Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.
Liebe Leser:innen,
Brüssel ist berüchtigt für sein schlechtes Wetter. Als ich im August vergangenen Jahres hierher gezogen bin, war es sommerlich warm. Die Leute haben mir gesagt: Genieß das schöne Wetter, das wird nicht lange halten. Tatsächlich hat sich der Sommer dann bis in den Oktober hineingezogen. Perfekt für Bier und Fritten vor einer Bar auf irgendeinem Platz. Von den Bars gibt es hier sehr viele.
Dieses Jahr hat sich der Brüsseler Sommer verspätet. Ein bisschen Sonne im Frühjahr, aber wirklich erst diese Woche. Während ich diesen Text schreibe, ist der Himmel blau und die Blätter der Bäume schimmern im Sonnenlicht.
Die Ruhe vor dem Sturm
Es war also eine gute Woche, um mal eine Pause einzulegen und Bars zu besuchen. Denn auch der Politikbetrieb in Brüssel ist eingeschlafen. Das Parlament ist verwaist, alle Abgeordneten sind beim Wahlkampf in ihren Mitgliedstaaten. Die Kommission bereitet sich auf das neue Mandat vor. Vielleicht wird es eine zweite Amtszeit für Ursula von der Leyen geben, vielleicht setzen sich die Regierungschefs auch mal wieder über die Wahl hinweg und benennen jemand anderen. Das hier ist schließlich Brüssel, das kriegt außerhalb davon sowieso niemand mit, könnte man meinen.
Wobei Europa derzeit ein bisschen mehr über die EU zu reden scheint als sonst. Das ist für mich immer schwer zu beurteilen. In Brüssel reden alle immer über die EU. Zumindest in der Blase, in der ich hier unterwegs bin. Da geht man auf eine Geburtstagsparty – und zack, die Hälfte der Leute arbeitet bei der Kommission und es geht den ganzen Abend um Kommissarin X und Strategie Z.
Aber auch in diesen Unterhaltungen herrscht inzwischen weitgehend Rätselraten. Wie geht die Wahl aus? Und vor allem: Wer kriegt danach welche Posten? Die Verhandlungen beginnen direkt am Montagmorgen und werden sich wahrscheinlich durch den gesamten Sommer ziehen. Politico hat eine übersichtliche Timeline dazu erstellt.
Namen, Posten und Intrigen
Wichtig ist zunächst, welche Abgeordneten wiedergewählt werden oder neu ins Parlament einziehen. Das werden wir uns in der nächsten Woche genau anschauen, sobald die Wahlergebnisse vorliegen.
Dann gerät die Chefin des Ganzen in den Fokus, die Kommissionspräsidentin. Gerade ist das Ursula von der Leyen. Ihre Partei, die Europäische Volkspartei, wird die Wahl wahrscheinlich gewinnen. Damit ist sie aber wie gesagt noch nicht am Ziel. Denn vor ihrer Wahl müssen die Regierungschefs der Mitgliedstaaten sie noch nominieren, und dann muss das Parlament sie bestätigen. An beiden Hürden könnte sie noch scheitern.
Sollte sich von der Leyen durchsetzen, muss sie ihre Kommissar:innen benennen. Die Mitgliedstaaten schlagen Kandidat:innen vor, aus denen von der Leyen dann auswählen kann. In den vergangenen Monaten gab es außerdem viele Diskussionen um einen Kommissionsposten für die Verteidigung, der erstmals besetzt werden könnte. Schließlich muss dann noch das Parlament die Kandidat:innen bestätigen. Dafür gibt es Marathon-Fragerunden. Und am Ende werden die Abgeordneten einige der Kandidat:innen vermutlich ablehnen.
Das Parlament muss ebenfalls seine Posten neu besetzen. Zentral sind die Ausschüsse: Wer wird wo Mitglied, wer übernimmt den Vorsitz? Das entscheidet darüber, wer in den kommenden Jahren zu welchen Themen arbeiten wird. Aus netzpolitischer Sicht sind etwa der Ausschuss für Binnenmarkt und der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten wichtig. Dann müssen die Abgeordneten noch verhandeln, wer welche der liegengebliebenen Themen weiterbearbeitet.
Am Ende werden Kommission und Parlament ihre mehr oder weniger neuen Teams für die nächsten fünf Jahre zusammengestellt haben. Dann erst geht die wirkliche Arbeit erst weiter.
Ich setz mich jetzt erst mal in die Brüsseler Abendsonne. Euch auch ein schönes Wahlwochenende.
Max
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Author: Maximilian Henning