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Elon Musk Antisemit? Die gesamte Chronologie seiner Aussagen

GASTBEITRAG GUNNAR HAMANN

Der 27. September 2022. Nach langem hin und her wird der Deal zwischen Elon Musk und Twitter besiegelt. Der reichste Mensch der Welt übernimmt eine der wichtigsten Social-Media-Plattformen des Planeten. Die Zeit dazwischen ist von Chaos bestimmt. Viele treibt nach Musks Zustimmung zu einem antisemitischen Tweet in den vergangenen Tagen eine Frage immer mehr um: Hegt das vermeintlicheGenie“ antisemitische Einstellungen? Dabei fällt Musk nicht zum ersten mal mit Grenzüberschreitungen in diesem Zusammenhang auf. Dieser Beitrag enthält eine erste deutschsprachige Chronologie über Musk, sein Verhältnis zum Antisemitismus und das Scheitern seiner Plattform im Kampf gegen den Menschenhass. Über die dunkle Seite von Musk, die viele verdrängt haben und weiter verdrängen.

Hier kann man sich durch die Chronologie von ELon Musk und Antisemitismus klicken:


Die Einordnung:

Weißes Haus wirft Musk Verbreitung von Antisemitismus vor

Am Mittwoch des 15. November 2023 bekundete Elon Musk seine Zustimmung zu einem Tweet, in dem eine antisemitische sowie rassistische Verschwörungserzählung verbreitet wird. Musk wurde dafür teilweise noch am gleichen Tag von zahlreichen jüdischen Organisationen kritisiert.

Katharina Wilhelm erwähnte in einem Artikel auf Tagesschau.de, dass Musk seine Äußerung später relativierte, da er sich nach eigener Angabe „nur“ auf die jüdische US-amerikanische Organisation Anti-Defamation League (ADL) bezogen habe. Etwas anders stellt sich die Geschichte für Yair Rosenberg in The Atlantic dar. Musk relativierte schließlich in einem weiteren Tweet noch einmal die vorherige Relativierung und antwortete einem Nutzer:

Sie haben Recht, dass dies nicht für alle jüdischen Gemeinden gilt, aber es ist auch nicht nur auf ADL beschränkt.

Zustimmung zu einem Neonazi-Märchen

Eine Distanzierung Musks zur sogenannten „Great Replacement“-Verschwörungszerzählung blieb bislang aus. Seine Tweets dazu hat er bisher ebenfalls nicht gelöscht.

Das US-amerikanische IT- und Beratungsunternehmen IBM kündigte am Donnerstag an, vorläufig keine weitere Werbung auf Musks Plattform Twitter zu schalten. Die den Demokraten nahestehende Organisation Media Matters hatte zuvor noch am gleichen Tag entdeckt, dass auf Twitter Werbung von Großwerbetreibenden neben teils antisemitischen Inhalten erscheint. Am Freitag folgten Apple, Disney, Warner Bros Discovery, Paramount Global, Lions Gate Entertainment und Comcast. Die EU-Kommission möchte ebenfalls vorerst nicht auf Twitter werben. Mittlerweile sind zehn Großkunden von Twitter abgerückt. Das Weiße Haus warf Musk noch am Freitag die „abscheuliche Förderung antisemitischen und rassistischen Hasses“ vor.

Laut ADL habe die Organisation seit dem Angriff der Terrorgorganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober einen Anstieg antisemitischer Inhalte auf Twitter von 900% festgestellt. Expert:innen die die Plattform und Elon Musk genau beobachten führen diesen Anstieg auch auf sein Wirken zurück, so die Washington Post.

Großvaterparadoxon: Bemerkenswerte Parallelen

Am 28. Juni 1971 wird Elon Reeve Musk im südafrikanischen Pretoria geboren. Sein Großvater ist Joshua Haldeman. Joshua Benton schreibt für The Atlantic, dass Musk-Biograph Walter Isaacson dem Großvater nur anderthalb Seiten in seinem Buch einräumt. Dabei ist Haldeman eine interessante Figur.

Hannah Getahun ging für Business Insider im September dieses Jahres ins Detail. Haldeman war Mitglied der Gruppe „Technocracy Incorporated“. Die Bewegung glaubte das die Erde von einem totalitären Regime von Wissenschaftlern und Ingenieuren beherrscht werden sollte. Mitglieder wurden mit Nummern angesprochen. Einige fügten ihren Namen auch den Buchstaben X an. Später gründete die Bewegung eine eigene Partei, die jedoch von der kanadischen Regierung – dort lebte Haldeman zu dieser Zeit – verboten wurde.

Anschließend trat Haldeman der „Social Credity Party” bei. Die Partei galt als offen judenfeindlich und publizierte die antisemitischen Schriften der Protokolle der Weisen von Zion. Haldeman nahm seine Partei nicht nur vor dem Vorwurf des Antisemitismus in Schutz, sondern verteidigte auch die Veröffentlichung der Protokolle.

Judenfeindlichkeit auch in der Familie?

Später zog Haldeman nach Südafrika, um seinen Traum einer „weißen Zivilisation“, so Haldeman wörtlich, zu realisieren und das Apartheidssystem zu unterstützen. Musks Großvater soll mit Vorliebe verschiedene Verschwörungsnarrative geteilt haben. Er starb 1974, als Musk noch ein Kleinkind war.

Unstrittig ist, dass Elon Musk nur wenig Zeit mit seinem Großvater verbrachte. Könnten dessen Ansichten sich aber auch in Teilen der Kernfamilie von Musk gehalten haben? Es gibt zumindest einige auffallende Parallelen zwischen Musk und seinem Großvater. Beide abenteuerlustig und vernarrt in Technologie, aber auch mit einer ungesunden Faszination für Verschwörungserzählungen. Ob die kreative Namensgebung von Musks Kindern auch mit der Vergangenheit seines Großvaters zu tun hat, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.

Dass Musks zunehmende Radikalisierung mit der Pandemie zusammenhängt, scheint nicht unwahrscheinlich. Er teilte mehrfach Desinformationen sowie Verschwörungserzählungen in dieser Zeit.

Ein Zeitstrahl der Radikalisierung

Die erste Erwähnung zu Musk in Bezug auf Antisemitismus reicht einige Jahre zurück. Ende Mai 2018 schrieb er auf Twitter an den US-amerikanischen Journalisten Ben Collins gerichtet: „Wer glaubst du *besitzt* die Presse. Hallo.“ Unter seinem Beitrag ergoss sich eine Vielzahl von antisemitischen Tweets.

Der nächste Vorfall fand – ebenfalls im Mai – 2020 statt. Musk verwendete auf Twitter ein Sprachbild, was aus Kreisen der teils antisemitischen QAnon-Bewegung bekannt ist. Im Februar 2022 verglich er Kanadas Premierminister Justin Trudeau mit Adolf Hitler, löschte seinen Tweet nach Kritik aber wieder. Seit Oktober 2022 gab es immer wieder ähnliche Vorfälle. Einige davon bezogen sich auch auf den unzureichenden Umgang von Musks Plattform mit antisemitischen Inhalten. So stellte die ADL in einen Bericht vom 28. Oktober 2022 einen Anstieg von Antisemitismus auf Twitter fest.

Im Januar 2023 forderten über 100 jüdische Organisationen Musk in einem offen Brief zu mehr Engagement gegen Antisemitismus auf Twitter auf. Seitdem haben mehrere Organisationen wie das Institute für Stategic Dialogue (ISD), das Center for Countering Digital Hate (CCDH) als auch die ADL teils wiederholt berichtet, dass die Plattform zu wenig gegen Hatespeech sowie antisemitische und rassistische Inhalte unternimmt.

Musk drohte in der Vergangenheit sowohl der ADL als auch dem CCDH mit Klagen. Zur Begründung gab er an: Beide Organisationen sollen Werbepartner von seiner Plattform vertreiben. Miles Klee schrieb dazu vor wenigen Tagen für den Rolling Stone, dass diese Behauptung unbegründet sei und viele Marken Elon Musks eigenes Verhalten als Grund für den Rückzug angeben.

Musk kündigte für den 20. November eine Klage gegen Media Matters an. In dem beigefügten Schreiben wirft Musk der Organisation ebenfalls vor, Werbetreibende von der Plattform zu vertreiben. Der Inhaber von X sprach zudem in einem Tweet davon, dass es hunderte Berichte in Medien gebe, die ihm Antisemitismus vorwerfen. Belege dafür lieferte er bislang nicht. Der republikanische Generalstaatsanwalt des US-amerikanischen Bundesstaats Missouri, Andrew Bailey, kündigte auf Twitter derweil an, dass sein Team der Sache um Media Matter ebenfalls nachgehe. Der Rechtsanwalt Max Kennerly bezeichnete dies auf Twitter als „einen Missbrauch von Regierungsmacht, der genuin die Redefreiheit bedroht“.

98% der gemeldeten Tweets bleiben ungelöscht

Am 18. September 2023 traf Elon Musk sich mit Israels Premierminister Benjamin Netanyahu. Netanyahu forderte Musk dazu auf mehr gegen antisemitische Inhalte auf der in der Zwischenzeit von Twitter zu „X“ umbenannten Plattform zu unternehmen, nahm diesen aber auch indirekt gegen den Vorwurf des Antisemitismus in Schutz. Musk behauptete auf dieser Veranstaltung, wie auch in der Vergangenheit immer wieder, sich gegen Antisemitismus einzusetzen. Doch was folgte daraus?

Statt Löschungen und Sperren setzt Elon Musk auf »Gegenrede« und Gegenargumente“, so Michael Thaidigsmann für die Jüdische Allgemeine im Oktober über eine Gesprächsrunde mit Musk auf dessen Plattform. In dem Gespräch drehte sich alles es um die Antisemitismusvorwürfe gegen ihn und Twitter .

Ein weiterer Bericht des CCDH stellte am 14. November fest, dass Twitter während des Kriegs zwischen Israel und der Hamas dabei versagte 98% von 200 für Hass und Extremismus gemeldeten Tweets zu löschen. Darunter antisemitische und muslimfeindliche Beiträge. Den gesamten Zeitablauf von 2018 bis heute – mit zahlreichen weiteren Vorkommnissen – kann man sich hier in der Einbettung einsehen und in der Chronologie oben. Alles andere würde den Rahmen sprengen.

Musk unterwegs in den Abgrund, doch wer folgt ihm dorthin?

Interessant ist zu beobachten wie das Medium WELT mit Musks jüngstem Verhalten umgeht. Oder eben nicht umgeht. Zwar findet sich eine Meldung zum Werbestopp durch IBM und die aktuelle Kritik des CCDH wieder, aber beide Berichte wurden lediglich direkt von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) übernommen. Stattdessen ein Meinungsbeitrag vom 16. November – also einen Tag nach Musks Zustimmung zu einem antisemitischen Tweet –, in dem man sich die Scheinfrage stellt, warum „deutsche Medien lieber auf Elon Musk schimpfen statt auf Amazon“.

Erst am 18. November erschienen erste eigene Beiträge zur Sache auf der Seite der WELT. Schwesterblatt BILD berichtete einen Tag zuvor.

Daraus ließen sich interessante Fragen ableiten. Etwa über WELT-Chefredakteur Ulf Poschardt, der Musk noch bis zuletzt in Schutz nahm und – ebenso wie beispielsweise die WELT-Kolumnistin Anna Schneider – zum Multimilliardär in den vergangenen Tagen kein kritisches Wort verloren hat. Auch andere Journalist:innen aus dem Hause Springer verhalten sich erstaunlich zurückhaltend beim Thema Musk. Das gleiche gilt für NIUS-Journalisten wie Julian Reichelt und Julius Böhm.

Bei WELT wird Musk in Schutz genommen

Ebenso Bari Weiss. Musk hatte die Journalistin ins Team der sogenannten Twitter Files geholt. Die Beziehung zwischen Weiss und Musk ist sehr ambivalent. Einerseits unterstützte sie Musks laxen Umgang mit der Moderation von Inhalten auf Twitter , andererseits kritisierte sie Musk deutlich, nachdem dieser mehrere Journalist:innen sperrte, die in der Vergangenheit kritisch über seine Plattform berichteten.

Vor wenigen Wochen interviewte sie Musk-Biographen Walter Isaacson. Über die Berichte der ADL zu Twitter verlieren dabei weder Weiss noch Isaacson ein Wort. Weiss arbeitete in der Vergangenheit für die ADL, wurde aber später zu einer lautstarken Kritikerin der Organisation. Auf ihrem Account auf Twitter schreibt Bari Weiss gerne und viel über „Wokeness“, aber erwähnt Musk seit Mai dieses Jahres nicht mehr.

Eine weitere Gemeinsamkeit mit Ulf Poschardt, der Texte von Weiss in der WELT in deutscher Übersetzung publizieren lässt. Zuletzt am 17. November über die „woke Ideologie“ der DEI. Nur wenige Tage nach der Zustimmung Musks für den vielfach kritisierten antisemitischen Tweet. Für Weiss‘ Zurückhaltung kann es jedoch derzeit auch sehr gute Gründe geben. So berichtete sie kürzlich von Bombendrohungen gegen die Synagogen von zwei Mitarbeiter des von Weiss gegründeten Mediums „The Free Press“.

Umfassender Kampf gegen Antisemitismus notwendig

Es besteht gegenwärtig eine Gefahr darin, dass die Extremisierung im Netz, auf der Straße und im Bekanntenkreis dazu führen könnte das Verhalten von Elon Musk zu beschönigen oder wegzuschauen, weil er vergleichsweise weniger extrem wirkt. Elon Musk ist vermutlich einer der einflussreichsten Personen auf diesem Planeten. Wenn er anfängt derlei menschenverachtenden Verschwörungserzählungen nicht nur Reichweite zu verschaffen, sondern diesen auch noch zustimmt, wird es ernst.

Ulf Poschardt und die WELT haben sich den Kampf gegen den Antisemitismus und für die freie Rede auf die Fahnen geschrieben haben. Dass er keine Worte für das findet was gegenwärtig mit Musk und Twitter geschieht, ist bedenklich und eine interessante Spiegelbildlichkeit. Schließlich bedroht der sich auf Twitter dank Musk den Weg freibahnende Menschenhass auch gegenwärtig Menschen auf den Straßen Deutschlands.

Irgendwann drehen wir uns dann nur noch um die eigene Achse beim Kampf gegen Antisemitismus. Große Medien haben die entsprechenden Kapazitäten und müssen sich wirklich kritisch mit jedweder Spielart des Antisemitismus auseinanderzusetzen. Letzteres wäre wichtig und zwar völlig unabhängig davon aus welcher Richtung dieser kommt. Denn Ignoranz ist der wahre Feind guter Vorsätze.

Insofern möchte ich das hier nicht als „Forderung“ verstanden wissen, sondern als Wunsch die integrative Aufgabe des Journalismus in der kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Zielgruppe wieder mehr in den Blickpunkt zu nehmen. Auch auf Social-Media und erst recht auf Twitter.

Volksverpetzer kann hingegen Personen wie Greta Thunberg sehr wohl deutlich kritisieren:

Artikelbild: Frederic Legrand – COMEO

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