Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Wir sprechen mit Moritz Körner über den umstrittenen Chatkontrolle-Vorschlag. Körner ist Abgeordneter der Liberalen im Europäischen Parlament und sieht die EU-Kommission in gleich drei Skandale verwickelt. Von der heutigen Anhörung der Innenkommissarin Ylva Johansson erhofft er sich Aufklärung. Einen Erfolg sieht er darin, dass es eine europäische Debatte um den Vorschlag gibt.
Moritz Körner, Jahrgang 1990. – Alle Rechte vorbehalten Moritz KörnerMoritz Körner sitzt für die liberale Renew-Fraktion im Europaparlament. Er ist unter anderem Mitglied im Innenausschuss, der momentan die Parlamentsposition zum umstrittenen Chatkontrolle-Vorschlag festlegt. Wir sprechen mit ihm darüber, wie er den Vorschlag bewertet, wo die Diskussion im Parlament steht und wie er in die Zukunft schaut.
netzpolitik.org: Wie steht die Renew-Fraktion zum Chatkontrolle-Vorschlag?
Moritz Körner: Die FDP und auch große Teile von Renew positionieren sich entschieden gegen den Vorschlag der Kommission. Insgesamt ist die Fraktion der europäischen Liberalen bei dem Thema aber tief gespalten. Denn es gab auch Kräfte, die diesen Vorschlag unterstützt haben. Aber generell gilt: Der ursprüngliche Vorschlag, den wir ja lange diskutiert haben, war der größte Angriff auf unsere Bürgerrechte seit Jahrzehnten. Da war wirklich alles drin: von Netzsperren über das komplette Auslesen unserer Kommunikation, ganz gleich ob das bekannte oder unbekannte Inhalte sind oder vielleicht auch Grooming. Letztlich bedeutet das, dass Filter dann am Ende komplette Inhalte auslesen. Wir haben gegen die Vorratsdatenspeicherung gekämpft, wo es darum ging, dass Metadaten gespeichert werden. Bei der Chatkontrolle sollen alle Kommunikationsinhalte sofort ausgelesen werden. Das ist schon sehr, sehr heftig.
netzpolitik.org: Heute findet eine Anhörung im Innenausschuss des Parlaments mit der zuständigen Kommissarin Ylva Johansson statt. Das dürfte spannend werden, oder?
Moritz Körner: Der Vorschlag hat in den vergangenen Wochen noch einmal besonders viel Kritik erhalten, weil ein Sammelsurium aus seltsamen Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen und Sicherheitsbehörden bei der Kommission massiv für diesen Vorschlag geworben haben. Und die Innenkommissarin hat das Ganze überhaupt noch nicht aufgeklärt. Im Prinzip hat sie nur gesagt, das sei Fake News. Das find ich schon stark bei Berichten, die die Zeit und Le Monde veröffentlichen. Da muss ich ehrlich sagen: Die Kommission schreibt sich groß Medienfreiheit auf die Fahnen und reagiert dann so auf eine Recherche, die in gleich mehreren seriösen Medien erscheint? Das an sich ist schon ein Skandal.
Und ich bin gespannt, weil es noch keine Antworten auf die in den Berichten gemachten Vorwürfen gibt. Wie häufig hat sich Johansson mit Vertretern von Thorn getroffen? Was sind diese Verbindungen zwischen Thorn und Europol, wo es ja auch ganz intensive Personalaustausche gab, wo ehemalige Mitarbeiter der Kommission bei Thorn arbeiten und umgekehrt. Die Kommissarin sagt, sie habe sich mit allen Stakeholdern getroffen. Edri sagt hingegen, sie hätte mehrfach versucht, mit Johansson zu reden, allerdings nie einen Termin bekommen. Und wenn du mit Bürgerrechtlern redest, dann ist Edri der Ansprechpartner schlechthin, ohne jetzt anderen Organisation zu nahe treten zu wollen. Wenn man mit denen nicht spricht, dann kann man schlechterdings sagen, man habe neutral alle Seiten berücksichtigt. Insofern finde ich den Umgang der Kommission unglaublich fragwürdig.
„Das sind eigentlich drei Skandale“
Hinzu kommt ein weiterer Riesenskandal. Denn vor wenigen Tagen stellte sich heraus, dass die Kommission ihre eigene Arbeit mit Microtargeting beworben hat. Selbstverständlich kommuniziert die Kommission über europäische Themen und bewirbt diese auch. Aber hier liegt ein sehr, sehr problematischer Fall vor. Bei einem so umstrittenen Thema, das im Rat und im Parlament komplett blockiert ist, mit dem Geld europäischer Steuerzahler eine Kampagne zu finanzieren, finde ich schon ein starkes Stück. Hinzugehen und dann genau das Microtargeting zu nutzen, das dieselbe Kommission in ihrem Vorschlag verbieten will – da fragt man sich, reden die nicht miteinander? Oder liegen die Nerven derart blank, dass man das jetzt irgendwie durchdrücken will und dann auch zu solchen Maßnahmen greift?
All das sind eigentlich drei Skandale. Erstens bezeichnet die Innenkommissarin die Recherchen von Le Monde und Zeit im Prinzip als Fake News. Zweitens ist ungeklärt, welche Art von Verbindungen zwischen der Kommission und diesen NGOs bestehen. Und drittens gibt es diese Werbekampagne. Das alles werden wir in der Anhörung zur Sprache bringen und das könnte eine sehr hitzige Ausschusssitzung werden, vor allem wenn sich Johansson weiterhin so uneinsichtig gibt. Das wird spannend.
netzpolitik.org: Die öffentliche Diskussion rund um den Vorschlag ist erhitzt. Wie sieht es denn innerhalb des Parlaments aus?
Moritz Körner: Auch sehr hitzig. Ich glaube, es ist einfach ein sehr, sehr umstrittenes Thema. Es ist die klassische Frage, Freiheit oder Sicherheit – und dies ist noch verknüpft mit dem enorm schweren Thema Kindesmissbrauch. Wir sind uns alle einig, dass wir Kindesmissbrauch entschieden bekämpfen müssen. Aber die Frage ist eben: Sind die von der Kommission vorgeschlagenen Instrumente die richtigen – und ist ihr Einsatz verhältnismäßig? Helfen sie uns überhaupt, Kindesmissbrauch zu bekämpfen? Schon das stelle ich infrage. Und die zweite Frage lautet: Ist die Chatkontrolle überhaupt verhältnismäßig, wenn wir sie machen würden?
Da gibt es im Parlament eine sehr, sehr heftige Debatte. Ich habe mich bei internen Sitzungen noch nie so sehr mit Kollegen angeschrien wie bei diesem Vorschlag. Meist ist der Ausgangsvorschlag der Kommission sehr viel ausgeglichener und die Debatte auch viel sachlicher. Aber dieses Mal war es schon besonders emotional, besonders heftig – vielleicht auch, weil das so ein extremer Vorschlag der Kommission ist.
„Wir wissen nicht, wie die Verhältnisse nach der Europawahl sein werden“
Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass es in den vergangenen Wochen etwas konstruktiver geworden ist. Ich habe den Eindruck, dass der Teil des Parlaments, der die Chatkontrolle massiv unterstützt hat, wegen der ganzen Enthüllungen ein wenig zurückhaltender geworden ist. Sie haben das Ganze nicht mehr mit diesem moralischen Überschwang betrieben wie zuvor. Der Gamechanger in der ganzen Diskussion war das juristische Gutachten im Rat. Das ist schon was Besonderes, dass im Rat ein Gutachten vorliegt, wonach der jetzige Vorschlag nicht mit EU-Recht vereinbar sei, weil er eigentlich auf Massenüberwachung hinausläuft. Das hat die Debatte ein wenig gedreht.
netzpolitik.org: Wie geht es jetzt weiter?
Moritz Körner: Es besteht ein hoher Druck, noch vor der Europawahl im kommenden Sommer zu einem Abschluss zu kommen. Im Rat ist derzeit aber keine Mehrheit zu erkennen. Und es stellt sich auch die Frage, was nach der Wahl kommt. Wenn wir im Parlament zu einem Ergebnis kommen, der am Ende keine Chatkontrolle mehr vorsieht, sondern die grundsätzliche Massenüberwachung tatsächlich ausschließt, dann muss man auch überlegen, ob man dem zustimmt. Wir wissen nicht, wie die Verhältnisse nach der Europawahl aussehen werden. Aber wir werden uns das alles sehr genau anschauen.
Ich werde nichts mitmachen, was irgendwie eine Massenüberwachung enthält. Das kann es einfach nicht sein. Und ich glaube, mittlerweile ist hier auch im Rat und im Parlament der Widerstand zu groß.
netzpolitik.org: Der Widerstand gegen dieses Vorhaben scheint eine sehr deutsche Position zu sein. Stimmt dieser Eindruck? Und wie sieht es im Parlament aus?
Moritz Körner: Das ist so. Ich glaube, wir haben generell in Deutschland ein stärkeres Bewusstsein für Bürgerrechte. Das kommt auch aus der Erfahrung von zwei Unrechtsstaaten, die in die private Kommunikation eingegriffen haben. Wir haben eine Bevölkerung, die heute noch quasi das Knacken in der Leitung hört. Und es ist auch gut, dass die deutsche Bevölkerung in dieser Frage ein sehr feines Sensorium hat.
Eine europäisierte Debatte?
In Europa muss man natürlich immer sehen, dass es unterschiedliche nationale Diskussionen gibt. Für viele Spanier, die mit dem Terror der ETA konfrontiert gewesen sind, ist Sicherheit und der Staat, der für Sicherheit sorgt, viel relevanter. Und Franzosen sind oftmals weniger kritisch gegenüber dem Staat. Es gibt da einfach unterschiedliche Facetten. Aber es ist uns schon gelungen, diese Debatte – anders vielleicht als bei der Diskussion um die Uploadfilter – zu europäisieren. In Schweden gab es dazu eine sehr intensive Debatte. Und auch im Rat sind mehrere Mitgliedstaaten, die sich dagegen positionieren. Ich glaube, das ist auch Bundesjustizminister Marco Buschmann zu verdanken, der gemeinsam mit Amtskollegen aus der EU Briefe an die Kommission geschickt hat.
Viele europäische Vorschläge erhalten erst dann größere Aufmerksamkeit, wenn alles beschlossen ist und umgesetzt wird. Das sieht man jetzt beim Digital Services Act. Damals haben wir in Brüssel zwei Jahre lang diskutiert, das hat aber kaum jemand mitbekommen. Beim Thema Chatkontrolle waren wir sehr früh am Ball, und so stelle ich mir das bei einem derart kontroversen Thema auch vor. Die Zivilgesellschaft war ebenfalls schon frühzeitig sehr gut über das Vorhaben informiert. Und auch deshalb gab es direkt eine breitere Debatte, als die Kommission ihren Vorschlag vorgelegt hatte. Und wir führen noch immer eine intensive Debatte, obwohl Parlament und Rat bislang nicht einmal etwas dazu beschlossen haben. Und diese Debatte erfolgt über Deutschland hinaus.
Hierzulande ist die Debatte ja sehr einmütig. Selbst große Teile der CDU sagen, dass das Vorhaben der EU-Kommission so nicht umgesetzt werden kann. In anderen Ländern gibt es diese Debatte nicht. Die sagen, Kindesmissbrauch bekämpfen ist doch gut, künstliche Intelligenz, kann doch alles. Ist doch wunderbar, wo ist denn euer Problem? Es ist uns aber gelungen, das zu drehen. Am Anfang war ich sehr unsicher, ob wir den Vorschlag der Kommission verhindern können. Jetzt aber besteht auf jeden Fall die Chance, dass wir verhindern können, dass er vor der Europawahl noch kommt.
Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen. Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.
Zur Quelle wechseln
Zur CC-Lizenz für diesen Artikel
Author: Maximilian Henning