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Interview zum Assange-Auslieferungsverfahren: „Kein Ruhmesblatt für die britische und die US-Justiz“

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Ab Dienstag wird in London über den Berufungsantrag gegen die Auslieferung von Julian Assange in die Vereinigten Staaten entschieden. Im Interview beklagt der Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck beim Fall Assange die westlichen Doppelstandards. Er betont: Es geht um die Pressefreiheit.

Julian Assange wehrt sich gegen seine Auslieferung in die Vereinigten Staaten. (Diffusion Bee)

Der Royal Court of Justice in London wird ab Dienstagvormittag über den Berufungsantrag gegen seine Auslieferung entscheiden: Julian Assange soll auf Verlangen der US-amerikanischen Justiz in die Vereinigten Staaten überstellt werden. Ihm wird vorgeworfen, geheime Dokumente zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan, Irak und weiteren Ländern sowie Hacking-Werkzeuge der CIA veröffentlicht zu haben. Assange droht eine 175-jährige Freiheitsstrafe nach dem US-Spionagegesetz (Espionage Act).

Die Entscheidung trifft am 20. und 21. Februar eine Kammer aus zwei Richtern. Ob deren Entscheidung unmittelbar danach veröffentlicht wird oder erst Tage oder gar Wochen nach der Anhörung, ist bisher unklar. Geben die Richter dem Berufungsantrag in Teilen statt, könnten weitere Verfahrensschritte folgen. Lehnen sie ihn jedoch vollständig ab, kann die Auslieferung vollzogen werden. Dann droht Assange eine lebenslange Haft, über die ein Geheimgericht im US-Bundesstaat Virgina verhandeln würde.

Um das Auslieferungsverfahren des 52-jährigen Assange wird bereits seit Jahren gerungen. Eine britische Richterin hatte der Auslieferung aufgrund von psychischen Gesundheitsgefahren zunächst widersprochen. Assange wurde als suizidgefährdet beurteilt, daher seien die US-Haftbedingungen und rigiden Kontaktrestriktionen nicht zumutbar. Die Vereinigten Staaten legten dagegen Berufung ein, gaben einige diplomatische Versicherungen zu den Haftbedingungen ab und gewannen im Dezember 2021: Der Londoner High Court entschied damals, dass Großbritannien den australischen WikiLeaks-Mitgründer ausliefern darf. Im Juni 2022 unterzeichnete dann die ehemalige britische Innenministerin Priti Patel den Auslieferungsbefehl.

In der ecuadorianischen Botschaft in London, in der Assange Zuflucht gesucht hatte, wurde er mehrere Jahre lang mit technischen Mitteln ausspioniert. Der ehemalige CIA-Chef Mike Pompeo und Teile der Führung der CIA hatten zudem Entführungs- und Mordpläne ernsthaft diskutiert.

Den Espionage Act beurteilt Wolfgang Kaleck als ein klassisches politisches Delikt. Wir sprechen mit ihm über das Auslieferungsverfahren von Assange.

Wolfgang Kaleck. – Alle Rechte vorbehalten Nihad Nino Pušija

Wolfgang Kaleck ist Menschenrechtsanwalt und Gründer des European Centers for Constitutional and Human Rights (ECCHR).

Über viele Rechtsverletzungen hinweggesehen

netzpolitik.org: Worum geht es im Kern in dem Verfahren, das am Dienstag beginnt?

Wolfgang Kaleck: Das Hauptproblem im Fall Assange sind einerseits die westlichen Doppelstandards, also das Abfeiern von Whistleblowern und kritischen Journalisten aus autoritären Regimes. Andererseits bestanden seit Beginn der Aktivitäten von WikiLeaks große Vorbehalte gegen die Plattform und auch gegen Julian Assange. Deswegen wurde von vielen verkannt, dass es ums Prinzip geht, also um die Pressefreiheit, auch wenn WikiLeaks sich von anderen journalistischen Medien maßgeblich unterscheidet.

netzpolitik.org: Kann von einem fairen Verfahren gesprochen werden?

Wolfgang Kaleck: Man hat in den mehr als zehn Jahre andauernden Verfahren über viele rechtliche Probleme und Rechtsverletzungen hinweggesehen. Das fängt mit der Verkennung der grundsätzlichen Bedeutung der Pressefreiheit an und geht über eine vollkommen unverhältnismäßige Strafandrohung weiter. Auch das zu erwartende unfaire Verfahren nach den besonderen prozessualen Standards des Espionage Acts in den USA gehört dazu, ebenso wie die fragwürdige Gewinnung von Beweisen durch Abhören von Anwaltsgesprächen bis hin zu den menschenunwürdigen Haftbedingungen in einem Hochsicherheitsgefängnis und Isolationshaft sowie natürlich der Androhung von Gewalt gegen Assange.

netzpolitik.org: Hätte es Möglichkeiten gegeben, das Auslieferungsverfahren zwischenzeitlich einzustellen?

Wolfgang Kaleck: Insgesamt ist es alles andere als ein Ruhmesblatt für die britische und die US-Justiz. Genau aus dem Grunde hätte ich erwartet, dass das Verfahren zu einem viel früheren Zeitpunkt eingestellt wird. Möglichkeiten hätte es zur Genüge gegeben. Die Distrikt-Richterin in der ersten Instanz des Auslieferungsverfahrens war Assange ja nicht wirklich wohlgesonnen, hat aber der Auslieferung aus gesundheitlichen Gründen nicht zugestimmt. Dabei hätte man es auf beiden Seiten belassen können.

netzpolitik.org: Können US-Präsident Joe Biden oder Justizminister Merrick Garland den Auslieferungsantrag zurückziehen?

Wolfgang Kaleck: Die Regierung Biden hätte noch im ersten Monat das Rechtsmittel gegen das Urteil der ersten Instanz zurücknehmen können. Den Auslieferungsantrag können sie jederzeit zurückziehen. Genauso kann die britische Regierung jederzeit die Zustimmung verweigern, da das Auslieferungsverfahren von Natur aus eine exekutiv-politische Komponente aufweist, die genau solche Entscheidungen zulässt.

Julian Assange

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netzpolitik.org: Deutschland nimmt eine passive Haltung ein. Welche Forderungen wären an die deutsche Bundesregierung zu stellen?

Wolfgang Kaleck: Die Staaten der Europäischen Union, allen voran Deutschland, verkennen beharrlich, dass eben nicht nur Russland und China verantwortlich für die Erosion des Völkerrechts sind. Vielmehr müssen auch die westlichen Staaten, denen am Völkerrecht gelegen ist, in für sie schwierigen Situationen deutlich machen, wie wichtig Menschenrechte und Verfassungsprinzipien sind. Der Fall Assange zeugt vom Gegenteil und das vor den Augen der Weltöffentlichkeit.

netzpolitik.org: Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen!


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Author: Constanze

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