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Koalitionsstreit: Diese Gesetze sollen für die Bezahlkarte geändert werden

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Asylsuchende sollen künftig eine Bezahlkarte statt Bargeld bekommen, darin sind sich Bund und Länder einig. Doch ob dafür Bundesgesetze geändert werden müssen, führt in der Ampelkoalition zu Streit. Wir erklären die Wunschliste der Länder.

schwarz-weißes Bild von einem leeren Einkaufswagen
Bezahlkarte statt Bargeld wollen Bund und Länder. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Bruno Kelzer

Im November einigten sich Bundeskanzler Olaf Scholz und die Länderchef:innen, dass Asylsuchende künftig vorrangig Bezahlkarten statt Bargeld bekommen sollen. „Sollten dafür angesichts der konkreten Ausgestaltung der Bezahlkarte gesetzliche Anpassungen notwendig sein, wird die Bundesregierung diese zeitnah auf den Weg bringen“, hieß es im Beschluss zu „Humanität und Ordnung“ weiter. Doch jetzt gibt es zwischen den Ampelparteien in der Bundesregierung neuen Streit.

Laut einem Bericht der Tagesschau zweifeln vor allem die Grünen daran, dass Gesetzesänderungen überhaupt nötig sind. SPD und FDP seien verärgert und überrascht vom Widerstand. FDP-Fraktionsvize Wolfgang Kubicki beschwört gegenüber der Bild einen möglichen Bruch der Koalition herauf. Doch um welche Änderungen geht es überhaupt?

Bundesweite Mindeststandards

Eine Arbeitsgruppe der Länder hatte bis Ende Januar verhandelt, welche bundesweiten Standards eine solche Bezahlkartenlösung haben soll. Veröffentlicht waren dazu bisher lediglich Pressemitteilungen, nicht jedoch die konkrete Einigung. Auf Nachfrage von netzpolitik.org verwiesen uns Beteiligte darauf, dass diese mit Start des Ausschreibungsverfahrens verfügbar werden. Das jedoch ist noch nicht gestartet.

Nun veröffentlichte ausgerechnet Mecklenburg-Vorpommern nebenbei in seiner eigenen Ausschreibung die Liste der Länderforderungen (PDF). Dabei will das Land wie auch Bayern gar nicht an der gemeinsamen Vergabe teilnehmen – wohl aber kompatibel sein.

In der Liste enthalten ist nicht nur der geplante Funktionsumfang, den die Karten haben sollen. Sie enthält auch den gesetzlichen Änderungsbedarf, den die Länderarbeitsgruppe ausgemacht hat, vor allem im Asylbewerberleistungsgesetz. Das regelt, was etwa Antragstellenden und Geduldeten zusteht – und in welcher Form. Beispielsweise besagt es, wann die Schutzsuchenden ihren notwendigen Bedarf in Sachleistungen bekommen dürfen. Und dass sie „vorrangig Geldleistungen“ bekommen sollen, wenn sie außerhalb einer Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht sind.

Die Länderarbeitsgruppe will etwa, dass dieser Vorrang gestrichen wird und stattdessen eine Klarstellung erfolgt, damit die Bedarfe auch „im Wege einer Bezahlkarte erbracht werden können“. Außerdem steht im Asylbewerberleistungsgesetz, dass Geldleistungen „persönlich ausgehändigt werden“ sollen. Daran stören sich die Länder, denn der Vorteil der Karten soll ja gerade sein, dass die Asylsuchenden nicht mehr monatlich oder häufiger in der Schlange stehen müssen, um ihr Geld abzuholen.

Viele Monate mit der eingeschränkten Karte

Wesentlich weitreichender als eine redaktionelle Änderung ist folgender Punkt in der Ländereinigung:

Klarstellung in § 2 AsylbLG, dass auch an Bezieher von Analogleistungen diese in Form einer Bezahlkarte erbracht werden können.

Anfang Januar war er in einer Entwurfsfassung der Einigung noch als „offen“ markiert. Wenn Schutzsuchende in Deutschland ankommen, erhalten sie zunächst sogenannte Grundleistungen, die niedriger liegen als Sozialhilfe. Nachdem sie 18 Monate in Deutschland waren, haben sie dann Anspruch auf Leistungen analog zur Sozialhilfe, die sogenannten Analogleistungen.

Sollen die Bezahlkarten also nicht nur für Grundleistungen angewendet werden, würden sie vom Übergangsinstrument zu einer lange währenden Einschränkung für die Antragstellenden. Je nach Ausgestaltung des Bundeslandes dann mit eingeschränkter Bargeldabhebung, Begrenzung der räumlichen Nutzbarkeit und der bezahlbaren Händlergruppen.

Viel Spielraum für die Bundesländer

„Es gibt keine vernünftigen Gründe für die Bezahlkarte“

Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte sagt zu der Diskussion: „Viel problematischer als das Fehlen einer formalen Ermächtigungsgrundlage ist, dass es keine vernünftigen Gründe gibt, eine Bezahlkarte einzuführen.“ Sie koordiniert bei der Menschenrechtsorganisation Gerichtsverfahren zu sozialer Teilhabe und den Rechten von Geflüchteten. Die Juristin bezeichnet das Instrument als „eine reine Schikanemaßnahme“, die Geflüchtete vor erhebliche praktische Probleme stellt.

Es sei nicht belegt, dass es überhaupt signifikante Überweisungen in die Herkunftsländer gebe. Angesichts der Auszahlungen von meist weniger als 200 Euro an Geflüchtete in Erstaufnahmeeinrichtungen hält sie das auch für „sehr unwahrscheinlich“. Solche Überweisungen zu verhindern, ist eines der politischen Ziele mit der Karte. Dabei ist überhaupt nicht bekannt, wie hoch die entsprechenden Überweisungen sind und ob sie, wie behauptet, auch zur Finanzierung von Schleuserkriminalität genutzt werden.

Der Mediendienst Integration geht etwa davon aus, dass Rücküberweisungen vor allem von Migrant:innen stammen, „die sich inzwischen am Arbeitsmarkt integriert haben“ – die also in der Regel über ein eigenes Konto verfügen und für die eine Bezahlkarte überhaupt keine Rolle mehr spielen würde. Sie würden etwa für Arzt- oder Schulbesuche genutzt.

Unters Existenzminimum gegängelt

Statt das ausgerufene Ziel zu erreichen führen die Karten laut Lincoln dazu, „dass das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum nicht mehr gewahrt ist“. Das mag zwar über die verfügbaren Beträge weiterhin formal der Fall sein, durch die Einschränkungen können den Geflüchteten aber viele Möglichkeiten entgehen, ihre Mittel sparsam einzusetzen.

Das ist beispielweise der Fall, wenn ihnen keine Überweisungen oder nur geringe Bargeldbeträge zur Verfügung stehen: „Betroffene können keine gebrauchten Dinge bei Ebay oder auf dem Flohmarkt kaufen“, so Lincoln. Günstige, gebrauchte Handys oder Fahrräder sind so unerreichbar. „Verträge können aufgrund der fehlenden Möglichkeit von Überweisung und Lastschrift nicht abgeschlossen werden. Handyverträge oder die Mitgliedschaft in Sportvereinen sind dadurch ausgeschlossen. Anwaltskosten können nicht gezahlt werden.“

Zweifelhafter Abschreckungseffekt

Ein weiteres proklamiertes Ziel der Bezahlkarten soll ein Abschreckungseffekt sein. Sozialleistungen sollen unattraktiver werden, damit weniger Menschen nach Deutschland fliehen. Diese erhoffte Abschreckung ist nicht nur verfassungsrechtlich bedenklich, sie ist auch in ihrer Wirksamkeit zweifelhaft.

So nannte es der Migrationsforscher Jochen Oltmer von der Uni Osnabrück gegenüber dem MDR einen „Irrglauben, dass ein winziges Element deutscher Asylpolitik wie die Geldkarte Menschen aus Krisenregionen abhalten werde, die oft lebensgefährliche Flucht nach Europa und Deutschland zu wagen“.


Die Einigung der Länder im Volltext

Anforderungen an die Bezahlkarte (Bundeseinheitliche Mindeststandards)

  1. Guthabenbasierte Karte mit Debit-Funktion (ohne Kontobindung)
  2. Bezahlkarte als Bargeldsurrogat, nicht als Kontoersatz
  3. Karte sowohl physisch als auch möglichst digital auf dem Smartphone
  4. Kein Einsatz im Ausland
  5. Keine Karte-zu-Karte-Überweisung
  6. Keine Überweisung ins In- und Ausland
  7. Möglichkeit des Ausschlusses/Einschränkung von Onlinekäufen außerhalb der EU und Money Transfer Services (z.B. Western Union), um Geldtransfer an Familien auf diesem Weg zu unterbinden → sofern technisch möglich
  8. Anschlussfähigkeit an das allgemeine Debit-Karten-Akzeptanzstellensystem
  9. Technische Anschlussfähigkeit zur Nutzung durch die Leistungsbehörden der Kommunen
  10. Der Kartenherausgeber muss sich vertraglich zur Einhaltung aller gesetzlichen Vorgaben, insbesondere hinsichtlich der Vorgaben durch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verpflichten.
  11. Zentrale Benutzerverwaltung durch Kartendienstleister (Hotline 24/7 wg. Sperrung, technischer Probleme, etc.). Die Kundenbetreuung sollte in verschiedenen Sprachen sichergestellt werden, insbesondere denen der Hauptherkunftsländer.
  12. Sperrung der Karte jederzeit auf Veranlassung der Leistungsbehörde (z. B. bei Missbrauch) bzw. durch den Leistungsbeziehenden selbst
  13. Verknüpfung der Karte mindestens mit der AZR-Nummer, um doppelte Ausstellungen zu verhindern, sofern dies in den Fachverfahren möglich ist
  14. Die Auftragnehmer müssen sich bereit erklären, ihr System etwa bei Gesetzesänderungen anzupassen
  15. Einfaches Aufladen durch Behörden per Überweisung (Echtzeitüberweisung muss möglich sein)
  16. Einsicht in den Guthabenstand durch den Leistungsberechtigten
  17. Bargeldabhebung nur im Inland über einen vorher definierten Betrag
  18. Einsicht in den Guthabenstand des Leistungsberechtigten durch die Leistungsbehörde für eine Übertragung auf neue Karte im Falle des Kartenverlusts (Integration in die Fachverfahren der Leistungsbehörden, z.B. PRO-SOZ zur Vermeidung von doppeltem Erfassungsaufwand)
  19. Ausreichung der Bezahlkarten an die Bedarfsgemeinschaft
  20. Möglichkeit bundesweiter oder bei Bedarf nur regionaler Nutzung durch Einschränkung der PLZ
  21. Design neutral und diskriminierungsfrei
  22. Möglichkeit des Ausschlusses bestimmter Händlergruppen/Branchen
  23. Die Nutzung der Karte muss für die Leistungsberechtigten auch ohne zusätzliche Gebühren möglich sein
  24. Anschlussoption der Kommunen, so dass Karte nach Zuweisung aus EAE unmittelbar in Kommunen genutzt werden kann
  25. Prüfen, ob Ausgabe der Karten dahingehend möglich sein soll, dass Blankokarten der Behörde vorliegen, die bei Bedarf von dieser aktiviert werden und sofort einsatzbereit sind, um die Vorhaltung von Bargeld auszuschließen
  26. Bundeseinheitliche mehrsprachige Hinweise zur Kartennutzung für die Leistungsbeziehenden

Bundesrechtliche Änderungen

  1. Klarstellung in § 3 AsylbLG, wonach sowohl der notwendige Bedarf als auch der notwendige persönliche Bedarf auch als unbare Abrechnungen bzw. im Wege einer Bezahlkarte erbracht werden können und kein Vorrang der Geldleistung in § 3 Abs. 2 und 3 AsylbLG besteht.
  2. Klarstellung in § 2 AsylbLG, dass auch an Bezieher von Analogleistungen diese in Form einer Bezahlkarte erbracht werden können.
  3. Darüber hinaus stellt der Bund sicher, dass auch in § 1 Abs. 4 Satz 5 (Überbrückungsleistungen), 1a Abs. 1 Satz 4 (Anspruchseinschränkungen) und 11 Abs. 2 Satz 3 AsylbLG (Reisebeihilfen) die Leistungsgewährung in Form von unbaren Abrechnungen oder einer Bezahlkarte möglich ist. Dabei muss die Möglichkeit nur Sachleistungen oder auch nur Geldleistungen (z.B. in Fällen einer Reisekostenbeihilfe, wo also nur kurzzeitig z.B. zur Weiterreise in ein anderes zuständiges Bundesland Leistungen gewährt werden) zu gewähren erhalten bleiben.
  4. Änderung von § 3 Abs. 3 Satz 3 AsylbLG mit Möglichkeit der Direktzahlung von KdU und Heizung an Vermieter oder andere Empfangsberechtigte, um weitere Bargeldmöglichkeit einzuschränken.
  5. Änderung des § 3 Abs. 5 S. 1 AsylbLG notwendig, um bei den Auszahlungsmodalitäten Abstand von dem Wort „aushändigen“ zu nehmen.
  6. Nach Vorlage eines konkreten Bezahlkartenmodells wird der Bund prüfen, ob zusätzliche Rechtsgrundlagen für die Datenübermittlung von den für das AsylbLG zuständigen Behörden an den betreffenden Kartendienstleister erforderlich sind. Zudem könnten solche für die Einsichtnahme der Leistungsbehörde in den Guthabenstand erforderlich werden.
  7. Ausdrückliche Aufführung einer Bezahlkarte als Form der Leistung im AsylbLG.
  8. Nach Vorlage eines konkreten Bezahlkartenmodells wird der Bund prüfen, ob – neben den Änderungen am AsylbLG selbst – auch ggf. erforderliche Änderungen in den Regularien des Finanzmarkts notwendig sind (z. B. wenn sehr strenge Vorgaben der Geldwäsche für das spezielle Angebot einer Bezahlkarte angepasst werden müssen, um praktikable Lösungen zu ermöglichen)


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Author: Anna Biselli

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