Lobbyismus ist das eine. Aber bei der Fortbildung von Richtern zum Familienrecht geben kämpferische Väterrechtler Stichworte. Nun gibt es Widerspruch.
Es ist eine der Fehlstellen bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland: Eben erst hat das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) beklagt, dass es keine systematische und verpflichtende Fortbildung von Justiz und Polizei zum Thema „Gewalt gegen Frauen“ gibt.
Jetzt stellt sich heraus: Auf freiwilliger Basis geschieht trotzdem allerlei. Aber: Dabei geben auch Lobbyisten der Väterrechtsbewegung Stichworte und nehmen Einfluss auf die Fortbildung von Richterinnen und Richtern. Mit zum Teil verheerenden Folgen für Mütter, die vor Familiengerichten mit teilweise gewalttätigen Ex-Partnern im Streit um Sorge- und Umgangsrecht für ihre Kinder liegen. Also völlig konträr zur Istanbul-Konvention, dem Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen – seit der Ratifizierung 2018 in Deutschland mit dem Rang eines Bundesgesetzes.
„Ahnungslosigkeit oder Böswilligkeit“
Um es in den Worten des Familienrechtlers Ludwig Salgo aus Frankfurt am Main zu sagen: Die Praxis in der Justiz werde „teils von exotischen Theorien – aus Ahnungslosigkeit oder schlimmstenfalls sogar Böswilligkeit – gesteuert“.
Gemeint mit diesen „exotischen Theorien“ ist zum einen der auf den US-amerikanischen Psychologen Richard Gardner zurückgehende Begriff des Parental Alienation Syndrom (PAS) – zu deutsch: Eltern-Kind-Entfremdung. Demnach wird Elternteilen – zumeist Müttern – vorgeworfen, mit Falschbehauptungen zu physischer und psychischer Gewalt das andere Elternteil aus dem Umgangs- und Sorgerecht heraushalten zu wollen. Die andere Theorie kreist um die Annahme, dass ein Kind nach einer Trennung grundsätzlich beide Eltern brauche, um keinen Schaden zu nehmen. Der Familienrechtler Salgo bestreitet beides. Er sagt gegenüber Volksverpetzer, dass das Bundesverfassungsgericht 2023 „glücklicherweise die Notbremse gezogen“ () habe, als es entschied, das überkommene PAS-Konzept „fachwissenschaftlich als widerlegt“ zu betrachten. Und dass ein Kind, das Umgang ablehnt, „kein gefährdetes Kind“ sei.
„Missbrauchsverdacht als Trumpfkarte?!“
Und doch bestimmen diese „exotischen Theorien“ immer noch das tägliche Handeln bei vielen Familiengerichten und Jugendämtern. Eine Akteurin bei dieser Stimmungsmache ist die Psychologin Katharina Behrend aus dem ostwestfälischen Lemgo. Sie ist seit Jahren als Vortragsreisende bei staatlichen Fortbildungen der Justiz unterwegs. Bisher blieb das weitgehend unter dem Radar.
Zuletzt referierte Behrend beispielsweise im April bei einer Tagung der Deutschen Richterakademie im brandenburgischen Wustrau unter anderem unter der Überschrift „Missbrauchsverdacht als Trumpfkarte?!“. Im September trat Behrend bei der Justizakademie Hessen zum Thema „Umgang mit dem Umgang – hochstrittige Paare“ auf. Laut Programm ging es unter anderem um die „erhebliche Psychosomatik“ nach Trennungen, Fälle, in denen „jeder sich selbst als Opfer und den anderen als Täter sieht“.
Nach eigenen Angaben war Behrend daneben auch Referentin an Justizakademien in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und Sachsen, dies jeweils „in Kooperation mit Prof. Dr. Jopt“, wie sie auf ihrer Homepage schreibt.
Gründungsvater des PAS-Mythos
Zum besseren Verständnis: Professor Uwe Jopt ist einer der Gründungsväter des PAS-Mythos in Deutschland – und seit Jahren eng verbandelt mit Behrend. Jopt saß 2002 im Publikum, als der US-Psychologe Gardner von Aktivisten der Väterrechtsbewegung zu einer internationalen PAS-Konferenz nach Frankfurt am Main geholt wurde, der, wie es hieß, „ersten Tagung zu diesem Phänomen in Deutschland“.
Jopt, damals Hochschullehrer an der Universität Bielefeld, meldete sich nach dem Einführungsreferat von Gardner in der Diskussion zu Wort. Er beklagte den fehlenden Einsatz von Fachkräften und Behörden für das „instrumentalisierte Kind“, das „PAS-Kind“. Und appellierte: „Es ist so wichtig, dass wir uns bündeln und dass wir hier den Weg bereiten für die Sensibilisierung der Praktiker, der Gerichte und Jugendämter.“ Das Thema müsse „in die Köpfe aller, die mit dieser Problematik befasst sind“. Ein Video mit Jopts Wortmeldung findet sich bis heute im Netz.
Väterrechtler auf dem Vormarsch
Jopt verfasst seit vielen Jahren Aufsätze zum „seelischen Missbrauch“ von Trennungskindern. An der Katholischen Akademie Trier sprach er 1999 über PAS als „unheimliches Phänomen“. 2006 sagte er in einem Interview auf die Frage, ob ein schlechter Vater besser sei als gar kein Vater: „Besser das Kind im Spannungsfeld seiner Eltern als gar kein Kontakt zu einem Elternteil.“ Die „bewertende Sicht der sorgeberechtigten Mutter“ dürfe nicht vorschnell Kriterium sein. Kinder müssten „vor den Konfliktmühlen einer abschottenden Mutter“ geschützt werden.
2023 wurde Jopts Rolle in der Szene in der Correctiv-Recherche „Väterrechtler auf dem Vormarsch“ beschrieben. Demnach liegt dem Recherchekollektiv eine Präsentation einer seiner Vorträge vor: „Darin erscheint die Mutter als dominierende Figur, die über einen ,Standortvorteil‘ und ,Definitionsmacht‘ gebietet. Und auf einer Folie steht: ,Trennungsschmerz auf Elternebene ist männlich!‘“
Das wird hier so ausführlich erwähnt, weil es eine ganze Reihe Schnittstellen zwischen Uwe Jopt und Katharina Behrend gibt, jener Frau also, die immer wieder eingeladen wird zu Fortbildungsveranstaltungen für Richterinnen und Richtern, Verfahrensbeistände und Gutachter. Jopt ist quasi der akademische Ziehvater von Behrend. Sie lauschte in den Hörsälen der Universität Bielefeld seinen Referaten. In ihrer 2009 veröffentlichten Dissertation „Kindliche Kontaktverweigerung nach Trennung der Eltern aus psychologischer Sicht: Entwurf einer Typologie“ dankt sie Jopt „für die anregenden Diskussionen“. Der Professor habe ihr ein Berufsfeld eröffnet, „das mich bis heute mit Begeisterung erfüllt“.
„Staatlich legalisierter Beziehungstod“
Bald nach ihrer Dissertation verfasste Behrend gemeinsam mit Jopt eine 49-seitige Analyse unter der Überschrift „PAS – ein Zwei-Phasen-Modell“. Eins zu eins übernahmen die beiden die Thesen von Gardner nicht, warben aber für deren Fortschreibung.
Unter anderem steht in der gemeinsamen Expertise: Alle Verfahrensbeteiligten müssten sich der „großen Gefahr, die von PAS ausgeht“, bewusst sein. Wenn der betreuende Elternteil der Abgrenzung zum anderen nicht widerspreche, sie im Stillen womöglich sogar begrüße, laufe „jede gerichtliche Aussetzung des Umgangsrechts auf einen staatlich legalisierten Beziehungstod des Kindes hinaus, auf einen irreversiblen Verlust, der es emotional verarmen und den betroffenen Elternteil dauerhaft leiden lässt“.
Seit 2005 arbeiten Behrend und Jopt beim Thema Weiterbildung auch institutionell zusammen. Gemeinsam betreiben sie in Lemgo das „Institut für lösungsorientierte Arbeit im Familienrecht“, mit Kursen für alle ins Familienrecht eingebundenen Professionen.
2012 war Behrend Referentin beim „Bundeskongress Elternkonsens“ in Stuttgart, einer vom baden-württembergischen Justizministerium organisierten Tagung. Sie sprach dort über „Umgangsverweigerung“ und skizzierte als Folgen für das betroffene, nur mit einem Elternteil aufwachsende Kind „Hilflosigkeit, Irritation, Trauer, Unverständnis, Verzweiflung, Angst, Wut“, letztlich „psychische Verwaisung“.
Rede beim Väteraufbruch
2017 trat Behrend beim Familienkongress der Lobby-Vereinigung Väteraufbruch für Kinder (VafK) in Halle/Saale auf, der unter dem Motto „Vater wo bist Du? Kindeswohlgefährdung durch Eltern-Kind-Entfremdung/Kontaktabbruch“ stattfand. Sie hielt das einführende Referat zum Thema „Eltern-Kind-Entfremdung – ein Beziehungsdrama mit Folgen“. Ein Teilnehmer berichtete begeistert in einem Blog, wie eindrucksvoll Behrend das Bedürfnis von Kindern nach beiden Elternteilen geschildert habe.
Auch bei der erwähnten Fortbildung der Deutschen Richterakademie im April in Wustrau blieb Katharina Behrend beim Thema Trennungskinder und bezog sich dabei auch auf die Thesen von Richard Gardner. Sie sprach Teilnehmern zufolge über „das Kind als Waffe im Trennungskrieg“ und sagte: Wenn jemand ein Kind entfremde, verletze er ihn maximal. Allerdings sei diese vorsätzliche Instrumentalisierung „selten“. Entfremdung könne auch unbedacht geschehen.
Sachsen weist Kritik zurück
Die Tagung in Wustrau war vom sächsischen Justizministerium organisiert worden. Ministeriumssprecher Alexander Melzer sagt dazu, Behrend sei seit 2015 regelmäßig zu den Tagungen zum Thema Familienrecht eingeladen worden. Aus der Evaluation durch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und dem Bericht der Tagungsleitung hätten sich „keine Anhaltspunkte für problematische Vortragsinhalte“ ergeben. „Daher wurde Frau Dr. Behrend wiederholt angefragt und beauftragt.“
Das bestätigt auch der Tagungsleiter Mathias Zschiebsch, stellvertretender Direktor des Amtsgerichts Grimma. Auf seinen Vorschlag hin wurde Behrend wiederholt eingeladen – und er möchte sie auch zur nächsten Tagung im April 2025 verpflichten. Es sei ihm nicht klar, wie man zur Einschätzung gelangen könne, Behrend sei in der Fachwelt umstritten. Die Referentin habe das PAS-Konzept in den von ihm erlebten Fortbildungen „zwar kurz vorgestellt, aber sich deutlich davon distanziert“. Zschiebsch schreibt auf Anfrage weiter: „Frau Dr. Katharina Behrend ist eine hervorragende Referentin. Ihre Vorträge werden stets bestens von den Teilnehmern bewertet.“ Es habe „nicht ansatzweise“ Kritik an ihrer Berufung gegeben.
Ähnlich verteidigt das hessische Justizministerium die Einsätze von Behrend bei der Justizakademie Hessen seit 2015. Sämtliche Veranstaltungen der Justizakademie seien anhand der Rückmeldungen der Teilnehmer „streng evaluiert“ worden, sagt Ministeriumssprecher Benjamin Weiß. In der Vergangenheit habe es zu den Vorträgen von Behrend „keinerlei Kritik“ gegeben. Die Referentin habe ausdrücklich versichert, dass sie das PAS-Konzept in den Veranstaltungen „nicht befürwortet“ habe, „sondern vielmehr als unwissenschaftlich und als fachlich nicht nutzbar einstuft“.
Bloß Kreide gefressen?
Hat Katharina Behrend ihre Meinung geändert? Ist sie gar nicht mehr verstrickt in die Szene der Väterrechtler, die auf die Beobachter wirkt wie eine Glaubensbruderschaft? Oder hat sie bloß Kreide gefressen, um ihr Geschäftsmodell zu retten? Auf einen Fragenkatalog antwortet sie sehr ausführlich – und geht auf viele Akteure ein, die sich in der Diskussion zum Thema Familienrecht und Gewalt gegen Frauen zu Wort melden. Eine Distanzierung folgt dabei der anderen.
Zum Beispiel vom Hamburger Soziologen Wolfgang Hammer, der im November eine neue Studie vorgelegt hat zum Umstand, dass Gewalt nach einer Trennung oft nicht aufhört, erst recht, wenn Kinder im Spiel sind. Und die unrühmliche Rolle von Familiengerichten und Jugendämtern dabei. „Recht einseitig ausgerichtet“, sagt sie über Hammers Analysen. Ähnlich gelte das auch für die Correctiv-Recherche zu Väterrechtlern. „Diese Arbeiten ließen fachliche Ausgewogenheit vermissen.“
Zugleich aber kritisiert Behrend auch Veröffentlichungen, die sich positiv auf die PAS-Thesen beziehen. Zum Beispiel den für Das Erste entstandenen Film „Weil Du mir gehörst“, in dem 2019 die Problematik der Eltern-Kind-Entfremdung in einem aus Sicht des Väteraufbruchs „in einem exzellenten und aufwändig recherchierten Drehbuch (…) sehr authentisch umgesetzt wurde“. Behrend sagt dazu, die Filmemacher seien von „vermeintlichen Experten beraten“ worden. Die Darstellungen im Film würden „unverkennbar auf dem PAS-Konzept fußen“ – was sie angeblich problematisch findet.
Unbrauchbar für eine Erklärung sei es auch, PAS bzw. Eltern-Kind-Entfremdung einfach umzubenennen, wie es beispielsweise der Psychologe Stefan Rücker aus Bremen tue: „trennungsinduzierte Kontaktablehnung“. Alle diese Konzepte insinuierten einen „Masterplan“ eines vorsätzlich handelnden Elternteils.
Klare Worte des Bundesverfassungsgerichts
Es klingt nach Selbstverharmlosung: Ausgerechnet Behrend, die seit Jahrzehnten – oft gemeinsam mit ihrem Mitstreiter Jopt – die Diskussionen um Eltern-Kind-Entfremdung und Trennungskinder befeuert, will auf einmal nichts mehr von diesen Konzepten wissen? Zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2023, wonach PAS „keine hinreichend tragfähige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung“ bietet, sagt Behrend: „Diese Entscheidung entspricht exakt meiner Auffassung vom fachlichen Wert des PAS-Konzepts.“
Ihre angeblich nun vorhandene Distanz zum PAS-Konzept begründet Behrend damit, dass sie – anders als Gardner – nicht von einem planvollen Handeln des betreuenden Elternteils, in der Regel der Mutter, ausgeht. Zumeist geschehe die Beeinflussung des Kindes „unbewusst und unbeabsichtigt“.
Was die Psychologin dabei unterschlägt: Mit Begriffen wie Eltern-Kind-Entfremdung wurden von Gewalt betroffene Mütter vor Gericht immer wieder diskreditiert. Im „schlimmsten, nicht seltenen Fall“ sei ihnen sogar das Sorgerecht entzogen worden, schrieb die Deutsche Kinderhilfe in einer Reaktion zur jüngsten Hammer-Studie. Auf die Frage, ob es um Vorsatz oder um eine unbewusste Beeinflussung ging, kam es bei den Entscheidungen der Familiengerichte gar nicht an. So oder so wird vor Gericht und von Gutachterinnen und Gutachtern allzu häufig eine mögliche Kindeswohlgefährdung diagnostiziert.
Die Diskussionen zu diesem Thema werden weiter emotional geführt. Und nachvollziehbar ist, dass dabei auch Lobbyisten mitreden. Das ist in einer Demokratie auch legitim. Höchst problematisch ist es indes, wenn diese Lobbyisten Einfluss nehmen auf die Justiz, wie es offensichtlich geschieht. Und umgekehrt eine verpflichtende Fortbildung von Richterinnen und Richtern ausbleibt. „Bei einer Trennung können Umgangsregelungen zum ernsthaften Sicherheitsrisiko für Betroffene und ihre Kinder werden“, mahnte das DIMR in seinem Monitor „Gewalt gegen Frauen“. Und der Familienrechtsexperte Ludwig Salgo beklagt kurz vor der vorgezogenen Bundestagswahl: „Vom im Koalitionsvertrag versprochenen Rechtsanspruch auf Fortbildung ist nicht mehr die Rede.“
„Offenkundig ideologisch eingenordet“
Den Fall Katharina Behrend findet Salgo besonders fragwürdig. Er versteht nicht, warum die für die Richterfortbildung in den Bundesländern Verantwortlichen unbeachtet lassen könnten, dass die Psychologin aus Lemgo immer wieder für die Durchsetzung von Umgang auch gegen den Willen des Kindes plädiert habe. Selbst wenn Behrend sich neuerdings vom PAS-Konzept distanziere, so sei sie doch „offenkundig ideologisch eingenordet“ und „fachwissenschaftlich nicht auf der Höhe der Zeit“.
Salgo nimmt Behrend die von ihr selbst vorgenommene Reinwaschung nicht ab. Mit ihren Diagnosen folge sie trotz aller Dementis im Grundsatz noch immer dem Konzept von Gardner. Dessen „Experimente“ hätten „zu schwersten Depressionen und sogar Suizidalität bei Kindern“ geführt, sagt er.
Artikelbild: canva.com
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