Was wird von 2024 in Bezug auf Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit in Erinnerung bleiben? Für den Jahresrückblick befragen wir zivilgesellschaftliche Initiativen über die Situation in ihrem Bundesland. Heute: Sachsen.
Teilnehmer einer Protestkundgebung der Partei “Freie Sachsen” stehen am Rande des Wahlkampfabschlusses der SPD in Chemnitz.
(Quelle: picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt)
Im November 2024 wurden in Sachsen die Wohnungen und Grundstücke von Mitgliedern der Gruppe „Sächsische Separatisten“ durchsucht. Gefunden wurden scharfe Waffen, Munition sowie militärische Ausrüstungsgegenstände. Am Haus des sächsischen AfD-Kommunalpolitikers Kurt Hättasch im Landkreis Leipzig musste bei der Durchsuchung ein Warnschuss durch die Polizei abgegeben werden. Hättasch hatte mit einer Waffe sein Haus verlassen. Seit mehreren Jahren waren die Mitglieder der Gruppe bereits aktiv und haben sich ausgetauscht sowie auf einen möglichen „Tag X“ vorbereitet. Wenn die Bundesrepublik in eine Krise stürzt, dann wollten die Mitglieder der Gruppe u.a. mit Gewalt gegen politische Gegner*innen vorgehen. Im 13. Jahr nach der Selbstaufdeckung des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) ist dies bereits die fünfte rechtsterroristische Vereinigung, die in Sachsen ihr Unwesen treibt und bekannt geworden ist. Neu an den aktuellen Entwicklungen ist die in diesem Falle deutliche Verbindung zur AfD und ihrer Jugendorganisation Junge Alternative (JA). Mehrere Personen aus der Gruppe „Sächsische Separatisten“ und ihrem Umfeld hatten Verbindungen zu der Partei, deren sächsischer Landesverband als gesichert rechtsextreme Vereinigung gilt.
Gewalt im Wahlkampf
Rechte Gewalt spielte in Sachsen auch innerhalb des Wahlgeschehens 2024 eine bedeutende Rolle. Die Wahlkämpfe zu den Kommunal- und Europawahlen sowie zu den Landtagswahlen waren geprägt von rechten Anfeindungen und Gewalt gegen demokratische Parteien und ihre Abgeordneten. Der brutale Angriff auf den SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke war dabei nur die Spitze des Eisberges. Beleidigungen und Einschüchterungsversuche an Wahlkampfständen und beim Plakatieren waren für die Wahlkampfhelfer*innen demokratischer Parteien alltäglich. Politische Gewalt von rechts hat im Jahr 2024 in Sachsen insgesamt wieder zugenommen.
Die rechtsextreme Szene wird wieder jünger
Im Zuge des Angriffs auf Ecke ist die Gruppe „Elblandrevolte“ aus Dresden öffentlich bekannt geworden. Der Zusammenschluss ist im Februar 2024 im Umfeld der Partei „Die Heimat“ (früher: NPD) entstanden und setzt sich überwiegend aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen zusammen. Die „Elblandrevolte“ steht damit exemplarisch für eine Entwicklung, die sich in verschiedenen Regionen in Sachsen im letzten Jahr gezeigt hat. Jugendlicher Rechtsextremismus erlebt eine Renaissance. Die Sichtbarkeit von sehr jungen und trotzdem bereits gut organisierten, selbstbewussten sowie weltanschaulich gefestigten Rechtsextremen in Sachsen hat im letzten Jahr in verschiedenen Regionen deutlich zugenommen.
An einzelnen Orten im Bundesland haben sich verschwörungsideologische Szenen und Gruppen von Reichsbürger*innen verfestigt. Sie verfügen teilweise über eigene Immobilien und wirtschaftliche Strukturen in den Ortschaften, in denen sie bereits in den letzten Jahren aktiv waren.
Die Sachsen-AfD
Die wichtigste rechtsextreme Partei in Sachsen ist die AfD. In allen Kreisen und Städten verfügt die Partei über funktionierende Verbände, einen soliden Mitgliederstamm und zahlreiche Mandate. Sie hat bei den Europawahlen in Sachsen die meisten Stimmen von allen Parteien erhalten. Sowohl bei den Europa- als auch bei den Kommunal- und Landtagswahlen konnte die AfD ihr Ergebnis im Vergleich zu 2019 noch einmal verbessern. In nahezu allen Kreistagen in Sachsen sowie in vielen Stadt- und Gemeinderäten ist die AfD seit diesem Jahr die stärkste Fraktion und stellt die meisten Abgeordneten der jeweiligen Kommunalvertretung. In zwei Städten stellen Kandidaten der AfD den Bürgermeister bzw. Oberbürgermeister. Die Konsequenzen aus diesen neuen Mehrheitsverhältnissen auf kommunaler Ebene werden den Freistaat in den nächsten Jahren massiv beschäftigen. Gerade in den Landkreisen, außerhalb der sächsischen Großstädte, ist die AfD eine dominierende Kraft in der Parteienlandschaft geworden.
Zu den Landtagswahlen wurde die AfD mit einem Listenstimmenanteil von 30,6 Prozent zweitstärkste Kraft, knapp hinter der CDU mit 31,9 Prozent. Neben der AfD sind weitere rechtsextreme Parteien angetreten, darunter die „Freien Sachsen“, die 2,2 Prozent der abgegebenen Zweitstimmen auf sich vereinen konnten.
Die „Freien Sachsen“
Den Freien Sachsen ist es in den vergangenen Jahren gelungen, die neonazistischen Szenen sowie einen Teil der verschwörungsideologischen und Reichsbürger-Szenen zu mobilisieren und miteinander zu vereinen. Die ehemaligen Strukturen der NPD (jetzt: Die Heimat) sind im gesamten Bundesland wieder aktiv, aber nun unter dem Label der Kleinstpartei. 2024 hat sich der Trend der letzten Jahre und damit der Aufstieg der Regionalpartei jedoch verändert. Die Aktivitäten und der Organisierungsgrad der Freien Sachsen stagnieren. Das vergleichsweise schlechte Abschneiden bei den Wahlen und das dauerhafte Aufrechterhalten einer vermeintlichen Revolutions- und Umbruchstimmung haben einen Teil der Anhängerschaft scheinbar ermüdet. Auszuschließen ist jedoch nicht, dass Teile dieser mobilisierten Rechtsextremen sich nun anderen Betätigungsfeldern zuwenden, u.a. auch rechtsterroristischen Aktivitäten. Ob dem so ist, wird sich im kommenden Jahr zeigen.
Rechtsextreme Demonstrationen und CSD-Gegenmobilisierung
Auch im letzten Jahr fanden in Sachsen wöchentlich mehrere extrem rechte Demonstrationen statt. Diesen schließen sich nach wie vor eine vergleichsweise hohe Zahl von Teilnehmenden an. Beispielhaft stehen hier die massiven rechten Mobilisierungen gegen die CSDs im Bundesland. Bedrohungen, Einschüchterungen und Angriffe von v.a. jungen Neonazis gegen queere Menschen im Umfeld der CSDs waren die Folge. Auch das offizielle Ende von Pegida im Herbst 2024 nach zehn Jahren ändert wenig am dynamischen Demonstrationsgeschehen.
Und was bleibt?
Sachsen bleibt im Jahr 2024 im bundesweiten Vergleich eine Hochburg des organisierten Rechtsextremismus. Das lässt sich ablesen an einer nach wie vor hohen Zahl von Immobilien, die durch die extrem rechten Szenen genutzt werden, an vielen rechten Konzerten und Veranstaltungen, an der Etablierung verschiedener extrem rechter Label im Land, an zahlreichen Mitgliedern rechtsextremer Gruppen, dem hohen Organisierungsgrad dieser sowie an den hohen Zustimmungswerten für extrem rechte Parteien bei Wahlen.
Menschen, die von Rassismus oder Antisemitismus betroffen sind, die sich gegen Hass und Hetze engagieren oder aus anderen Gründen nicht in das Weltbild der AfD und anderer Rechtsextremer passen, werden es in Sachsen auch in Zukunft schwer haben. In allen Regionen Sachsens, in jeder Kleinstadt und in jedem Dorf gibt es Menschen, die sich für demokratische Werte, für Vielfalt und eine liberale Gesellschaft engagieren. Diese Menschen sichtbar zu machen, zu unterstützen und zu stärken wird auch für die kommenden Jahre eine zentrale Aufgabe bleiben.
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