Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.
Wenn Behörden in der EU über Staatsgrenzen hinweg Daten tauschen möchten, braucht es teils immer noch Papier und Stift. Das neue Gesetz für ein interoperables Europa soll helfen und Behörden zu mehr Abstimmungen verpflichten. Fachleute kritisieren, dass quelloffene Software dabei zu kurz kommt.
Europäische Bürger:innen dürfen sich in der Union frei bewegen. Sie dürfen in andere Mitgliedstaaten fahren, dort einkaufen gehen, Selfies an ihre Familie verschicken – sogar ohne Roaminggebühren – sich dort verlieben, trennen, neu verlieben und verloben. Aber wenn es ans Heiraten geht, dann wird es kompliziert, oder zumindest manchmal langsam.
Denn um zu heiraten, muss man mit Behörden reden, und die müssen in ihre Datenbanken schauen. Und diese Datenbanken sind zwischen Mitgliedsstaaten oft untereinander noch nicht interoperabel. Wenn dann eine Bürgerin in einem Land etwas auf einer Behörde erledigen will, kann es deshalb zu Verzögerungen kommen. Im schlimmsten Fall müssen Informationen zwischen Datenbanken per Hand mit Stift und Papier transferiert werden. Das verschwendet die Zeit von Beamt:innen und Bürger:innen.
Alle Seiten sehen die Notwendigkeit
Hier soll ein Gesetz helfen, dass die EU-Institutionen gerade fertigstellen. Das trägt den handlichen Namen „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen für ein hohes Maß an Interoperabilität des öffentlichen Sektors in der Union“, kurz: Gesetz für ein interoperables Europa. Dieses Gesetz legt für Behörden in der ganzen Union fest, wie sie zukünftig darauf hinarbeiten sollen, dass ihre Datenbanken untereinander kommunizieren können.
„Die Bürger:innen verdienen es, öffentliche Dienstleistungen schnell und grenzübergreifend zu erhalten, in ganz Europa“, sagte am Montag Ivars Ijabs. Der lettische Liberale ist Berichterstatter des Europaparlaments für das Vorhaben. „Viele Milliarden europäischer Finanzmittel sind schon vergeudet worden, wir hätten einen entsprechenden Rechtsakt schon früher gebraucht. Aber besser spät als gar nicht.“
Rat und Parlament hatten sich schon im November auf einen gemeinsamen Text geeinigt. Gestern stimmte das Parlament dem Kompromiss zu. Sobald die zuständigen Minister:innen noch einmal formell ihre Zustimmung geben, kann das Gesetz in Kraft treten.
Auswirkungen in Betracht ziehen
Bloß, wie bringt man Behörden dazu, interoperabel zu sein? Die EU möchte das in kleinen Schritten tun: Behörden müssen demnach eine Bewertung durchführen, sobald sie Regeln verändern wollen, die sich auf den Datenaustausch zwischen Mitgliedstaaten beziehen. Die betroffene Behörde muss dann einschätzen, welche Auswirkungen die geplante Änderung auf den Datenaustausch hat und für wen das wichtig sein könnte.
Eine Bewertung hat aber keine verpflichtenden Folgen für Behörden eines Mitgliedstaates: Das Ergebnis „sollte in Betracht gezogen werden“, heißt es in der fertigen Version des Gesetzes.
Keine Pflicht zu Open Source
Nun braucht es neben Regeln oft auch noch weiteres Werkzeug, um Datenbanken miteinander über Grenzen hinweg miteinander zu verbinden. Das können etwa Leitlinien sein oder auch komplette Software. Damit die Behörden in den Mitgliedstaaten nicht reihenweise Insellösungen entwickeln, verpflichtet das neue Gesetz Behörden künftig dazu, ihre Lösungen auf Anfrage weiterzugeben. Dabei müssen sie auch eventuelle Versionsverläufe und den dokumentierten Quellcode weitergeben. Ausnahmen sieht das Gesetz vor, wenn eine Lösung urheberrechtlich geschützt ist oder es um kritische Infrastruktur oder die nationale Sicherheit geht.
Was das neue Gesetz nicht enthält, ist eine Verpflichtung zu Open Source. Behörden müssen ihre Lösungen nicht allgemein zugänglich machen, sondern nur anderen Behörden und nur auf Anfrage. Die Free Software Foundation Europe hatte sich vehement für stärkere Regeln in diese Richtung eingesetzt, letztendlich gibt es nur eine Bevorzugung: Wenn eine Open-Source- und eine Closed-Source-Lösung gleich viel können, gleich viel kosten und gleich sicher sind, dann muss eine Behörde dem Gesetz zufolge die Open-Source-Lösung wählen.
Zudem soll es ein zentrales „Portal für ein interoperables Europa“ geben, das einige besonders empfehlenswerte Lösungen auch für die Öffentlichkeit zugänglich macht. Diese müssen entweder eine Lizenz haben, die eine Weiterverwendung ermöglicht, oder gleich quellofen sein. Behörden können auch selbst entscheiden, eine Lösung auf dem Portal zur Verfügung zu stellen – Open ist also nur eine Option.
Zivilgesellschaft darf beraten
Verwalten soll diesen Austausch ein neu geschaffener Interoperabilitätsausschuss. Der soll etwa der EU-Kommission empfehlen, wie einzelne Lösungen kompatibler gemacht werden könnten, oder Leitlinien zum Teilen der Lösungen festlegen.
Mitreden sollen dabei Vertreter:innen der Kommission und der Mitgliedstaaten. Der Europäische Ausschuss der Regionen, die EU-Cybersicherheitsagentur und das Europäische Kompetenzzentrum für Cybersicherheit sollen als Beobachter eingeladen werden. Wer im Ausschuss nicht vertreten ist, sind Entwickler:innen von freier Software. Das hatte die Free Software Foundation Europe ebenfalls erfolglos gefordert.
Der Ausschuss darf aber unabhängige Expert:innen einladen, um ihre Meinung einzuholen. Außerdem soll eine „Interoperabilitäts-Gemeinschaft“ den Ausschuss beraten. In dieser sollen Behörden, aber auch Unternehmen, Zivilgesellschaft und Forschung vertreten sein.
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Author: Maximilian Henning