Köln | KOMMENTAR | Die letzte Ratssitzung in 2024 begann mit mahnenden und großen Worten von Oberbürgermeisterin Henriette Reker wie Respekt, Aufrichtigkeit und, dass sich die Akteure im Spanischen Bau mit Leidenschaft für die Demokratie und für Köln einsetzten. Diese und andere Allgemeinplätze, die die Politik gerne verwendet, sind emotional, verbinden und alle nicht falsch. Die dann folgende Ratssitzung zeichnete ein desolates Bild im Umgang mit der Realität, von Kenntnissen auf Seiten der Kommunalpolitik mit fatalen Folgen für Strukturen in der Stadt. Eine Analyse und Kommentar von Andi Goral
Wer regelmäßig die Ratssitzungen on- oder offline in dieser Wahlperiode verfolgte, rieb sich nicht erst gestern verwundert die Augen, ob der Aussagen oder Vorstellungen mancher Ratspolitiker:innen. Übrigens nicht der Verwaltung: denn die und das ist ein Verdienst von Oberbürgemeisterin Henriette Reker und ihren Dezernent:innen, ist straff und gut organisiert, viel besser vorbereitet und agiler in Ratssitzungen, als noch zu Zeiten von Rekers Vorgängern Roters und Schramma. Reker kommentiert die Fähigkeiten zur eigenen Reflektion der Ratspolitik manchmal spitzzüngig in Richtung Rat mit den Worten: „Es ist Ihre Satzung“. All die weil bleibt offen, ob das im Rat alle verstehen.
Bei vielen Kommunalpolitiker:innen im Kölner Rat verfestigt sich der Eindruck einer romantischen, leicht sich selbst überhöhten Vorstellung ihrer selbst, ihrer Arbeit und Aufgaben. Bei manch einer oder einem der Ratsmitglieder hat man den Eindruck sie oder er hat sich noch nie mit der Gemeindeordnung selbsttätig befasst, sondern lebt alleine vom Hörensagen der Verwaltung oder was auf den Fluren des Rathauses gefunkt wird. Und das quer durch alle Fraktionen, Gruppen oder bei Einzelmandatsträger:innen.
Das gilt für die im Rat, die nur im Ehrenamt agieren ohne Funktion. Es gilt aber auch für die, die hauptamtlich dort Politik machen und bei ihren Parteien in Lohn und Brot aus Steuermitteln stehen. Was war da alles während dieser Ratsperiode zu hören: Das Mandat sei so einfach, dass rotiert werden könne oder gleich Bürger:innen dies übernehmen könnten, die Verwaltung sagen müsse, was der Rat abstimmen könne, man sei ja lediglich Ehrenamtler:in sowie der Verwaltung vertraut werden müsste und so weiter und so fort. Die Kenntnis der Gemeindeordnung, öffentlich-rechtlicher Prozesse und die Aufgaben, Rechte und Pflichten, die ein Ratsmandat mit sich bringt, scheinen viele Ratsmitglieder auch zum Ende dieser Wahlperiode nicht akzeptieren oder sich damit auseinandersetzen zu wollen. Ein Ratsmandat ist aber keine Projektarbeit. Genau das zeigte sich gestern in der Ratssitzung und vorgelagert in der Sondersitzung des Verkehrsausschusses. Es mangelt an Grundlagenwissen mit fatalen Folgen.
Zwei aktuelle Beispiele
Kommunalaufsicht nötig
Da bringen SPD, CDU und FDP einen Änderungsantrag zur Ost-West-Achse ein. Dieser – ohne ihn inhaltlich zu werten – geht rein formal weit über die Form eines Änderungsantrages hinaus. Den politischen Parteien, die den Antrag einbrachten könnte politisches Kalkül unterstellt werden. Also frech die eigene Position einbringen und dann mal schauen, ob es jemand auffällt oder durchgeht. Zudem macht sich das vor einem Jahr des Dauerwahlkampfes gut vor der eigenen Klientel.
Nun sind die genannten Parteien seit Jahrzehnten im Rat der Stadt Köln und oft genug führten sie Bündnisse oder waren Teil von Bündnissen, die die Geschicke Kölns lenkten. Sie verfügen über große hauptamtliche Apparate im Rat und viel Erfahrung. Es musste ihnen klar sein, dass ihr „Metrolinien“-Antrag weit über einen Änderungsantrag hinausgeht. Es brauchte einen Einzelmandatsträger und eine Satirepartei, in der ein Jurist sitzt, die die Kommunalaufsicht anrief, um ein rechtlich einwandfreies Verfahren bei einer Frage dieser Größenordnung einzufordern. Sieht so verantwortliche Politik aus für Köln? Dann stoppte Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker den Move der drei Parteien und nicht nur das. Die Entscheidung über ein Projekt wie die Ost-West-Achse an dem Jahre geplant und Millionen schon in die Planung investiert wurden, wird dann deswegen verschoben.
In normalen Zeiten hätte man sagen können, OK, das war ein gewagter und medial gut nutzbarer Move gewesen, der SPD, CDU und FDP vor dem Wahljahr 2025 gut in Stellung bringt. Kann man schöne Social Media Memes framen. Cool.
Aber, sind das aktuell normale Zeiten? Vor dem finanziellen Desaster, das droht und das spätestens mit der Einbringung des Haushaltes mehr als überdeutlich wurde. Vielmehr für kenntnisreiche Experten der Kölner Kommunalpolitik brauchte es nicht erst die Einbringung durch Kämmerin und OB, um schon im Vorfeld zu erahnen, wie schwierig die fiskalische Lage sein werde.
Die schöne Schein-Politik
Seit Tagen kannte Köln also kein anderes Thema als den „Metrolinien“-Antrag von SPD, CDU und FDP und wurde belämmert von den fein gezeichneten Illustrationen wie schön Köln bald oberirdisch aussehen werde. Wer die hübsch kolorierten Visionen einmal in der Realität überprüfen möchte, dem sei ein Besuch des Hermann-Joseph-Platz empfohlen. Dort steht perfekt inszeniert ein gläsernes Aufzughäuschen auf gepflasterter Fläche der Ödnis, um es poetisch zu formulieren. Vor der Basilika St. Maria im Kapitol. Aber vielleicht wird es dort ja noch lauschiger.
Am Mittwoch demonstrierten tausende Kölner:innen dafür, dass das soziale Köln erhalten bleibt. Auch Kommunalpolitiker:innen reihten sich ein. Am darauffolgenden Tag im Kölner Rat folgte das Erwachen als es darum ging, soziale Strukturen zu retten. Munter lief die Debatte der Kommunalpolitik für das soziale Köln an und endete in einer Sitzungsunterbrechung, nachdem die Grundlagen der vorläufigen Haushaltsführung kenntnisreich von der Sozialverwaltung und Kämmerei vorgetragen wurde. Die kennt die Gemeindeordnung und den entsprechenden Paragrafen 82 GO NRW. Die Ratspolitik anscheinend nicht.
Dabei war es prinzipiell nicht falsch, was die Kommunalpolitik vortrug, aber sie war nicht auf der Höhe der Zeit. Natürlich ist es gut und richtig Strukturen bei Trägern zu erhalten, anstatt sie wegen einer vorläufigen Haushaltsführung zu zerstören. Nur dazu muss die Kommunalpolitik im Rat rechtzeitig die Voraussetzungen schaffen. Das hat sie aber nicht getan, sondern lieber „Metrolinien“ gezeichnet und stand vor einem Scherbenhaufen.
Das ist passiert und das sagt die Gemeindeordnung: „ Ist die Haushaltssatzung bei Beginn des Haushaltsjahres noch nicht bekannt gemacht, so darf die Gemeinde ausschließlich Aufwendungen entstehen lassen und Auszahlungen leisten, zu denen sie rechtlich verpflichtet ist oder die für die Weiterführung notwendiger Aufgaben unaufschiebbar sind; sie darf insbesondere Bauten, Beschaffungen und sonstige Investitionsleistungen, für die im Haushaltsplan des Vorjahres Finanzpositionen oder Verpflichtungsermächtigungen vorgesehen waren, fortsetzen, Realsteuern nach den Sätzen des Vorjahres erheben und Kredite umschulden.“
Es gibt und das erklärten Kämmerin Dörte Diemert und Sozialdezernent Harald Rau den Kommunalpolitiker:innen also enge Grenzen innerhalb der Gemeindeordnung für die vorläufige Haushaltsführung. Das heißt das konkret: Wer die Strukturen erhalten will, der muss konkrete Vorsorge dafür treffen. Also der Rat muss entscheiden, ob ein Projekt über den 31. Dezember 2024 hinaus verlängert wird oder für wie viele Jahre dies gefördert werden soll. Diese Projekte nimmt die Verwaltung in den Haushaltsplanentwurf auf. Damit können auch im Zeitraum der vorläufigen Haushaltsführung Mittel ausbezahlt und so Strukturen erhalten werden.
Was sich kompliziert anhört, ist es eigentlich nicht. Nur haben die Ratsparteien versäumt diese Voraussetzungen zu schaffen, so dass einzelne Projekte zum 31. Dezember 2024 auslaufen, weil es keinen entsprechenden Ratsbeschluss gibt. Denn dafür – ein Blick in die Gemeindeordnung reicht – ist der Rat zuständig. Diese Projekte erhalten auch in der Übergangsphase der vorläufigen Haushaltsführung kein Geld mehr. Konkret hätte spätestens ab Herbst 2024 die Ratspolitik ihre Projekte, die sie gesichert sehen will, einbringen und verlängern müssen. Nur so hätte sie den Rahmen geschaffen, dass sie bei der Debatte über den Haushalt, dazu noch Entscheidungen treffen kann. Aber das ist nicht passiert, weil die Kommunalpolitik nicht so agierte.
Oberbürgermeisterin Henriette Reker erklärte daher den Ratsmitgliedern: „Wir können nicht alles machen, weil wir nicht genug Geld haben. Wir müssen sparen. Wir wissen, wo Strukturen sehr gut und weniger gut funktionieren. Wir wissen wo sie Projekte finanziert haben in der Mittelfristplanung.“ Und diese werden auch weiter finanziert. All die Projekte, die jetzt zum 31. Dezember 2024 auslaufen können rein rechtlich nicht in der vorläufigen Haushaltsführung bedacht werden.
Priorisierung und Wissen
Diese einfachen Beispiele zeigen, wie wenig priorisiert die Kommunalpolitik – nicht die Verwaltung – mit ihren eigenen Ressourcen umgeht, bei gleichzeitigem Wehklagen des Ehrenamts. Und wie wenig kenntnisreich und vorausschauend sie agiert.
Es ist die Kommunalpolitik, die die Gemeindeordnung und die Satzung kennen und anwenden muss. Sie muss Vorsorge treffen für die strategische Ausrichtung und setzt den Rahmen für die Verwaltung und sie muss dies rechtzeitig tun. Sie muss realistisch die Ressourcen einschätzen, die die Stadt kurz-, mittel- und langfristig zur Verfügung hat. All das kam und kommt in dieser Wahlperiode immer wieder zu kurz. Es ist eben nicht so, wie manche und mancher im Rat den Bürger:innen weiß machen will, dass Kommunalpolitik pipi-einfach ist.
Die Priorisierung für die Stadtpolitik muss lauten: Ressourcen feststellen, Machbarkeiten analysieren, priorisieren und klar benennen und verantwortlich umsetzen. Priorität hat einzig und allein die Verhinderung der Haushaltssicherung und ein genehmigungsfähiger Haushalt, der die wichtigsten Strukturen der Stadt erhält. Erweiterungen nur dort, wo sie dringend nötig sind. Vor dem Hintergrund der städtischen Finanzen muss das „nice to have“ zu Gunsten des „must have“ zurücktreten. Und wenn es Strukturen gibt, die gesichert werden müssen, dann muss dies rechtzeitig geschehen. Wenn diese jetzt wegfallen sollten, dann würde die Kommunalpolitik alleine dafür die Verantwortung tragen, nicht die Verwaltung.
Es wäre also besser gewesen, statt mitzumarschieren beim Protest, noch Anträge für die sozialen Träger zu schreiben und diese in die Ratssitzung einzubringen. Nun bleibt zu hoffen und zu bangen, dass am Ende doch nicht alles fott es, was fott sein könnte.
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