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Digitalzwang: Wie Online-Pflicht Menschen ausschließt

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

DigitalzwangWie Online-Pflicht Menschen ausschließt

Ab Sonntag kann man in Berliner Bussen nicht mehr bar bezahlen, für fünf Schwimmbäder gibt es nur noch Digitaltickets. Menschen wie Petra werden so zunehmend von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen. Aber mehrere Initiativen kämpfen für analoge Alternativen.


Martin Schwarzbeck – in Öffentlichkeitkeine Ergänzungen
Sowohl die Bahncard als auch das Deutschlandticket gibt es nur noch für Smartphone-Besitzer*innen. CC-BY 4.0 Mullana

Samstagvormittag vor dem Freibad am Insulaner in Berlin. Eine dreiköpfige Familie, vollgepackt mit Taschen, Kühlbox und Sonnenschirm, wird am Eingang von einem Sicherheitsdienstleistenden gestoppt. Der Securitytyp tippt auf einen Aufsteller. Darauf steht: „Ticketverkauf an den Kassen täglich nur bis 10 Uhr.“ Darunter findet sich ein QR-Code, Verweis auf eine Website, wo man mit Paypal, Kreditkarte, Google und Apple Pay bezahlen kann. Die Familie verlässt den Eingangsbereich, der Vater zückt sein Smartphone und tippt konzentriert darauf herum.

Dann kommt Petra an die Reihe. „Nur mit Onlineticket“, sagt der Sicherheitsdienstleister. Petra hat aber kein Smartphone, mit dem sie sich ein solches kaufen könnte. Was nun? „Dann müssen Sie wieder nach Hause gehen“, sagt er. Die 66-Jährige dreht wortlos um.

In fünf Berliner Freibädern gilt die Onlineticketregel seit Anfang Juni. Die Initiative „Freibad einfach für alle“ kämpft dagegen mit einer Unterschriftensammlung. Den Aktivist*innen sind angeblich viele Fälle von Menschen begegnet, die nicht ins Freibad durften, weil ihr Handyakku leer war oder das Guthaben für mobile Daten aufgebraucht. Schwierig bis unmöglich werde das Schwimmen für Kinder und Jugendliche. „Sie haben weder Kreditkarte noch PayPal-Konto, die für den Kauf des Online-Tickets erforderlich sind. Oder für ältere Menschen, die keine Erfahrung mit Internet-Bestellungen haben“, so die Kampagnenseite.

Petra wird immer öfter ausgeschlossen

Petra, pensionierte Lehrerin, ist empört. Gar nicht so sehr darüber, dass sie jetzt nicht ins Schwimmbad darf, sondern weil dies ein Beispiel von vielen ist, mit denen sich die Welt nach und nach von ihr entfernt. Im Park neben dem Freibad, mit Blick auf den Sprungturm und Freibadlärm im Hintergrund, erzählt sie, was das für sie bedeutet.

Viele Kulturveranstaltungen muss man übers Internet buchen. Zuletzt hat eine Freundin die Tickets gekauft, jetzt war Petra schon lang nicht mehr aus. Arztbesuche versucht sie zu vermeiden, „weil es oft nur noch digital Termine gibt“. Petra kann keine Bahncard nutzen, die gibt es nur noch mit Kundenkonto mit Mail-Adresse. Und ab Sonntag muss Petra, wenn sie Bus fahren will, vorher in einem Zeitungsladen Tickets kaufen. Beim Fahrer darf sie dann nicht mehr bar bezahlen.

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20 Euro für 20 Jahre

Petra hat nicht nur kein Smartphone, sie hat auch kein Internet an ihrem Heim-PC. Sie nutzt kein Onlinebanking, sondern Überweisungsträger, die Bankkarte nur, um Bargeld zu holen. Sie verweigert ihre Anbindung an die digital vernetzte Welt, wo es geht. Für jemanden, der sich nicht im Internet bewegt, kann Petra erstaunlich informiert erklären warum. „Die Techgiganten wollen Daten und die kriegen sie auch. Und die haben Hintertüren für Geheimdienste. Und diese Türen finden auch Cyberkriminelle“, sagt sie.

Petra ist ein Early Adopter. Sie hat schon Mitte der 80er-Jahre einen Computerkurs an der Volkshochschule gemacht und war beeindruckt. „Wenn man sich verschrieben hat, konnte man das korrigieren!“ Später hat sie dann an ihrem ersten eigenen Computer oft stundenlang Solitär gespielt. „Und dann dachte ich: Das hält mich irgendwie fest. Das will ich nicht.“ Seitdem nutze sie das Gerät nur noch zum Schreiben.

Entfremdung der Menschen voneinander und von der Natur

Petra hält nichts von Social-Media-Freundschaften. Sie findet, das Internet zerstöre gesellschaftliche Strukturen. „Es wird kaum mehr kommuniziert. Die meisten Menschen laufen nur noch mit dem Smartphone in der Hand herum oder sind verstöpselt. Da werden andere Menschen zum Teil umgestoßen aus Unachtsamkeit.“

Für eine demokratische Gesellschaft sei es wichtig, dass Menschen sich gegenseitig wahrnehmen. „Ich bin so aufgewachsen, dass man einander anguckt und das ist kaum noch da. Wenige reden noch miteinander. Das macht was mit den Menschen. Viele sind erschöpft und krank.“ Sie konstatiert eine Entfremdung der Menschen voneinander und auch von Umwelt und Natur.

Petra ist eine von vielen. Allein in der Altersgruppe zwischen 16 und 74 sind in Deutschland drei Millionen Menschen offline, so das Statistische Bundesamt für das Jahr 2023. Einige sind es freiwillig wie Petra. Andere haben keine andere Wahl, etwa weil die nötigen Geräte nicht ausreichend barrierefrei für sie nutzbar sind. Fast zwei Drittel der Menschen über 80 Jahren sind offline, so die Studie „Hohes Alter in Deutschland“ für das Jahr 2022. Laut Paritätischem Gesamtverband hat ein Fünftel der armutsbetroffenen Menschen keinen Internetanschluss.

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20 Euro für 20 Jahre

Demokratie braucht Teilhabe

Diese vielen Menschen ohne Internetzugang stehen einem Gesellschafts- und Wirtschaftssystem gegenüber, das die digitale Schnittstelle in beinah allen Bereichen gegenüber dem persönlichen Kontakt priorisiert. Digitalisierung im Dienste der Effizienz. Die Berliner Bäderbetriebe schreiben zur Onlineticketpflicht: „Wir möchten, dass ihr möglichst ohne lange Wartezeiten in die Bäder kommt. Deshalb setzen wir zunehmend auf Digitalisierung.“

Doch Demokratie braucht Teilhabe. Sie muss alle mitnehmen. Auch die ohne Internetzugang. Teilhabe beginnt nicht erst in der Wahlkabine, sondern auch im Swimmingpool.

Das Europäische Parlament forderte deshalb 2022 in einer Entschließung zur Digitalen Kluft, „dass viele tägliche Dienste eine nicht digitale Lösung bieten sollten, um den Bedürfnissen derjenigen Bürger gerecht zu werden, die nicht über die für die Nutzung von Online-Diensten erforderlichen Fähigkeiten oder Kenntnisse verfügen, die Dienste offline nutzen möchten oder die keinen Zugang zu digitalen Geräten und Anwendungen haben.“

Eine analoge Option

Aktuell fordert eine Unterschriftenaktion von Digitalcourage ein „Recht auf Leben ohne Digitalzwang“. Mehr als 27.500 Menschen haben bereits signiert. Die Aktion läuft von Mai 2024 bis Mai 2025 und soll das Recht auf Digitalfreiheit ins Grundgesetz bringen. Damit soll eine Ausweitung der Überwachung verhindert werden und Teilhabe und gesellschaftliche Resilienz gestärkt.

Denn wenn mal was schiefgeht mit dem digitalen System, wird es plötzlich dringend, eine analoge Option bereitzuhaben. Außerdem ist, glaubt man zumindest Petra, das analoge Leben an sich schon wertvoll. „Es ist entspannter und verbindlicher. Man kann seine eigenen Empfindungen viel besser wahrnehmen, weil sie dann den Raum und die Zeit haben, bewusst zu werden.“ Sie empfiehlt, dabei auch an die Umwelt zu denken: „Was für eine Serverfarm an Strom, sauberem Wasser und seltenen Erden benötigt, ist enorm.“

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Author: Martin Schwarzbeck

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3 Kommentare

  1. <p><span class="h-card" translate="no"><a href="https://www.bachhausen.de/@dirk&quot; class="u-url mention">@<span>dirk</span></a></span> Das ist eine Perspektive, aber das mit "das Internet zerstöre gesellschaftliche Strukturen" ist auch ignorant oder zumindest nur ein Teil der Wahrheit: Das Internet ermöglicht z.B. queeren Menschen, Community zu finden, die für viele in Person nicht möglich ist.</p><p>Also die Beschwerden über die Ausschlüsse durch online-only Tickets und ähnliches sind valide aber an der Stelle wird ein blanket statement gemacht.</p>

  2. <p><span class="h-card" translate="no"><a href="https://www.bachhausen.de/@dirk&quot; class="u-url mention">@<span>dirk</span></a></span> </p><p>Mit anderen Worten: Das Thema landet – wie viele andere auch – vorhersehbar und vermeidbar beim Bundesverfassungsgericht. Falls es bis dahin keine einstweiligen Verfügungen gibt, haben die "Analogen" Pech gehabt.<br />Obwohl ich persönlich durchaus IT-affin bin: Das ist nicht die inklusive Zivilgesellschaft des Grundgesetzes.</p>

  3. <p><span class="h-card" translate="no"><a href="https://www.bachhausen.de/@dirk&quot; class="u-url mention">@<span>dirk</span></a></span> </p><p>Ich finde es auch eine Frechheit, Menschen vorzuschreiben, ein Smartphone zu besitzen. Das kann und will einfach nicht jeder leisten und das gehört auch zu keiner Pflicht.<br />Ältere Menschen, die damit nicht klar kommen, Menschen, die es sich nicht leisten können, werden damit ausgeschlossen, ohne, dass sie überhaupt eine Wahl haben. </p><p>Ein Smartphone ist mit Kosten in Anschaffung und Versorgung verbunden, mit Skills und die hat einfach nicht jeder. </p><p>Diese Regelungen sind unfair.</p>

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