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Der AfD-Mann, der Deutschland als GmbH bezeichnet

Dieser Artikel stammt von CORRECTIV.Faktencheck / Zur Quelle wechseln

In den sächsischen Landtag zieht wohl ein AfD-Mann ein, der das Parteiensystem „verabscheut“. Georg Ferdinand Wiedeburg errang bei den Landtagswahlen im September ein Direktmandat. CORRECTIV liegt exklusiv eine Tonaufnahme vor, in der Wiedeburg am Rande eines Anti-Asyl-Protests am 31. Januar 2023 im nordsächsischen Strelln mit Äußerungen auffällt, die dem Reichsbürger- und Souveränisten-Milieu zugeordnet werden können.

In der Aufnahme sagt er: „Wir verabscheuen diese Regierung, wir verabscheuen dieses Parteiensystem, was sich etabliert hat und sich den Staat zur Beute gemacht hat.“ Mindestens werfen seine Äußerungen Fragen zu seiner demokratischen Haltung auf. Denn laut Wiedeburg ist die Bundesrepublik Deutschland eine GmbH und ein von Amerikanern „besetztes Land“. Auf die Frage, welche seine Alternative zum politischen System sei, antwortete er: „Auflösung“.

Sein Fall hat Bedeutung über seine Person hinaus. Er wirft die Frage auf, wie nah die AfD als solches  Reichsbürgern und Souveränisten steht – ob sie sich so klar abgrenzt, wie sie behauptet. Oder ob der Geist der Ideologie, die die Bundesrepublik insgesamt nicht als souveränen Staat anerkennt, tief in die Partei hinein wirkt. CORRECTIV hat die AfD im Bund und Sachsen gefragt, ob Wiedeburg damit die Parteilinie vertritt. Die AfD hat sich zu den Fragen nicht geäußert.

AfD-Mann Wiedeburg zwischen Kommunalpolitik und Protestorganisation

Wiedeburg ist schon länger politisch aktiv. Seit 2019 sitzt er für die AfD im Eilenburger Stadtrat. Nun ist er Fraktionsvorsitzender der AfD-Fraktion, die sich aus sieben AfD-Leuten und einem Mandat der rechtsextremen Kleinpartei „Freie Sachsen“ zusammensetzt. In Eilenburg bilden Sie gemeinsam die stärkste Fraktion. Und das, obwohl sich die Partei offiziell mit einer „Unvereinbarkeitsliste für AfD-Mitgliedschaft“ von den „Freien Sachsen“ abgrenzt, wie wir bereits in einem Video auf der Plattform Instagram berichteten.

Der ehemalige Bauleiter ist in Eilenburg besonders als Initiator und Organisator zahlreicher rechter Straßenproteste bekannt. Im Januar 2023 nahm er an einer von den „Freien Sachsen“ angemeldeten Versammlung teil. Die Teilnehmer protestierten gegen 96 Geflüchtete, die auf dem Gelände eines ehemaligen Munitionsdepots in Wohncontainern unterkommen sollten.

Am Rande dieser Veranstaltung fiel Wiedeburg durch die Äußerung verschiedener Verschwörungsmythen auf: Deutschland sei von Amerikanern besetzt. Auf Nachfrage einer SPIEGEL TV-Journalistin, ob Deutschland eine GmbH sei, antwortete er mit „Ja“. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag sei „Unsinn“, weshalb er „Freundschaft“ und einen „Friedensvertrag“ mit Russland forderte. Dieser Verschwörungserzählung zufolge befinden sich Deutschland und Russland offiziell im Kriegszustand. Eine Behauptung, die CORRECTIV bereits 2022 in einem Faktencheck widerlegte. „Russland und Deutschland sind natürliche Partner“, äußerte der Kreisvorsitzende der AfD Kreistagsfraktion Nordsachsen weiterhin. Auf Nachfrage von CORRECTIV, ob er an seinen Aussagen festhalte, antwortete er nicht.

„Verschwörungsideologisch“: Rechtsextremismusexperte ordnet Aussagen ein

Diese Behauptungen sind Chiffren. Sie werden häufig von Reichsbürgern und verschwörungsideologischen Souveränisten genutzt, sagt Rechtsextremismusexperte Jan Rathje. Teile von Wiedeburgs Aussagen seien dem „verschwörungsideologisch- souveränistischen Milieu von Reichsbürgern und Anderen zuzurechnen“, so der Forscher beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie, kurz CeMAS. „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ – so lauten die amtlich genutzten Begriffe für Gruppierungen oder Einzelpersonen, die aus ideologischen Gründen die Bundesrepublik Deutschland ablehnen. Der Begriff verschwörungsideologische Souveränisten weitet den Blick auf ein vielschichtiges Milieu, dessen Mitglieder von Verschwörungsideologien getrieben sind.

Unsere Recherche zeigt: Die Narrative dürften ihm auch heute nicht fern sein. In Delitzsch, einer Stadt in Nordsachsen, fand kurz vor der Landtagswahl eine überparteiliche Kundgebung, organisiert von der prorussischen „bundesweiten Interessengemeinschaft Aufbruch Deutschland“, statt, die durch den rechtsextremen Ex-AfD-Politiker André Poggenburg vertreten wird. Auf der Bühne prangt ein Banner mit der Aufschrift „Gegen transatlantische Fremdbestimmung und Besatzung. Für Ausgleich mit Russland und Frieden in Europa“. Georg Ferdinand Wiedeburg ist einer der AfD-Kandidaten zur Landtagswahl, die an dieser Veranstaltung teilnahmen.

Wie nah ist die AfD an Reichsbürgern und anderen Souveränisten?

Immer wieder fallen AfD-Mitglieder durch Nähe zu verschwörungsideologischen Souveränisten und Reichsbürgern auf. Vor einem Monat berichtete MDR Investigativ über den AfD-Kandidaten David Kreiselmeier zur Oberbürgermeisterwahl in Weißwasser, einer Großen Kreisstadt in der Oberlausitz. Kreiselmeier soll offenbar ein Reichsbürger sein, ergaben die MDR-Recherchen. Im Jahr 2022 soll er eine Initiativbewerbung an das „Königreich Deutschland“ gesendet haben – eine der bedeutendsten Gruppierungen der Reichsbürger-Szene. Ihr Ziel ist es laut Bundesamt für Verfassungsschutz, die „gültige Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland außer Kraft zu setzen und durch ein eigenes System zu ersetzen, in dem demokratische Grundsätze und Gesetze wie auch staatliche Schutzvorschriften generell keine Geltung haben sollen.“

Der wohl prägnanteste Fall: Birgit Malsack-Winkemann sitzt seit einer Großrazzia gegen die „Reichsbürger“-Szene im Dezember 2022 in Untersuchungshaft. Der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten wird die Bildung bzw. Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, der sogenannten Patriotischen Union, vorgeworfen. Die Gruppe soll einen Umsturz unter Waffengewalt geplant haben.

Laut Jan Rathje sind AfD-Anhänger und Mitglieder aus verschiedenen Gründen durch Mitgliedschaften im Reichsbürgermilieu aufgefallen. Die Partei mache sich für das Milieu attraktiv. So schrieb etwa die AfD in ihrem Grundsatzproblem 2016, „dass ein heimlicher Souverän hinter allen Parteien in Deutschland stehen würde“, so Rathje. Es ist ein Problem, wenn Menschen, die Deutschland als liberale Demokratie ablehnen, in Parlamente einziehen: Denn der Effekt sei, dass dies als zunehmend normaler erscheine, sagt Rathje. Nach dem Motto: „Wenn das der Kreistagsabgeordnete gesagt hat oder eine Person aus dem Landtag, hat das einen höheren Stellenwert, als wenn es von einer Person ohne diese Machtressource geäußert wird.“

Zudem: Sitzen Reichsbürger und verschwörungsideologische Souveränisten in Parlamenten, bedeutet dies, dass der Bund oder ein Bundesland diese Menschen, die die Bundesrepublik gar nicht anerkennen, mit Steuergeldern bezahlen – dafür, dass sie mit ihren Ideologien an der Zerstörung der demokratischen Strukturen arbeiten, von denen sie bezahlt werden. Zum Beispiel, indem sie Organisationen, die für eine liberale, offene, demokratische Gesellschaft und für Menschenrechte einstehen, Hindernisse in den Weg legen können. Organisationen, die besonders in Sachsen wichtig sind.

Recherche: Niclas Fiegert
Redaktion: Anette Dowideit, Martin Böhmer, Marcus Bensmann
Faktencheck: Marcus Bensmann
Design: Ivo Mayr

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Author: Martin Böhmer

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