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Korrekturhilfe für Lehrkräfte: KI-Magie gegen die Bildungskrise

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Korrekturhilfe für LehrkräfteKI-Magie gegen die Bildungskrise

Deutschlandweit mangelt es an Lehrkräften. Statt aber für mehr Personal zu sorgen, setzen viele Landeschulbehörden auf sogenannte Künstliche Intelligenz. Wie hohl die Versprechen der Anbieter solcher Lösungen sind, demonstrierten Rainer Mühlhoff und Marte Hennigsen beim diesjährigen Chaos Communication Congress.


Esther Menhard – in Öffentlichkeitkeine Ergänzungen
Die KI:Philosoph:innen Marte Hennigsen und Rainer Mühlhoff entzaubern den Mythos, KI würde Lehrkräfte entlasten. – Screenshot vom Recording des Vortrags

Marode Schulen, überfüllte Klassen, erschöpfte Lehrkräfte – Deutschland steckt in der Bildungskrise. Laut dem jährlich erscheinenden Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung wissen Lehrkräfte recht genau, was sie brauchen, um einen besseren Unterricht zu machen. Kleinere Klassen oder sanierte Schulgebäude etwa. Ganz oben auf der Liste steht jedoch: mehr Personal.

Statt aber in Lehrkräfte und die Pädagog:innen-Ausbildung zu investieren, setzen einige Länder vermehrt auf sogenannte Künstliche Intelligenz. Die Hersteller von KI-Tools versprechen schnelle Lösungen. Die Programme sollen Lehrer:innen im Arbeitsalltag entlasten, etwa durch Korrekturhilfen oder bei der Bewertung von Schüler:innenleistungen.

So erklärte die Landesschulbehörde Rheinland-Pfalz auf Anfrage der KI-Philosoph:innen Marte Hennigsen und Rainer Mühlhoff, für Lizenzen des KI-Herstellers fobizz bisher pro Jahr 1,75 Millionen Euro auszugeben. Zugleich knappste das Land im Sommer beim dringend benötigten Lehrer:innenachwuchs: In den Ferien bekamen die Referendar:innen kein Geld.

Mit ihren Angeboten rennen deutsche KI-Hersteller wie fobizz, fiete.ai und myTAI offene Türen ein. Denn die Begeisterung für entsprechende Tools ist bei Entscheider:innen im Bildungsbereich sehr groß. Anfang des Jahres verkündete Christine Hauck vom Schulbuchverlag Cornelsen auf der Bildungsmesse didacta: KI könne Lehrkräfte entlasten und die Bildung verbessern.

Dass sich die öffentliche Debatte um den Bildungsnotstand dem Allheilmittel KI zuwendet, hat einen hohen Preis. Denn statt in effektive Maßnahmen zu investieren, verlassen sich Länder und Bildungseinrichtungen auf Tools, die nicht so funktionieren, wie KI-Hersteller es versprechen.

So lautet das ernüchternde Fazit von Mühlhoff von der Universität Osnabrück und Marte Hennigsen von der Universität Maastricht. In ihrem Talk „Chatbots im Schulunterricht!?“ auf dem 38. Chaos Communication Congress in Hamburg nahmen sie die Korrekturhilfe für Lehrer:innen des Unternehmens fobizz unter die Lupe. Aus ihrer Sicht erbringen die KI-Werkzeuge nicht einmal ansatzweise die angepriesene Arbeitserleichterung. Vielmehr müssten Lehrkräfte einen zusätzlichen Aufwand betreiben, wenn sie diese sinnvoll im Unterricht einsetzen wollen.

Korrekturhilfe mit Hilfe von OpenAI

Die Korrekturhilfe ist eines von vielen KI-Produkten, welches das Hamburger IT-Unternehmen auf einer Plattform für Weiterbildungen und KI anbietet. Es wirbt damit, das Angebot speziell von Lehrkräften für Lehrkräfte zu entwickeln. Hinter dem Nutzer:innen-Interface steckt ChatGPT4, das beliebte Chatbot-System des US-amerikanischen Unternehmens OpenAI.

Lehrer:inen können die von Schüler:innen eingereichten Hausaufgaben auf der Plattform hochladen. Sie erhalten dann eine Bewertung des Aufsatzes im PDF-Format, inklusive Feedback in Stichpunkten und einer Benotung.

Mühlhoff und Hennigsen wollten wissen, ob sich das Produkt tatsächlich dafür eignet, Hausaufgaben zu bewerten und damit Lehrkräften Arbeit abzunehmen. Für ihren Test gingen sie niedrigschwellig vor. Sie simulierten zehn Hausaufgaben von Schüler:innen und ließen diese je fünf Mal vom Programm bewerten.

Dabei kamen erschütternde Ergebnisse zutage. Das Programm vergab für mehrere Texte bei jeder Bewertung eine andere Note – in einem Fall für ein und dieselbe Aufgabe die Noten ungenügend, befriedigend und sehr gut. Nur in zwei Fällen blieb sich das Programm in der Benotung treu. Am besten bewertete es die fingierten Hausaufgaben, die Hennigsen und Mühlhoff mit ChatGPT erstellt hatten. Darüber hinaus versagte die Korrekturhilfe in puncto inhaltliche Richtigkeit, sie erkannte Falschbehauptungen nicht. Und die KI merkte in den Texten dort Fehler an, wo tatsächlich keine waren.

Vom Aberglauben der Neutralität

Fobizz inszeniere sich als Start-up und verkenne dabei seine gesellschaftliche Rolle, kritisieren Hennigsen und Mühlhoff. Denn das Unternehmen pflegt nicht nur Geschäftsbeziehungen mit Rheinland-Pfalz, sondern auch mit Bremen, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Saarland. Laut Hennigsens Berechnungen kaufe jede vierte Schule in Deutschland KI-Systeme bei fobizz ein.

Damit sei fobizz längst über den Start-up-Status hinaus. Kund:innen verlassen sich auf das Versprechen, wonach die KI die Leistungen von Schüler:innen objektiv bewerte. Gerade jüngere Lehrkräfte würden sich viel von der KI erhoffen, wissen Hennigsen und Mühlhoff aus Gesprächen. Denn der KI fehle es weder an Kondition noch an Motivation.

Der sogenannte automation bias verschärft die Gefahr, dass KI breit genutzt wird, obwohl sie unausgereift ist und Ergebnisse liefert, die hinter den Erwartungen zurückbleibt. Der Begriff beschreibt die Tendenz von Personen, technologischen Lösungen mehr zu vertrauen als menschlichen Fähigkeiten. KI sei letztlich nicht mehr als ein Werkzeug, Symptome zu bekämpfen und auch dafür nur unzureichend geeignet, so Hennigsen und Mühlhoff.

Obendrein geraten Schulen zunehmend in die Abhängigkeit von Tech-Konzernen wie OpenAI. Denn KI-Unternehmen wie fobizz geben hochsensible Daten von Schüler:innen und Lehrkräfte an diese weiter.

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Author: Esther Menhard

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