GASTBEITRAG OLIVER RAUTENBERG VON „ANTHROPOSOPHIE.BLOG“
Die Homöopathie ist die Luftgitarre der Medizin. Sie widerspricht den Naturgesetzen und ist seit über 220 Jahren ohne jeden Wirknachweis. Die als Globuli bezeichneten Zuckerkügelchen können keine einzige Krankheit heilen oder auch nur lindern. Das ist durch über eintausend hochqualitative Studien und 10 Meta-Studien (also Studien über Studien) eindeutig belegt. Das sind:
Kleijnen et al. (1991), Linde et al. (1998), Linde et al. (1999), Cucherat et al. (2000), Shang et al. (2005), Mathie et al. (2014), Mathie et al. (2017), Mathie et al. (2018) und Antonelli et al. (2018).
Was keine Hauptwirkung hat, hat auch keine Nebenwirkung
Trotzdem schwören zahlreiche VerbraucherInnen auf die vermeintlich „sanfte Alternativmedizin“. Anstatt „gleich mit der Chemie-Keule“ gegen die Krankheit vorzugehen, bevorzugt man Mittelchen, die sich rühmen, „keine Nebenwirkungen“ zu haben. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer, oder auf Homöopathisch, im „Piper Nigrum“. Denn nur was keine Hauptwirkung hat, hat auch keine Nebenwirkung. Und so könnte man den Aberglauben vieler MitbürgerInnen eigentlich unbeachtet lassen. Sollen Sie doch Geld für Hokuspokus ausgeben, dessen Wirkung selbst im Bestfall höchstens für einen Placebo-Effekt, also für das eigene, subjektive Wohlgefühl ausreicht.
Anders stellt sich das Dilemma dieser lange widerlegten Scheinmedizin dar, wenn sie Schutzbefohlenen, Kindern oder auch Tieren verabreicht wird. Und das ist in der Europäischen Union leider Gesetz.
„Die Verordnung (EU) 2018/848 des europäischen Parlaments und des Rates über die ökologische/biologische Produktion (…)“, kurz „EU-Öko-Verordnung“, empfiehlt die wirkungslose Pseudomedizin als Erstgabe bei Tierkrankheiten:
„Krankheiten sind unverzüglich zu behandeln, um ein Leiden der Tiere zu vermeiden; chemisch-synthetische allopathische Tierarzneimittel einschließlich Antibiotika dürfen erforderlichenfalls unter strengen Bedingungen und unter der Verantwortung eines Tierarztes verabreicht werden, wenn die Behandlung mit phytotherapeutischen, homöopathischen und anderen Mitteln ungeeignet ist.“
Weiter heißt es: „… phytotherapeutische und homöopathische Präparate sind chemisch-synthetischen allopathischen Tierarzneimitteln, einschließlich Antibiotika, vorzuziehen, sofern ihre therapeutische Wirkung bei der betreffenden Tierart und der zu behandelnden Krankheit gewährleistet ist“.
Tier-Homöopathie: Das ist ein Problem
Zunächst wird die Pflanzenheilkunde, die nachweislich eine Wirkung haben kann, mit der unwirksamen Homöopathie vermischt. Die gibt sich gerne den Anstrich, „natürlich“ zu sein und freut sich daher über diese Zuordnung. Die meisten verkauften Mittel enthalten jedoch kein Molekül der ursprünglich verwendeten Pflanze mehr. Dann: Pflanzenheilkunde und Homöopathie sind „vorzuziehen“ – ein Hinweis auf die dahinter liegende Lobbyarbeit der Pseudopharma-Industrie. Denn die evidenzbasierte Medizin nutzt ja bereits Pflanzen als Ausgangsstoff, beispielsweise in dem sie aus Weidenrinde hochwirksame Acetylsalicylsäure gewinnt. Dem kranken Tier aber nun Weidenrinde gegen Schmerzen zu geben oder gar ein homöopathisches Mittel, in dem die Weidenrinde hochaufwändig weg-verdünnt wurde, ergibt keinen Sinn.
Schlimmer noch: Die Betonung auf „chemisch-synthetische allopathische Arzneimittel“ ist ein Kampfbegriff, der noch auf den Globuli-Erfinder Samuel Hahnemann zurückgeht. Die „Allopathie“ ist sein Gegenstück zur sogenannten „Schulmedizin“ und wird abwertend für alle nicht-homöopathischen Therapien genutzt. Auch gibt es keine verschiedenen Arten von Medizin, so wie es keine verschiedenen Arten von Physik gibt. Mit „Chemisch-synthetisch“ baut man dazu einen ’naturalistischen Fehlschluss‘ ein, etwa: Alles Natürliche ist gut, alles Künstliche ist schlecht. Bei hochgefährlichen und ganz natürlichen Stoffen wie Quecksilber, Arsen oder Plutonium kann man froh sein, dass die HomöopathInnen diese Ausgangsstoffe für ihren Zauberzucker bis unter die Nachweisgrenze wegverdünnen.
Unwirksame Produkte bis in die EU-Gesetzgebung
Es ist unverkennbar, dass es Pseudomedizin-Gläubige hier geschafft haben, ihre unwirksamen Produkte bis in die EU-Gesetzgebung hinauf zu verankern. Das scheint immerhin nicht unumstritten zu sein: Die Formulierung wurde inzwischen mehrfach abgeändert. Ursprünglich hieß es in der EU-Verordnung, homöopathische Erzeugnisse seien vorzuziehen, „sofern sie tatsächlich eine therapeutische Wirkung (..) haben“. So weit, so eindeutig – Konsens ist, dass eine Wirkung ausgeschlossen ist. Ab 2007 las man dann:
„Tierarzneimittel einschließlich Antibiotika dürfen erforderlichenfalls unter strengen Bedingungen verwendet werden, wenn die Behandlung mit phytotherapeutischen, homöopathischen und anderen Erzeugnissen ungeeignet ist“. Das ist ideologischer formuliert, läuft aber weiter auf einen gewünschten Wirknachweis hinaus. Die neue Regelung ab 2009 stellte „die alte Regelung sprachlich sozusagen auf den Kopf“, wie der Homöopathie-Kritiker Udo Endruscheit berichtet: Hinter all diesen „Verrenkungen“ stehe das Bemühen, es den Öko-Fans recht zu machen.
Die Interpretation der Gesetzgebung ist hier eine Auslegungssache. Ob Homöopathie als „wirksam“ anerkannt wird, liegt am Ende im eigenen Ermessen der BetriebsleiterInnen und TierärztInnen. Das hat zur Folge, dass alle neun der größten deutschen Bio-Verbände befürwortet oder akzeptiert, kranke Tiere mit Placebos zu „versorgen“. Dadurch besteht die Gefahr, dass Tierkrankheiten erst verspätet oder gar nicht mit evidenzbasierter Medizin behandelt werden könnten.
Globuli für Kühe?
Das sei doch „selbstverständlich“, sagt Heinz-Josef Thuneke, der Vorstand von Deutschlands größtem Bioverband ‚Bioland‘. Dass das neue Tierarzneimittelgesetz seit kurzem vorschreibt, dass Globuli nur noch von TierärztInnen – nicht mehr von BäuerInnen – verabreicht werden dürfen, stößt ihm sauer auf. „Langjähriges Erfahrungswissen“ würde so „in die Illegalität abgedrängt“ und „kriminalisiert“. Auf „Erfahrungswissen“ beruft sich gerne, wer keine Studien beibringen kann.
Homöopathie ist laut der Ärztin Natalie Grams der „Einstieg in den Ausstieg vom rationalen Denken“. Bioland-Vorstand Thuneke ist „empört“ über eine angeblich „polemische Homöopathie-Debatte“ in den „klassischen Medien„, die bei der „politischen Klasse“ gut ankomme. Wenn man seinen persönlichen Glauben über evidenzbasiertes Wissen stellt, hat man den ersten Schritt in die Verschwörungsmentalität längst getan. Die EU-Regelung zur Tier-Homöopathie liefert dazu leider eine Steilvorlage.
Laut dem Tiergesundheits-Report 2023 des Vereins Foodwatch e. V. sind Bio-Tiere keineswegs gesünder als konventionell gehaltene Tiere. So litten beispielsweise 54 % der Bio-Kühe an schmerzhaften Euterentzündungen. Das Mittel der Wahl dagegen ist in der Biobranche in der Regel die Homöopathie. So stellt der „Arbeitskreis Tierhomöopathie“ des Demeter-Verbandes im November die Anwendung von „Bryonia alba“-Globuli vor. Die aus dem Mittel homöopathisch entfernte weiße Zaunrübe soll unter anderem bei Mastitis, Atemwegserkrankungen und Gelenkentzündungen helfen.
Die Gabe von nachweislich wirkungsloser Scheinmedizin ist vorsätzliche Nicht-Behandlung. Bis zur ggf. späteren Gabe von Medizin vergeht wertvolle Zeit, in der das Tier krank bleibt. Evidenzbasierte Behandlungen werden dadurch unterlassen oder mit Absicht verzögert. Nicht einmal ein Placebo-Effekt ist zu erwarten. Tier-Homöopathie ist unethisch und unzeitgemäß. Die Homöopathie ist zweifelsfrei widerlegt, sie kann nicht wirken. Und das macht Tier-Homöopathie zu Tierquälerei.
Gastbeitrag von Oliver Rautenberg. Artikelbild: Canva
The post Die Rolle der Homöopathie in der EU-Gesetzgebung appeared first on Volksverpetzer.