Am dunklen Himmel über dem Fühlinger See leuchteten die Flugzeuge, unten sehnten sich die Musikfans nach dem Abheben, „wie ein Astronaut“. Denn Sido stand auf der Bühne. Nichts hielt ihn am Boden, zumindest wenn es nach ihm gegangen wäre. Am ersten Abend vom Summerjam war der Rapper Headliner für all die Besucher des Kölner Reggae-Festivals, die eigentlich gar kein Reggae hören.
Die Afrobeats waren der Green Stage vorbehalten. Die Red Stage war erneut die Rap-Stage. Und Sido nach sieben Jahren erstmals wieder ihr Hauptgast. Der Rapper legte Genre-typischen Größenwahn („Monet“) vor, im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Hip-Hoppern meist mit einem Augenzwinkern. Sonst wäre auch nicht das Feature mit den Satirikern von SDP zustande gekommen. „Scheiße! In meinem Keller liegt ne Leiche“, klänge von anderen Hip-Hop-Lippen sicherlich weniger amüsant.
Je älter Sido wird, desto mehr scheint er seine Lebensentscheidungen zu hinterfragen. Wenn ihn das nicht wie zu Corona-Zeiten vorübergehend in Verschwörungsmythen abdriften lässt, macht ihn das sympathisch. „Ich hab so vieles schon probiert, übertrieben konsumiert“, singt er auf seinem persönlichen jüngsten Album „Paul“. Der Song „Medizin“ ist einer derer, die Sido am Fühlinger See in seiner Länge auskostet.
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Sido beim Summerjam: Bei „Mit dir“ geht die Knutscherei los
Ältere Werke schneidet der Rapper zunächst nur an, das Medley seiner Highlights kommt trotzdem gut an. Das ist schließlich auch ein guter Trick für Festivals: Ausschließlich die Refrains der Sido-Songs kann doch fast jeder irgendwie mitsprechen.
Auf der See-Insel wird wieder klar, dass Sidos Publikum eher aus von dem Rapper verspotteten Einfamilienhäusern stammt, als aus seinem beschriebenem Block. Also ist Sidos softe Seite auch die beliebtere am Freitagabend in Köln.
Und Sido ist eben doch mehr Kuschel- als Gangsterrapper. Sind Sie in dem Alter, in dem man seine Sommerwochenenden auf Hochzeiten verbringt, haben Sie vermutlich mindestens ein Brautpaar zu Sidos Liebeslied „Mit dir“ ihren ersten Tanz zeigen sehen. Beim Summerjam brach dabei die große Knutscherei aus. Zwischen den Bäumen mit bunten Girlanden und schwimmenden Lichtern war es aber auch romantisch.
Rapper Rin kommt nicht gegen Deutschland-Spiel an
Sido fiel im Gegensatz zu den Künstlern vor ihm als einer der älteren Schule auf, versagte sich dem überdrehten Autotuning. Wenn man es in seinen Songs hört, dann von Kollaborationspartnern. Der jüngere Rapper Rin setzte zuvor mehr auf den extremen Nachbearbeitungstrend im Hip-Hop. Der Filter auch über dem Echtzeit-Rap zieht einiges von der Live-Erfahrung eines Konzerts ab.
Allerdings hatte Rin auch mit großer Konkurrenz zu kämpfen. Als er die Stage betrat, spielte die deutsche Herren-Nationalmannschaft noch um den Einzug ins EM-Halbfinale. Vor dem Bildschirm im hinteren Bereich –eigentlich zeigt er die Stars auf der Musikbühne – sammelten sich mehr Fußball-Fans als vorne Rin-Anhänger tanzten. Die Niederlage spielte dem Rapper beim Versuch, das Publikum anzuheizen, noch weniger in die Karten.