Köln | Ein Stadtspaziergang mit offenen Augen am Vortag des Elften im Elften 2024 durch Köln. Durch eine Stadt, die gerne ihre bunten Hüsjer besingt, Sauberkeit und Ordnung beschwört und sich bunt nennt, aber das genaue Gegenteil davon ist.
Heute wird der „WDR“ wieder vom Heumarkt senden. Bunte Bilder in die Region mit mehr oder weniger interessanten oder löstigen Menschen, Künstler:innen und Protagonist:innen aus der Kölner Karnevalsszene. Konfettiregen, bunte Bühnenlämpchen und eine wogende bunt angezogene Menge. Die Kölnverklärer mit dem verliebten Blick aus der lokalen Presselandschaft werden ebenfalls jubeln und nur der Hochnebel könnte deren Augenlicht eintrüben, aber wehe die Sonne scheint, dann wird das schön scheinende Sönnsche hervorgekramt und Petrus liebt uns geschrieben, dass die Tastaturen nur so krachen und die Auslöser der Digitalkameras sich unter der Last der sonnigen Bilder verbiegen.
Anschließend schimpfen Honoratioren und Medien über Exzesse und besonders gerne über die Kids an der Zülpicher Straße. Ausblenden werden sie die Realität, denn die zeigen die Buchstaben in den Ratsvorlagen und Debatten nicht.
Baustellen, Bauzäune, Drängelgitter inflationär
Wer am Vortag des Elften im Elften durch die Stadt geht oder an den sogenannten Feier-Hotspots vorbeikommt reibt sich verwundert die Augen, ob des Drängelgitter- und Baustellen-Exzesses, der die Kölner Innenstadt befiel. Fangen wir am Heumarkt und der Gürzenich-Straße an. Auf der südlichen Seite der Gürzenichstraße befindet sich die Unfallhilfstelle Nummer 7 hinter der beliebten schwarzen Plastikfolie an Bauzaun. Diese begegnet uns auf Schritt und Tritt in der Kölner Innenstadt. Daran können gewiefte Kölner:innen erkennen, dass es sich um temporäre Einschränkungen handelt. Gleich im Anschluss findet sich die Wagenburg des „WDR“. Der hat eigene Bauzäune mit „WDR“-Logo vor sein infernalisches Chaos gestellt. Warum braucht der Sender Übertragungswagen nur wenige 100-Meter entfernt von seiner Sendezentrale? Über all dem hängt das illuminierbare Logo der Gürzenichstraße. Wer den Blick auf die andere Seite wendet zur Gasse „In der Fleischhalle“, die nur wenigen Kölner:innen bekannt sein dürfte, der glaubt er ist im Köln kurz nach dem Krieg. Aus dem Abrissareal ragt eine bizarre Ruine der Vorderwand in Richtung Heumarkt. In 10 Metern Höhe baumeln Gesteinsbrocken an grotesk verrenkten Stahlstäben. Auf der Heumarktseite liegen über dem Abriss Gummimattenstreifen wie Baconstreifen, die jemand aus seinem Burger pulte. Dies werden die „WDR“-Kameras sicher nicht einfangen.
Am Gürzenich Bauzaun in Schwarz, Drängelgitter zu Skulpturen, Pissoirs und Dixi-Toiletten. Dieses Kölsche Stilleben begleitet Menschen, die in der Stadt spazierengehenn auf Schritt und Tritt. Manche der Pissoirs sind schon vollgemüllt und eine umgefallene Dixie-Toilette kommentieren Touristen lachend mit „Toi Toi“. Sie lesen den Schriftzug vor. Auf dem Theo Burauen Platz stapeln sich die schwarzen Müllbehälter und Absperrungen, Bauzäune haben ein infernalisches Ausmaß angenommen. Kölner:innen führen Gäste umher zwischen Baustellen wie der Miqua – bunter Bauzaun, weil Dauerbaustelle oder der Baustelle gegenüber dem Wallraf-Richartz-Museum, durchsichtige Bauzäune, weil Baustelle gerade eingerichtet und sagen: „Morgen ist es hier bunt“.
Am Laurenz-Carree ruht die Baustelle eingezäunt mit OSB-Platten, die schwarz angepinselt sind und auf denen steht, das alles weg müsse. Ist es jetzt auch schon geraume Zeit. Auf dem Roncalliplatz tobt, eingezwängt zwischen zwei weiteren Großbaustellen zum Domhotel und Römisch Germanischem Museum inklusive verlassener Liegenschaften, der Aufbau des Weihnachtsmarktes. Warum eigentlich vor dem Elften im Elften? Auf der Trankgasse ist viel Platz und städtisch geordnete Pflastermalerei. Die andere Pflastermalerei wird als störend empfunden. Das Historische Rathaus ist eingerüstet mit schwarzen Bauzäunen und auf der Bechergasse stehen Pissoirs und Dixi-Toiletten. Hinter dem Bahnhof stehen Container auf dem Breslauer Platz und unterhalb herrscht seit Jahrzehnten Chaos.
Die Urinalisierung der Stadt
Es ist ein Stadtspaziergang von weniger als einer halben Stunde, bei dem man sich verwundert die Augen reibt, ob all der Baustellen, Poller, Absperrungen, Absperrbaken, Bauzäunen, Dixies oder heruntergekommenen verlassenen Gebäuden im Umfeld wie an der Stolkgasse. Alles begonnen nichts vollendet. Wer jetzt glaubt, dies sei nur so in der Altstadt, dem sei ein Tripp ins Kwartier Lateng empfohlen. Mag sein, dass dort gerade mal aktuell weniger Großbaustellen, die stillliegen fehlen, aber Absperrungen und Dixisierung, Urinalisierung und die Absperrungen finden sich auch dort. Wer den Stadtspaziergang zu Fuß ausweitet und eine Radtour macht, der findet gleich im direkten Umfeld noch viel mehr Chaos und Baustellen. Dabei geht es nicht darum, dass gebaut wird, sondern wie geht die Stadt mit Baustellen um, die immer länger dauern.
Fatalistisch betrachtet könnte man in das hohe Lied der Stadtverwaltung und des Rates einstimmen und Gründe finden, wie machtlos die Stadt sei vor dem Ansturm durch die touristisch Feiernden, die Kids an der „Zülpe“, die konjunkturelle Lage oder der Ausflucht andere sind für das Baustellenmanagement zuständig und der „WDR“ brauche halt Platz für seine Übertragungswagen.
Das ist alles richtig und ging über Jahre gut, wenngleich sich die Probleme Jahr um Jahr vergrößerten und sichtbarer wurden. Durch die ständig forcierte weitere Kommerzialisierung des sogenannten vaterstädtischen Fests – Köln braucht Gewerbesteuer – bei gleichzeitiger Ideenlosigkeit und Hände in den Schoss legen, entwickelte sich das Fest dorthin wo es jetzt ist.
Der Rat der Stadt Köln und die Stadtverwaltung gestalteten nicht, sondern reagieren rein restriktiv. Glasverbot, Betretungsverbot, Feierverbot, noch mehr Dixies, noch mehr Security, noch mehr Polizeibeamte und so weiter und so weiter. Dazu chaotisches Baustellenmanagement und überbordende Ambitionen für die Kölner Innenstadt. Immerhin ist gefegt worden vor dem Elften im Elften, aber den Feiernden wird es heute gelingen alles zu vermüllen.
Wer gestaltet endlich?
Karneval wie die Kölschen es besingen mit Trömmelchenlied und bis heute verklären ist over. Es braucht dringend ein Konzept, wo und wie der durchkommerzialisierte Karneval auf der Straße gestaltet wird und zwar in Gänze. Aus der Bürgerschaft liegen Vorschläge vor. Für 2025 ist nichts konkretes zu erwarten, da befinden sich die Kölner Parteien und OB-Kandidat:innen im Wahlkampf. Es ist anzunehmen, dass es in diesem Wahlkampf auch wieder um Ordnung und Sauberkeit gehen wird. Ordnung und Sauberkeit fängt übrigens damit an, dass der, der diese einfordert dafür sorgt, dass dies umzusetzen ist, also die Voraussetzungen gestaltet. Vielleicht wäre es auch einmal günstig sich nicht im Rat über Vorlagen zu beugen, in andere europäische Städte zu reisen, sondern eine Ausschusssitzung lang einmal mit offenen Augen durch Köln zu gehen.
Wer übrigens glaubt alles halb so wild, die Menschen kämen ja erst am Elften im Elften, der täuscht sich. Die Stadt war voll. Voller Touristen, die einen Tag oder das Wochenende vorher anreisten und sich die Stadt ansahen. Und dann wäre da noch eine Frage: Wofür zahlen Gäste noch einmal Kulturförderabgabe? Toi, Toi, Toi Köln.
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