die Website
https://www.marcopolo700.org/#About
Dahinter steht keine italienische, sondern eine in London ansässige britische Stiftung, deren finanzieller Hintergrund unklar bleibt. Doch die Website verspricht wohl mehr als tatsächlich umgesetzt wird.
Bedauern mag man auch, dass zwei deutsche Unternehmen, die sich mit dem Namen Marco Polo schmücken, es nicht für nötig befunden haben, im Marco Polo-Jubiläumsjahr ihres großen Namensgebers zu gedenken, weder der in München beheimatete Reiseveranstalter Marco Polo Reisen noch der Reiseführer-Verlag Marco Polo.
Gut, dass es in Köln die „Freunde des italienischen Kulturinstitutes in Köln e.V.“ gibt !
Marco Polo: Il MilioneVortrag von Tilman Spengler
Italienisches Kulturinstitut in Köln
Universitätsstraße 81
50931 Köln
Mittwoch 12.06.2024
19 Uhr
Wer mehr wissen will
Biographie
Marina Münkler
Marco Polo. Leben und Legende
C.H. Beck 2015 8,95 €
Textausgaben
Marco Polo
Die Wunder der Welt: Il Milione
Die Reise nach China an den Hof des Kublai Khan
Übersetzung: Aus dem Französischen von Elise GUIGNARD
Insel TB, 2003
(nicht mehr lieferbar, nur noch antiquarisch)
Marco Polo
Il Milione: Die Wunder der Welt
Übersetzung: Aus dem Französischen von Elise GUIGNARD
Manesse Verlag 45,– €
Faksimile-Ausgabe
Die in der französischen Nationalbibliothek aufbewahrte Ausgabe des Buches ist in einer Faksimile-Ausgabe der Regensburger Firma Ziereis Faksimiles auf dem Markt.
Venedig
Arne Karsten
Geschichte Venedigs
C.H. Beck 2023 12.– €
Gerhard RÖSCH
Venedig. Geschichte einer Seerepublik. Kohlhammer, Stuttgart u. a. 2000, ISBN 3-17-014547-9.
Frederic LANE
Seerepublik Venedig
Prestel Verlag 1980
China
Karénina KOLLMAR-PAULENZ
Die Mongolen. Von Dschingis Khan bis heute.
C.H. Beck 2011
Morris ROSSABI
Khubilai KHAN. His Life and Times
University of California Press 1988
Für wissenschaftlich Interessierte
Marina MÜNKLER
Erfahrung des Fremden. Die Beschreibung Ostasiens in den Augenzeugenberichten des 13. und 14. Jahrhunderts
Akdamie-Verlag, Berlin, 2000
Gerhard RÖSCH
Venedig und das Reich. Handels- und verkehrspolitische Beziehungen in der deutschen Kaiserzeit (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom. Bd. 53).
Niemeyer, Tübingen 1982, ISBN 3-484-82053-5.
Felicitas SCHMIEDER
Europa und die Fremden. Die Mongolen im Urteil des Abendlandes
Jan Thorbecke Verlag 1994
Kontakt
Freunde des italienischen Kulturinstitutes in Köln e.V.
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50931 Köln
Tel: 0221-404816
italiano@freundeiiccolonia.de