Eine Stadt für alleWie Köln inklusiver wird – Chorweiler als Vorbild
Kann Köln eine Stadt für alle sein? Das ist schwer und gelingt noch nicht immer. Ein Projekt in Chorweiler zeigt, dass es möglich ist.
Elisabeth Klein steht auf der Venloer Straße nahe dem Grüngürtel und blickt kritisch auf die große Grünfläche in Richtung Subbelrather Straße. „Der Grüngürtel könnte ein Vorzeigeprojekt sein, ist es aber nicht. Mit wenigen Veränderungen könnte man hier viel verbessern.“
Die 30-Jährige ist Co-Vorsitzende der Jusos in Köln. Durch ihr Jurastudium ist sie in einer Baurechtskanzlei gelandet und so mit dem Thema Stadtentwicklung in Berührung gekommen. Seit Anfang des Jahres sitzt sie im Verkehrsausschuss der Stadt Köln.
Am Tag laden die Grünflächen dazu ein, Zeit mit Freunden zu verbringen. Doch sobald es dunkel wird, ändert sich das Bild. „Straßenlaternen sind hier Fehlanzeige zwischen Venloer und Subbelrather Straße“, erklärt Klein. Nachts sei es stockdunkel, der Weg werde gemieden – besonders von Frauen. Der Grüngürtel wird so zu einem Angstraum.
Architektin: Individuelle Bedürfnisse spielten bei Stadtplanung keine Rolle
Angsträume wie dieser sind in großen Städten keine Seltenheit: dunkle Unterführungen, verwinkelte Gänge, hohe Hecken. Es sind Orte, an denen Menschen sich unwohl fühlen, oft Frauen. Solche Angsträume zeigen, wie wichtig eine Stadtplanung ist, die alle Perspektiven mitdenkt.
„Wir haben eine sehr homogene Planungsperspektive, die dazu führt, dass viele Lebensrealitäten nicht berücksichtigt werden“, sagt die Bonner Architektin Karin Hartmann. Besonders die Bedürfnisse von Frauen, Kindern, älteren Menschen und Personen mit Migrationsgeschichte würden oft ignoriert.
Individuelle Bedürfnisse spielten in Städten aber lange keine Rolle. Doch so wie Menschen unterschiedliche Anforderungen an ihre Kleidung haben, haben sie auch unterschiedliche Anforderungen an ihr Lebensumfeld.
Dabei ist das Konzept des sogenannten „Gender Planning“ längst bekannt: Es berücksichtigt Geschlecht, Alter, Mobilität, soziale Hintergründe und Rollenbilder bei der Gestaltung von Straßen, Plätzen und Parks. Wien gilt hier als Vorreiter. Seit 30 Jahren setzt die österreichische Hauptstadt auf eine Stadtplanung, die alle mitdenkt – und zählt heute zu den lebenswertesten Städten der Welt.
Kleine Veränderungen
Dabei sind oft schon kleine Veränderungen ein Schritt in die richtige Richtung: breitere Gehwege, um Platz für Rollstühle und Kinderwagen zu schaffen, längere Grünphasen an Ampeln für Senioren oder mehr Beleuchtung und Sitzgelegenheiten an öffentlichen Plätzen. Auch Toiletten sind ein entscheidender Faktor – nicht nur am Grüngürtel, wo sie aktuell fehlen.
„Es müssen nicht immer große Bauprojekte sein“, betont Juso-Vorsitzende Elisabeth Klein. „Einfach umsetzbare Lösungen, wie es sie bereits in Mülheim gibt, könnten schnell Abhilfe schaffen. Dort stehen mobile Toiletten in Holzverschlägen.“ Das kommt zum Beispiel älteren Menschen oder Familien mit kleinen Kindern entgegen.
Chorweiler als Vorbild
Ein Beispiel für eine gelungene Transformation zeigt das Projekt „Lebenswertes Chorweiler“. Zwischen 2016 und 2019 wurden der Pariser Platz, der Liverpooler Platz und die Lyoner Passage neugestaltet – in einem umfangreichen Beteiligungsprozess mit den Menschen vor Ort. Anne Luise Müller, bis 2019 Leiterin des Kölner Stadtplanungsamts, erklärt: „Die Bewohnerinnen und Bewohner wollten Orte, an denen sie sich aufhalten können, ohne etwas konsumieren zu müssen.“
Die Umsetzung ist vielfältig: Sitzmöglichkeiten für unterschiedliche Bedürfnisse, ein Basketball- und ein Fußballplatz, ein Brunnen, der im Sommer Kinder anzieht, und eine Boulderwand. Der Pariser Platz wurde zur „guten Stube“, während der Liverpooler Platz als Nutzfläche mit Marktplatz-Option dient. Alles ist gut ausgeleuchtet. Das Erdgeschoss der Lyoner Passage steht inzwischen nicht mehr leer und gegenüber gibt es einen durch Wohnungsbaugesellschaft GAG und Initiativen organisierten Gartenclub.
Doch auch hier zeigte sich, wie wichtig es ist, alle Perspektiven zu berücksichtigen. Während sich die Neugestaltung stark auf Kinder und Jugendliche konzentrierte, sind junge Frauen im Verlauf des Planungsprozesses verloren gegangen. „Sie hätten geschützte Rückzugsorte gebraucht, um sich wohler zu fühlen“, räumt Müller ein
Eine Stadt für alle
19 Jahre leitete Anne Luise Müller die Stadtplanung in Köln. Bereits in den 90ern entwickelte sie in der Fachkommission des Deutschen Städtetags „Frauen in der Stadt“ Leitlinien zu Mobilität und Wohnen, die unterschiedlichen Perspektiven berücksichtigt.
Im Rahmen eines Kooperationsvertrags von Polizeipräsidium und Stadt Köln wurden ab Mitte der Nuller Jahre Gefahrenorte identifiziert, um sie auch durch bauliche Verbesserungen sicherer zu machen.
Die Nachfolgerin von Müller, Eva Herr, sieht die Stadt auf einem guten Weg. „Stadtplanung muss heute die Bedürfnisse aller einbeziehen“, sagt sie. Ein geplantes Symposium soll die Chancengleichheit in der Raumentwicklung weiter vorantreiben.
„Alle Perspektiven mitzudenken, sollte kein Luxus sein, sondern die Grundlage moderner Stadtplanung“, so Müller. Inklusive Stadtgestaltung bedeute nicht nur, Angsträume zu beseitigen oder Grünflächen zu schaffen, sondern Räume zu entwickeln, in denen sich jede und jeder wohlfühlt – ein Köln für alle.
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