Autor:innen: Anna-Sophie Heinze und Benjamin Höhne. Dieser Text erschien zuerst bei Verfassungsblog. Überschriften teilweise ergänzt durch Volksverpetzer.
Vor wenigen Wochen verkündete Arne Raue seinen Eintritt in die AfD. Im Zuge des aktuellen Anstiegs an Mitgliedsanträgen bei den politischen Parteien (Wahlkampfzeiten sind parteipolitische Mobilisierungsphasen) keine größere Nachricht – wäre Raue nicht hauptamtlicher Bürgermeister in Jüterbog (Brandenburg). Damit wächst die Anzahl kommunaler Spitzenposten der Alternative für Deutschland (AfD), die seit 2023 erste Bürgermeister und einen Landrat stellt, bisher stets männliche und in Ostdeutschland. Doch auch ohne diese Spitzenämter schafft es die Partei schon jetzt die politische Arbeit und Debattenkultur auf kommunaler Ebene zu beschädigen. Gleichzeitig versucht sich die Partei kommunal als Kümmerpartei zu gerieren und stößt dabei durchaus auf fruchtbaren Boden. Wie lässt sich dem entgegenwirken und die pluralistische Demokratie stärken?
Durch kommunale „Kümmerpolitik“ in den Mainstream?
Zunächst ist festzuhalten, dass die direkten politischen Gestaltungsmöglichkeiten auf der kommunalen Ebene beschränkt sind. In den kommunalen Vertretungskörperschaften werden vor allem Landes- und Bundesgesetze umgesetzt. Jene Körperschaften verfügen über keine legislative Kompetenz (man spricht von Rechtsetzungsakten anstatt Gesetzen) und können deswegen formal nicht als Parlament bezeichnet werden.
Ungeachtet dessen wird im kommunalen Wahlkampf in populistischer Manier gerne mal gefordert, dass man mit Putin verhandeln, die Grenze schließen oder raus aus dem Euro solle, wie von Robert Sesselmann in Sonneberg (Thüringen). Seit seiner Wahl zum ersten AfD-Landrat ist es hingegen vergleichsweise ruhig geworden. Auch in Raguhn-Jeßnitz (Sachsen-Anhalt) hat sich Hannes Loth seit seiner Wahl zum AfD-Bürgermeister nicht an seine Wahlversprechen gehalten und stattdessen beispielsweise die Gewerbesteuer sowie die Kitabeiträge erhöht. Dass Loth nach seinem Amtsantritt große Straßenlöcher provisorisch schließen ließ, kam bei den Bürger:innen jedoch sicherlich gut an.
Kommunales Mainstreaming durch „unverfängliche“ Themen
Die AfD-Amts- und Mandatsträger:innen hängen ihre Parteimitgliedschaft bisher nicht an die große Glocke – und zwar aus strategischem Kalkül. Indem sie sich als lokale „Kümmerer“ inszenieren (und dabei an das frühere Image der PDS als regionale Interessenvertretungspartei des Ostens anknüpfen) und die Parteiideologie vermeintlich zurückstellen, rücken rechtsradikale bis rechtsextreme Positionen über ihre Repräsentanten schrittweise in die Mitte der Gesellschaft. Man will als „normal“ und nah bei den Menschen wahrgenommen werden. Dies ist den früheren rechtsradikalen bis rechtsextremen Parteien (vor allem der Nationaldemokratischen Partei Deutschland, der Deutschen Volksunion oder den Republikanern) nie gelungen. Sie befanden sich immer in der gesellschaftlich weithin stigmatisierten „rechten Ecke“.
Jenes Mainstreaming ist auch in vielen anderen europäischen Ländern schon länger zu beobachten. In Frankreich, Italien, Österreich und der Schweiz etwa nutzen Rechtsaußenakteur:innen in lokaler Regierungsverantwortung bewusst eher „unverfängliche“ Themen, vor allem in den Bereichen Infrastruktur, Kultur und kommunale Finanzen, zur eigenen Profilierung. Das Ergebnis? Die Bürger:innen waren mitunter begeistert, dass es vor Ort nun sauberer sei und es mehr Blumen gäbe.
Blauäugige Reaktionen der demokratischen Parteien?
Doch die AfD muss nicht in Regierungsverantwortung sein, um Einfluss auszuüben. So ist die Partei seit Jahren – und anders als sie stets behauptet – in die Arbeitsabläufe der Kommunalparlamente eingebunden, etwa durch ihre Repräsentant:innen in den Leitungs- und Lenkungsgremien (z.B. durch Vorsitzende wie im früheren Stadtrat von Gera oder stellvertretende Vorsitzende und Ausschussvorsitzende) oder ihre Mitarbeit bei der Willensbildung und Entscheidungsfindung (z.B. durch das Diskutieren von Anträgen, das Beantworten von Anfragen oder die klassische Ausschussarbeit). Auch die übergeordnete Landesebene verhält sich im Zusammenspiel mit AfD-geführten Gemeinden kooperativ, wie der geschäftsführende Ministerpräsident in Thüringen, Bodo Ramelow, in einer Talkrunde des NDR Ende November dieses Jahres einräumte. Wer möchte schon politische Entscheidungen zum Wohle der Bürger:innen blockieren, nur weil deren Gemeinde von einem AfD-Mann repräsentiert wird?
Aber nicht nur das: Manche Mitglieder demokratischer Parteien wollen mitunter nicht wahrhaben, wie gefährlich die Zusammenarbeit mit einer antipluralistischen, teils rechtsextremen und menschenrechtsverachtenden Partei ist, die durch die Verfassungsschutzämter in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde. In derselben Talkrunde berichtete die sächsische Sozialministerin Petra Köpping darüber, wie schwierig es mitunter sei, die Brandmauer gegen die AfD auf der kommunalen Ebene aufrechtzuerhalten. Die verantwortlichen Politiker:innen kennen sich untereinander, schätzen sich womöglich auch für positive menschliche Eigenschaften, teils seit Jahrzehnten.
Auch geht es zumeist um politische Sachfragen, die ideologiefern erscheinen, wie die Planung einer neuen Ortsumgehung oder die Lösung von Problemen bei der Abfallentsorgung. So kann die persönliche Abgrenzung im Einzelfall – menschlich nachvollziehbar – politisch sehr schwerfallen. Sie darf aber nicht die Einsicht vernebeln, dass eine gemeinsame Sache mit der AfD ihr am Ende in die Hände spielt. Schließlich wird sie so – trotz ihrer destruktiven Arbeitsweise – durch die anderen Parteien in den Stand eines vermeintlich seriösen und demokratischen Mitspielers erhoben.
gibt es die „brandmauer“ überhaupt noch?
Zuletzt gibt es auch noch diejenigen Personen, insbesondere in der CDU, die offen eine Zusammenarbeit mit der AfD fordern. Nachdem die AfD nach ihrer Gründung erstmals in die Landtage einzog, gab es hier und dort bereits gemeinsame Abstimmungen mit der CDU. Als man erkennen musste, dass eine sich zunehmend radikalisierende AfD gekommen war, um zu bleiben, nahm die Debatte um eine konsequente Abgrenzung an Fahrt auf. Sie kulminierte im November 2024 in einem fraktionsübergreifenden Antrag im Deutschen Bundestag zu einem Verbotsverfahren der AfD. Auch Stimmen aus der Rechtswissenschaft, die ein Parteiverbotsverfahren fordern, sind lauter geworden.
Auch aufgrund der schwierigen Koalitionsbildungsprozessen nach den drei Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im vergangenen Herbst, ist in jüngster Zeit zum Teil wieder eine gegensätzliche Debattenrichtung zu beobachten. Die Wahlergebnisse führen in Verbindung mit dem deutschen Cordon Sanitaire um die AfD in den drei Landesparlamenten dazu, dass die demokratischen Parteien direkt (gemeinsame Koalition) oder indirekt (Unterstützung einer Minderheitsregierung) mit dem erst Anfang dieses Jahres gegründeten Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) kooperieren müssen. Dies ist alles andere als unproblematisch, da diese Partei Züge einer populistischen Anti-System-Partei erkennen lässt.
Vor diesem Hintergrund haben jüngst sechs ehemalige CDU-Abgeordnete und Landräte in Sachsen einen offenen Brief verfasst, unter ihnen der frühere Generalsekretär und Landwirtschaftsminister Frank Kupfer. In dem Brief der Altvorderen heißt es: „Rund 30 Prozent der Sachsen haben die AfD gewählt und der Respekt vor den Wählern fordert, auch mit den von diesen gewählten Abgeordneten zu reden.“ Offen blieb allerdings, ob darunter Koalitionsgespräche oder nur ein informeller Austausch verstanden werden solle. Auf jeden Fall artikulierten sie Unbehagen an der einseitigen Zusammenarbeit mit den politisch linken Kräften.
Indirekte Einflüsse auf das Meinungsklima in den Kommunen
Aber die AfD greift nicht immer nur zum Mittel der politischen Selbstverharmlosung. Manchmal zeigt sie ganz deutlich, worum es ihr wirklich geht. In den Parlamenten missbraucht sie seit vielen Jahren ihre parlamentarische Rechte und bricht demokratische Prinzipien und Gepflogenheiten. Vor allem agitiert sie gegen Minderheiten und die pluralistische Demokratie insgesamt. Dabei hat sich durch die Rechtsverschiebung öffentlicher Diskurse schon indirekt viel mehr Einfluss als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Dies zeigt sich aktuell bei der Migrationsdebatte, die eine Versicherheitlichung erfahren hat. Die Verschiebung führt dazu, dass kaum noch über positive Integrationsbeispiele und die Frage, wie Integration gelingen kann oder wie händeringend gebrauchte Fachkräfte aus dem Ausland angeworben werden können, gesprochen wird. Stattdessen werden Menschen mit Migrationshintergrund als Sicherheitsrisiko diffamiert und Vorschläge für sicherheitspolitische Maßnahmenpakete dominieren den Diskurs.
In den Kommunen zeichnen sich weitere bedenkliche Entwicklungen ab. Beispielsweise hat der Bautzener Kreistag gefordert, die Position der Ausländer:innen- und Integrationsbeauftragten abzuschaffen. In Pirna wurde eine Ausstellung zu migrantischen Perspektiven durch das Landratsamt einen Tag nach dem Aufbau wieder abgehängt. Theaterstücke werden abgesagt und Kulturschaffende in die Defensive gedrängt. Weitere Beispiele ließen sich finden. Womöglich sind sie Vorboten eines flächendeckenden Trends angesichts einer erstarkenden AfD.
Wie konnte es dazu kommen? Die AfD besitzt auch in den Gemeinden, in denen sie nicht den Bürgermeister- oder Landratsposten besetzt, zahlreiche Einflussmöglichkeiten. Im Juni 2024 fanden in acht deutschen Bundesländern Kommunalwahlen statt. In vielen Gemeinde- und Stadträten sowie Kreistagen legte die Partei deutlich an Stimmen zu – teilweise sogar so sehr, dass nicht alle ihre Mandate besetzt werden konnten, da sie nicht über ausreichend eigene Kandidat:innen verfügte.
veränderte debattenkultur bis hin zu anfeindungen
Seitdem die AfD in den kommunalen Gebietskörperschaften vertreten ist, hat sich die politische Arbeit und die Debattenkultur in diesen deutlich verändert. So berichten viele Mitglieder jener Kommunalvertretungen von einer stärkeren Polarisierung der Debatten und völlig neuen Verhaltensweisen. Dazu gehören etwa gezielte Provokationen durch AfD-Mitglieder sowie Versuche, politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse zu blockieren, etwa durch das massenhafte, wiederholte Stellen ähnlicher Anträge und das zeitliche „Sprengen“ von Debatten durch sich wiederholende Redebeiträge. Jene Arbeitsweisen waren schon früh auch in den Landesparlamenten als Obstruktion beobachtbar. Mit vermeintlich harmlosen Anfragen sollen als links geschmähte Kultur- oder Demokratieprojekte, die öffentlich finanziert werden, eingeschüchtert und delegitimiert werden.
Bei den anderen Parteien führt dies teilweise zu einer hohen Frustration und Erschöpfung bis hin zum Rückzug. Dies wirkt sich auf der kommunalen Ebene besonders schmerzhaft aus, da dort schon länger ein politisches Rekrutierungsproblem besteht. Die wenigen Personen, die die kommunale Ebene mit Leben füllen, stehen durch die rechten Demokratiefeinde und ein verändertes Klima immer mehr unter Druck.
Verstärkt wird dieser Trend durch die zunehmenden verbalen bis körperlichen Angriffe auf kommunale Politiker:innen. So trat im Herbst zum Beispiel Silvio Witt, Oberbürgermeister in Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern), nach zehn Jahren aus seinem Amt zurück und nannte unter anderem persönliche Anfeindungen als einen Grund. Zudem hatte der Stadtrat gegen seinen Willen beschlossen die Regenbogenfahne nicht mehr zu hissen. In der Vergangenheit hatten Unbekannte dieses Symbol, das für Toleranz, Vielfalt und Weltoffenheit steht, mehrfach gegen eine Fahne mit Hakenkreuz getauscht.
Schule der Demokratie und ihre Repräsentant:innen schützen und stärken
Die skizzierten Entwicklungen auf der kommunalen Ebene sind höchstgefährlich für die Demokratie und eine vielfältige Gesellschaft. Dabei ist die kommunale Ebene eine zentrale Arena für die Verbindung zwischen Bürger:innen und den politischen Parteien. Nicht ohne Grund wird sie gern als Schule der Demokratie bezeichnet. Vor Ort kommen die Menschen am leichtesten und häufigsten mit Politiker:innen in Kontakt, etwa bei Veranstaltungen, Bürgersprechstunden oder auch und gerade im Wahlkampf wie zur bevorstehenden Bundestagswahl. Wenn das Personal der demokratischen Parteien fehlt, werden sich auch demokratische Räume schließen. Dies wiederum wäre ein Nährboden für ein weiteres Erstarken der (populistischen) radikalen bis extremen Rechten.
Es ist daher von zentraler Bedeutung, demokratische Prinzipien zu schützen und lokale Demokrat:innen zu stärken. Die demokratischen Parteien müssen zusammenstehen, wenn illiberale Positionen vertreten werden, der Kulturbetrieb eingeschüchtert und mit verdecktem oder offen zur Schau gestelltem Rechtsextremismus gegen Geflüchtete oder Minderheiten vor Ort Stimmung gemacht wird. Dabei sind CDU und CSU in besonderer Verantwortung. Sie sollten nicht den Fehler machen und die Stimmungsmacher von Rechtsaußen nachäffen. Dies wird sich weder für sie selbst noch für die Demokratie insgesamt auszahlen. Gleichzeitig müssen zivilgesellschaftliche Strukturen vor Ort materiell gestärkt werden. Für deren effektiven Schutz müssen auch Sicherheitsbehörden sensibel agieren. Dazu gehört, sich auch auf veränderte Bedrohungslagen einzustellen, die bisher keinen besonderen Schutz erforderten, etwa das Anbringen von Plakaten oder das Abhalten von Parteiversammlungen.
fazit: keine zugeständnisse an die afd machen
Am Ende bleibt die Einsicht, dass der Rechtspopulismus und Rechtsextremismus für wachsende Teile der Gesellschaft bereits salonfähig geworden sind und sich daran wohl auf absehbare Zukunft wenig ändern wird. Die AfD stützt sich bei Wahlen auf eine sich festigende Stammwähler:innenschaft, die bei anderen Parteien zum Teil immer kleiner wird. Realistischerweise kann es derzeit nur darum gehen, die Folgen dieser Verschiebungen im Parteiensystem abzumildern, anstatt zu versuchen, zu einem Ausgangszustand ohne die flächendeckend parlamentarisch vertretenen Rechtsaußenkräfte zurückzukehren.
Dabei gibt es keine pauschalen Lösungen, vielmehr sind fallweise Entscheidungen mit Augenmaß notwendig. Beispielsweise kann es das eine Mal sinnvoll sein, eine:n AfD-Vertreter:in in eine Diskussionsrunde einzuladen und ein anderes Mal in einem anderen Setting dies nicht zu tun. Politische Arrangements mit der oder Zugeständnisse an die AfD darf es dennoch niemals geben. Politische Entscheidungen dürfen immer nur im Kreise der demokratischen Parteien gefunden werden, denn: Auf einer schiefen Ebene lässt sich kein Haltepunkt finden.
Der Artikel erschien zuerst auf verfassungsblog.de, CC BY-SA 4.0. Einleitung und Zwischenüberschriften ergänzt durch Volksverpetzer. Verfassungsblog ist ein Open-Access-Diskussionsforum zu aktuellen Ereignissen und Entwicklungen in Verfassungsrecht und -politik in Deutschland, dem entstehenden europäischen Verfassungsraum und darüber hinaus. Er versteht sich als Schnittstelle zwischen dem akademischen Fachdiskurs auf der einen und der politischen Öffentlichkeit auf der anderen Seite.
Anna-Sophie Heinze ist Postdoktorandin am Trierer Institut für Demokratie- und Parteienforschung (TIDUP), Universität Trier.
Benjamin Höhne ist Politikwissenschaftler und forscht zu politischen Parteien. Seit April 2024 vertritt er die Professur für Europäische Regierungssysteme im Vergleich an der Technischen Universität Chemnitz.
Artikelbild: Christoph Soeder/dpa
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