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Eier auf Eis – Was Social Freezing wirklich bedeutet

Die folgenden drei Tage überstehe ich wieder dank Binge-Watching. Die Spritzen gebe ich mir mittlerweile selbst, ohne die Hilfe meines Partners. Würde ich nicht so neben mir stehen, wäre ich stolz auf mich. An einem dieser Abende macht mein Partner einen katastrophalen Fehler: Er ist nicht nett zu mir. Die Krise dauert 36 Stunden. In meinem Kopf packe ich Koffer, obwohl wir nicht einmal zusammenwohnen.

Tag 9: Ich spritze meine letzte Dosis Orgalutran. Tag 10: Letzte Dosis Menogon HP. Tag 11: Heute kommt eine Dosis Triptofem hinzu. Dieses Medikament soll den Eisprung auslösen – genau 36 Stunden später, wenn die OP stattfindet. Ich habe kleine blaue Flecken von den Nadelstichen. Mein unterer Bauch ist angeschwollen, hart und prall. Die Ärztin hat gesagt, ich soll in diesen Tagen nicht rennen oder springen. Das kommt für mich eh nicht infrage. Ich kann gerade mal – leicht breitbeinig – langsam gehen. Treppenstufen gehe ich einzeln hoch. Vor dieser Erfahrung habe ich meine Eierstöcke noch nie wirklich gefühlt. Jetzt habe ich das Gefühl, sie platzen.

An Tag 13 wird unter Vollnarkose eine feine Nadel durch meine Vaginalwand in die Eierstöcke eingeführt. So wird die Flüssigkeit in den 19 Follikeln, inklusive Eizellen, abgesaugt. Im Aufwachraum brabbel ich noch etwas high vor mich hin und bin dankbar, dass mein Partner da ist. Gerade als ich wieder zu mir komme, kommt die Ärztin zu uns: „Die Biolog:innen rufen Sie nachher an, um Ihnen die Anzahl der reifen Eizellen mitzuteilen. Je nachdem, wie Ihre Familienplanung aussieht, könnte ein zweite Stimulation sinnvoll sein.“ Wie bitte, eine zweite? Überforderung. Einige Stunden später erfahre ich, dass elf Eizellen gewonnen und mit flüssigem Stickstoff schockgefroren wurden. Damit liege ich über dem Durchschnitt: Üblich sind sechs bis neun Eizellen pro Stimulation. Meine Chancen, damit später schwanger zu werden, liegen trotzdem „nur“ bei etwa 44 Prozent. Würde ich eine zweite Stimulation durchführen und so auf insgesamt zwanzig eingefrorene Eizellen kommen, könnte ich auf 80 Prozent klettern.

Teures Privileg

Eine Garantie für eine Schwangerschaft – geschweige denn für ein gesundes Kind – gibt Social Freezing also bei Weitem nicht. Trotz hoher Kosten. Rund 3.800 Euro habe ich für eine Runde Social Freezing (inklusive sechs Monate Lagerung) gezahlt. Nach den ersten sechs Monaten kommen jährlich 400 Euro für die Lagerung der Zellen hinzu. Das kann sich nicht jede:r leisten. Ich sehe diesen kapitalistischen Aspekt von Social Freezing – und die soziale Ungleichheit dahinter – kritisch. Eine weitere Frage, die ich mir stelle: Überplane ich? Vielleicht. Dann wäre Social Freezing eine Art Versicherung. Vor allem aber sehe ich es als technische Möglichkeit. Dass ich sie nutzen kann, zeigt, wie privilegiert ich bin.

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Vor zehn Jahren haben in Deutschland etwa 1.000 Menschen pro Jahr ihre Eizellen einfrieren lassen. Der Reproduktionsmediziner Jörg Puchta schätzt, dass sich diese Zahl verzehnfacht hat. Belastbare Daten zu Social Freezing gibt es kaum. Fest steht aber: Mit dem Thema Kinderwunsch wird richtig Kohle gemacht. „Es werden viele Kinderwunschkliniken aus dem Boden gestampft und die machen nicht alle einen guten Job“, sagt Julia Neuen.

Aus diesem Grund hat sie eine Vergleichsplattform KiwuKlinik24 ins Leben gerufen, auf der Kinderwunschpraxen von Patient:innen bewertet werden. Auch Arbeitgeber:innen haben Social Freezing als Chance erkannt, um für Fachkräfte attraktiver zu werden. Unter dem Begriff Fertility Benefits bieten einige Unternehmen an, Fruchtbarkeitsuntersuchungen und -behandlungen ganz oder teilweise zu zahlen. „Aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive sehe ich das kritisch“, sagt die Sozialforscherin Julia Feiler von der Technischen Universität München. „Wenn jemand die Karriere durch Social Freezing absichern möchte, ist das zu kurz gedacht. Die Probleme sind strukturell bedingt und werden spürbar, nachdem ein Kind geboren wurde.“ Laut Gender-Care-Gap verbringen Frauen pro Tag immer noch 43,8 Prozent mehr Zeit mit Care-Arbeit als Männer. Unternehmen können effektiver am Wandel mitwirken, indem sie etwa Teilzeitmodelle für Mütter und Väter fördern.

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