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Bundestagswahl 2025: Warum Jugendliche AfD wählen

Belltower.News

Warum sind immer mehr junge Menschen rechtsextrem und wie gefährlich ist das alles für die Demokratie in Deutschland? Wir haben Expert*innen gefragt.

Von Simone Rafael|

Mehrere Hundert Rechtsextreme demonstrierten in Leipzig gegen den zeitgleich geplanten CSD. Auffällig war, wie jung die Teilnehmenden waren.

(Quelle: picture alliance/dpa | Sebastian Willnow)

Der Rechtsruck unter Jugendlichen war ein Warnsignal der Europa- und Landtagswahlen. Wie konnte es soweit kommen? Wie gefährdet ist die Demokratie in Deutschland vor den Bundestagswahlen und was können wir tun, um die Ausbreitung des Rechtsextremismus unter Jugendlichen wieder einzudämmen? Darüber hat Simone Rafael in zahlreichen Interviews mit Praktiker*innen der Amadeu Antonio Stiftung und des Kompetenznetzwerks Rechtsextremismusprävention sowie Wissenschaftler*innen gesprochen.

Der folgende Text ist eine Vorabversion einer Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung, die 2025 erscheint.

Gibt es überhaupt einen Rechtsruck?

Wer mit Praktiker*innen spricht, die zum Thema Rechtsextremismus arbeiten, hört immer wieder den Satz: Der Rechtsextremismus in Deutschland habe sich zwar nach den „Baseballschlägerjahren“ der 1990er bis 2000er verändert, aber weg war er nie, weder in der Gesamtgesellschaft noch unter Jugendlichen.

Der Aufstieg der AfD zeugt etwa von der Normalisierung rechtsextremen Gedankenguts, die sich in den letzten zehn Jahren in Deutschland vollzogen hat. Bei der Europawahl 2024 war die AfD im Osten Deutschlands erstmals stärkste Kraft, mit 29,2 Prozent der Stimmen, im Westen kam sie auf 13 Prozent, zusammen waren es dann 15,9 Prozent der Stimmen – 4,9 Prozent mehr als bei der letzten Europawahl 2019.


Demokratie spricht. Vor der Bundestagswahl: Live, digital, vom 10.02. bis zum 18.02., jeweils um 19 Uhr auf dem YouTube-Kanal der Amadeu Antonio Stiftung.


Von progressiv zu reaktionär

Trotzdem verändern sich Zustimmungswerte aktuell deutlich, gerade unter den jüngeren Vertreter*innen der bisher als eher grün und klimabewusst geltenden Gen Z. Bei den 16- bis 24-Jährigen war die AfD bei der bundesweiten Europawahl die zweitstärkste Kraft (mit 16 Prozent, hinter der CDU) – mit einem Zugewinn von satten 11 Prozent gegenüber 2019.

Bei den Landtagswahlen 2024 in Sachsen, Thüringen und Brandenburg war sie bei den Jungwähler*innen die stärkste Kraft. Und auch hier: Die Zugewinne der AfD in dieser Alterskohorte waren bei allen drei Wahlen zweistellig, also in Sachsen waren es plus 11 Prozent (insgesamt: 31 Prozent), in Thüringen plus 15 Prozent (insgesamt: 38 Prozent), in Brandenburg plus 13 Prozent (insgesamt: 31 Prozent).

Vor vier Jahren noch wählten Jugendliche also mehrheitlich eher progressiv und grün, doch die Jugendlichen von heute haben sich der extrem rechten Partei zugewandt. U18-Wahlen in den Schulen der drei Bundesländer zeigen ähnliche Ergebnisse. Die AfD habe es offenbar geschafft, sich als Protestpartei gegen die Ampel und als Problemlöser für die aktuellen Sorgen anzubieten, konstatieren etwa die Verfasser*innen der Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“.

Alltagskultur wird rechtsextrem

Die Pädagogin Marie Jäger von Cultures Interactive, einem Projekt aus dem Kompetenznetzwerk Rechtsextremismusprävention, berichtet aus einer Schule in Brandenburg, in dem Schüler*innen sich in einem Workshop eigene Parteien ausdenken sollten: „Da wurde dann viermal die AfD nachgebaut.“ Daran sieht Jäger eine deutliche Veränderung, die sich relativ schnell vollzogen habe.

Rechtsextreme Alltagskultur und Subkultur ist für Jugendliche wieder attraktiv. Schienen in den letzten Jahren rechte Jugendliche eher vom pseudo-intellektuellen, von Internetkultur geprägten Stil der „Identitären Bewegung“ angezogen zu werden oder sich der AfD-Jugend im gescheitelten Burschenschaftsstil anzuschließen, erlebt nun der Neonazi-Skinhead-Look der 1990er Jahre ein Comeback: Glatze, Bomberjacke und Springerstiefel werden in sozialen Netzwerken ebenso selbstbewusst gezeigt wie in Klassenzimmern und Innenstädten.

Damit einher geht auch ein offensiver Umgang mit verbotenen NS-Symbolen und Codes wie Hitlergrüßen und in Schultische geritzte Hakenkreuzen, die mancherorts nicht einmal mehr vor Lehrkräften verborgen werden. Das berichteten etwa zwei Lehrer*innen aus einer Schule im brandenburgischen Burg. Lautstark wird in Klassen diskutiert, wer als nächstes „remigriert“ gehöre – „Remigration“ ist die Verklausulierung aus AfD- und neurechten Kreisen für die Abschiebung aller Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland.

Auch musikalisch geht die Reise in die Vergangenheit:  Der Gigi Di Agostino-Song „L’amour toujours“, zu dem Rechtsextreme den rassistischen Text „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ singen, ist ein weiteres Beispiel, wie heute eine originale Parole der Neonazis der 1990er Jahre aufgegriffen wird. Er wird seit Monaten von rechten Jugendlichen und jungen Erwachsenen landlauf und landab gegrölt, bevor er in einer Schickeria-Bar auf Sylt große mediale Aufmerksamkeit erregte. Die, die so etwas grölen, verharmlosen ihre Interpretation als angeblichen Humor und haben kein Problem mit offen rassistischem Inhalt.

Lehrer*innen und Schulsozialarbeiter*innen berichten zudem, dass sie wieder vermehrt auf rechtsextreme Dominanzkultur in Klassenzimmern treffen: Wo es starke rechte Cliquen gibt, trauen sich die anderen Jugendlichen oft nicht mehr, sich deutlich dagegen auszusprechen – und manchmal nicht einmal mehr die Lehrer*innen. Mehrere Interviewpartner‘*innen berichten von Bedrohungen gegen nicht-rechte Schüler*innen, die auf dem Nachhauseweg angegriffen, gestoßen und eingeschüchtert werden – von den rechten Schüler*innen – oder deren Eltern.

„Rechtsextremismus ist irgendwie gerade im Trend“

Auf der Symbolebene oder im Internet bleibt der Aktivismus derweil nicht. Im Sommer 2024 gab es etwa 27 rechtsextreme Demonstrationen gegen Christopher-Street-Day-Demos, vor allem im Osten Deutschlands. Die Teilnehmer*innen zeigten sich durch Reichsflaggen und „White Power“-Handzeichen der rechtsextremen und LGBTIQ*feindlichen Szene zugehörig und waren größtenteils sehr jung, oft sogar minderjährig: Eine neue Generation eventorientierter Neonazis, die sich über Social Media organisiert hatten. Einer von ihnen, der 22-jährige „Chino“, sagt in einem YouTube-Interview mit dem rechtsextremen Alt-Aktivisten Alexander Deptolla, er wisse nicht, ob die Jugendlichen, die jetzt bei den Anti-LGBTIQ*-Demos aufgelaufen seien, auch im nächsten Jahr noch dabei wären: „Rechtsextremismus ist irgendwie gerade im Trend.“ Deptolla als Vertreter erfahrener rechtsextremer Strukturen versichert ihm allerdings, dass er alles tun und Kontakte vermitteln werde, damit sich der jugendliche Rechtsextremismus verfestige.

Unabhängig davon, ob das gelingt: Gewaltbereit sind die Jungnazis bereits. So kamen auch die Jugendlichen, die SPD-Politiker Matthias Ecke im Mai 2024 beim Plakatieren in Dresden niederschlugen, aus diesem Spektrum. Anfang Oktober 2024 gab es Hausdurchsuchungen bei 14- bis 18-jährigen rechten Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen, die Fotos von Waffen auf Snapchat geteilt hatten – die Waffen waren echt. Auch die Mitglieder der im November 2024 verhafteten Terrorgruppe der „Sächsischen Separatisten“ waren 21 bis 25 Jahre alt.

Natürlich ist der Trend zum Rechtsextremismus nichts, was alle Jugendliche in einer Region, einem Bundesland oder gar ganz Deutschland erfassen würde. Trotzdem bleibt die Frage nach dem Warum angesichts der wachsenden Zustimmung.

Warum wenden sich Jugendliche der AfD zu?

Wenn sich Menschen rechtsextremer Ideologie zuwenden, sind die Ursachen vielschichtig. Deshalb ist die Antwort auf diese Frage ebenso facettenreich – es ist nicht das eine TikTok-Video, das einen gefestigt demokratischen Jugendlichen über Nacht zum Neonazi macht. Im Gespräch mit Praktiker*innen und Wissenschaftler*innen lassen sich verschiedene Faktoren ausmachen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Rechtsruck unter einem Teil der Jugendlichen, der sich aktuell in der Wahl der AfD und am Interesse an rechtsextremen Jugendgemeinschaften manifestiert, ist nichts Spontanes oder Überraschendes, sondern die Summe verschiedener Entwicklungen und Versäumnisse.

Jugendliche wachsen in einer Welt auf, die sich auf einem Weg rechter Normalisierung befindet. Sie lernen Werte und Wahlentscheidungen in ihrem Umfeld, in den Familien, in den Peer Groups und im Umfeld ihrer Schule und ihres Wohnortes. Vor allem im Osten Deutschlands bedeutet dies oft ein Erleben von Regierungsfeindlichkeit und Demokratieskepsis, die auf Demonstrationen der islamfeindlichen Pegida oder den Corona-„Spaziergängen“ gepflegt werden, ohne großen Widerstand zu erleben. Sie gehen in autoritär geführte Schulen und erleben insgesamt wenig Widerspruch zu einem rechten Mainstream, der sich subkulturell und parteiförmig wieder immer mehr Raum nimmt. Sie nehmen die AfD als Normalität wahr, weil diese in ihrem Umfeld von Erwachsenen gewählt wird. Jugendliche orientieren sich an den Menschen in ihrem Umfeld und werden so selbst rechte Erwachsene.

Auf der Suche nach Identität und einem Platz in der Welt fühlen sich viel Jugendliche und junge Erwachsene außerdem von der aktuellen Politik vergessen – auch durch ihre Erfahrungen der Isolation in der Pandemie, als jugendliche Sozialisationsorte wie Schulen und Jugendzentren ersatzlos geschlossen wurden, oder durch die offensichtliche Ignoranz der Gesellschaft gegenüber der Klimakrise, die viele junge Menschen politisiert hat, ohne dass sie durch ihre Engagement Erfolge erreichen konnten. Viele Jugendliche reagieren darauf politikverdrossen und demokratiemüde. In manchen Regionen kommt ein Gegenangebot zu Einsamkeit und Vereinzelung vor allem von rechtsextremen Jugendgruppen – von Wandern bis Kampfsport. Bisweilen ist es aber auch die Gewalttätigkeit und Dominanz rechtsextremer Gruppen, die sie für Jugendliche attraktiv machen.

Und so erscheint eine rechtsextreme Partei wie die AfD auch Jugendlichen plötzlich als einzige Abweichung vom politischen Mainstream, die in einer krisenhaften Situation noch Veränderung verspricht. Das zeugt auch vom Versagen der Vermittlung, wie eine demokratische Mitbestimmung vor Ort gelebt werden kann.

Rechtsextreme Jugendarbeit

Im Wahljahr 2024 hat die AfD ihre Jugendarbeit intensiviert, vor allem über ihre rechtsextreme Jugendorganisation „Junge Alternative” (JA). Akteur*innen der JA sind intensiv mit rechtsextremen Burschenschaftern und Aktivist*innen der „Identitären Bewegung“ sowie der sogenannten „Neuen Rechten“ vernetzt. Vereint wird um Jugendliche geworben.

Diese Ansprache geschieht vor Ort nicht nur durch Stände in der Innenstadt oder Veranstaltungen wie Volleyballturniere. Auf Instagram berichten Mitglieder stolz von ihrer „Jugendkampagne“ in Thüringen, Sachsen und Brandenburg: „Neben Kampagnenfilmen, Erstwähleranschreiben, kreativen Streuwaren und einem Kampagnenspiel war alles dabei, um junge Menschen in den Wählerkohorten von der Wahl der AfD zu überzeugen.“

In die Schulen geht die AfD aufgrund des zu erwartenden Widerstandes nicht, sondern sucht andere Kontakt-Orte. Die JA hat etwa das Techno-Festival „Sonne Mond Sterne“ in Thüringen besucht und dort Infoflyer und Abschiebeflieger-Luftballons verteilt, sowie Werbung für das eigene rassistische Handyspiel „Deutschlandretter 24“ gemacht. Auf Gegenwehr stieß die JA bei diesem Festival offenkundig nicht.

Die JA trat seit ihrem Bestehen noch radikaler und extremer als die Partei selbst auf. Das gilt als einer der Gründe, warum die AfD sich auf ihrem Parteitag im Januar von der eigenen Jugendorganisation trennte. Viele der Kader sind längst in der Mutterpartei angekommen. Nun soll sich eine neue Jugendorganisation um den Nachwuchs kümmern.

Kurz vor der Wahl in Thüringen organisierte die AfD eine Ausfahrt mit Simson-Mopeds, die der westdeutsche AfD-Thüringen-Landesvorsitzende Björn Höcke anführte. Viele Jugendliche nahmen daran teil. Die Simson-Mopeds haben in Ostdeutschland Kultcharakter und fungieren wie ein ostdeutsches Symbol. Zu DDR-Zeiten verkörperten sie niedrigschwellig Mobilität. Heute fahren Jugendliche die Maschinen der Elterngeneration.

Berater Felix Steiner von mobit Thüringen sagt: „Die AfD hat Simson-Plakate aufgehängt, Björn Höcke hat an der Ausfahrt teilgenommen. Die Erzählung dazu ist: Die Grünen wollen Euch die Simson wegnehmen. Wir sagen, ihr seid normal, wenn ihr Simson fahrt.“ So werbe die AfD um die Jugendlichen im ländlichen Raum, die gern an ihren Mopeds schrauben: „Bei der Ausfahrt waren dann ein paar Dutzend Jugendliche dabei, und sie hatten das Gefühl: Er ist jetzt hier und er macht sich um uns Gedanken.“

Auch mit KI-Musik präsentiert sich die AfD nahe den Interessen von Jugendlichen: So setzte die Partei auf KI-generierten Schlager mit rassistischen Texten. Aus „Das geht ab, wir feiern die ganze Nacht“ vom Schlager-Duo „Die Atzen“ wurde „Das geht ab. Wir schieben sie alle ab“. Dieser „Abschiebe-Song“ wurde der Soundtrack der AfD-Wahlparty nach der Brandenburg-Wahl, medial kritisiert und von den Original-Interpreten unterbunden, ist damit aber ein sicherer Hit auf der Playlist rechter Jugendclubs.

Thematisch setzt die AfD gegenüber Jugendlichen auf Angst vor Migration (die oft mit Gewalt gleichgesetzt wird) und Wahrung von Tradition (wie Patriarchat, klare Geschlechter-Rollen, ländliche Identitäten), auch als Angst vor Veränderung (soll vor Ort nicht werden wie „in Berlin“ oder anderen Großstädten).

Berater Felix Steiner von mobit Thüringen sieht vor allem eine erfolgreiche Narration: „Die extreme Rechte hat Erfolg mit der Inszenierung, die da oben, die wollen Dir alles verbieten. Die Umweltschützer, die Klimakleber, die Regierung, die Parteien, die wollen dich bevormunden, die wollen, dass du genderst, dass du kein Fleisch mehr isst, dass du deine Simson nicht fährst.“ Wenn Jugendliche rechts wählten, sie das aktuell auch eine Revolte gegen das Gefühl, etwas weggenommen zu bekommen. Steiner sagt: „Das ist auf alle Fälle der größte Normalisierungserfolg bisher. Die Erzählung, das Progressive wäre so dominant, man könne gar nichts mehr sagen oder machen.“

Der Anteil des Internets

Wenn Jugendliche in Sozialen Netzwerken Zerstreuung oder Bestätigung suchen, finden sie ein Überangebot an rechtsextremen Narrativen und toxischen Geschlechterbildern sowohl von rechtsextremen als auch von nicht offen rechtsextremen, aber inhaltlich hochproblematischen Influencer*innen. Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Queer- und Transfeindlichkeit werden in Sozialen Netzen befeuert und gehören dort zum Alltag. Außerdem setzen rechtsextreme Kanäle auf das Befeuern der Ängste der Jugendlichen, ob vor sexualisierter Gewalt, Verarmung durch Inflation wegen Kriegen oder vor einer Veränderung der Dinge, die als heimische Kultur geschätzt werden.

Auch muskelprotzende „Mindset“-Apologeten gehören zu den problematischen Online-Akteuren, besonders für Jungen. In einer neoliberalen Verkehrung wird die Idee, jeder sei selbst für sein Glück verantwortlich, zu einer problematischen Individualisierung struktureller gesellschaftlicher Probleme. Gerade bei jungen Männern führt ein Scheitern des Versuchs der Selbstoptimierung – oft anhand von toxischen Männlichkeitsbildern – zu Frustration, für die rechtsextreme Gruppe dann Feindbilder wie Migranten und Feministinnen anbieten. Zudem ermöglichen rechtsextreme Gruppen gerade jungen Männern eine Selbstaufwertung qua Geschlecht und Deutsch-Sein, wenn nichts anderes funktioniert hat.

Und die AfD im Internet?

Die AfD ist in diesen Netzkulturen präsent, aber selbst wesentlich weniger internetaffin als die rechtsextremen Aktivist*innen-Netzwerke, die sie online unterstützen und pushen.  Einzelne AfD-Funktionäre haben sich mithilfe junger, medienaffiner Rechtsextremer wie Erik Ahrens einen Influencer-Status erarbeitet. Björn Höcke oder Maximilian Krah werden online gefeiert wie Popstars.

Vor allem helfen der AfD aber ihre Fan-Netzwerke. Die führen zum eigentlichen Erfolg von rechtsextremen AfD-Inhalten auf Social Media: Weil sie immer wieder verbreitet werden, von maskulinistischen Gaming-Streamern über rassistische X-Gangs bis zu rechtsterroristischen Meme-Gruppen. Die rechtsextremen „Fan-Armeen“ unterlegen AfD-Spots mit beliebter Musik, damit sie mehr Menschen erreichen, und auf TikTok werden Trends zum Mitmachen genutzt wie die Vorlage „Wie kannst Du AfD wählen? Mit der rechten Hand und einem Stift.“ Dieses Meme wurde vor den Landtagswahlen tausendfach von Nutzer*innen verbreitet, berichtet Theresa Lehmann vom Projekt „pre:bunk“ der Amadeu Antonio Stiftung.

Auf diese Art und Weise tauchen Kommentierungen zu AfD-Inhalten immer wieder im Feed von Jugendlichen auf. Una Titz leitet den Digitalbereich der Amadeu Antonio Stiftung und beobachtet, wie die AfD „Selbstmemefizierung” betreibt, also versucht, selbst als Meme verbreitet zu werden: „Da gibt es dann Weidel-Sticker oder einen AfD-Supermann auf TikTok”.

Studien zum Verhältnis von TikTok-Konsum und Wahlentscheidung gibt es bisher keine. Aus der qualitativen Analyse kann Una Titz aber zumindest sagen, dass Jugendliche sehr viele dieser Inhalte sehen, sobald sie sich ansatzweise dafür interessieren. „Wir haben im Moment ein großes Überangebot rechtsextremer Inhalte, auf allen Plattformen. Jugendliche müssen also nicht einmal bewusst irgendwo hingehen. Sobald ihnen ein einschlägiger Inhalt vorgeschlagen wird und sie ihn liken oder auch nur länger betrachten, führt das zu einer sofortigen Änderung des eigenen Feeds und der Algorithmus tut sein Werk”, sagt Titz. Internetinhalte überzeugen keinen Antifaschisten von der AfD, führen aber bei politisch indifferenten Jugendlichen, die zudem kaum mehr traditionelle Medien nutzen, zu einer Normalisierung und zu einem Wiedererkennungseffekt, der für manche Wahlentscheidung schon reichen mag.

Entscheidende „Baseballschlägerjahre“?

Die aktuelle wachsende Zustimmung zum Rechtsextremismus, die Bildung rechter Cliquen, die sich teilweise selbst wieder Kameradschaften nennen, und die daraus resultierende Straßengewalt erinnern nicht wenige Menschen an die sogenannten Baseballschlägerjahre, also die Jahre in den 1990er und 2000er Jahren, als Rechtsextremismus im Osten Deutschlands die dominierende Jugendkultur war.

Auch diesmal blicken Menschen besorgt auf den Osten Deutschlands – etwa aufgrund der Landtagwahlen-Ergebnisse und der gewalttätigen Angriffe. Ostdeutschland hat eine Geschichte der Kontinuität zweier autoritärer Diktaturen mit wenig demokratischer Aufarbeitung, eine örtliche Tradierung der Zustimmung zu rechtsextremen Parteien und Rechtsextremismus-Forscherin Heike Radvan weist zudem darauf hin, dass die Eltern der Jugendlichen, die nun gewählt haben, Teil der „Baseballschlägerjahre“ im Osten Deutschlands waren und von der Zeit geprägt wurden – sei es als Täter*in, Mitläufer*in oder Opfer: „Wie die Eltern sich damals positioniert haben, und wie stark sie das Erlebte reflektiert haben, hat einen Anteil daran, wie in der Familie über diese Zeit und ihre rassistische, nationalistische Geschichte gesprochen wird. Waren die Eltern beteiligt an Gruppierungen, an Übergriffen? Das wird im Diskurs viel zu wenig beachtet.“

Forschung zu rechtsextremen Eltern und zur Tradierung von Ideologie in Familien gibt es immer noch wenig. Allerdings berichten Pädagog*innen und Praktiker*innen in Interviews von aktuellen Beispielen rechtsextremer Eltern, die gemeinsam mit ihren Kindern migrantischen oder nicht-rechten Kindern Gewalt androhen, oder von AfD-sympathisierenden Eltern, die Lehrer*innen verklagen wollen, wenn diese sich im Unterricht vor den Kindern zu Anti-AfD-Protesten äußern. Auch rechtsextreme Quellen bestätigen das. In einem YouTube-Format erzählt etwa Neonazi Alexander Deptolla: „Ich kenne so ältere Skins, die sitzen jetzt halt gemütlich zu Hause, wie der Yves [Rahmel, Betreiber des Neonazi-Plattenversandes PC Records], wo jetzt halt die Kinder, der 15-jährige Sohn, auf die Anti-CSD-Demos fahren. Das ist ein kompletter Generationenwechsel.“

Einhellig sagen Praktiker*innen und wissenschaftliche Studien allerdings auch: Es ist weniger ein Ost-West-Problem – denn auch im Westen Deutschlands gibt es rechtsextrem dominierte Regionen mit ähnlichen Entwicklungen. Es ist vielmehr ein Stadt-Land-Problem. In vielfältigeren und angebotsstärkeren städtische Gebieten hat die AfD bundesweit weniger Zuspruch als in ländlichen Regionen, die sich bisweilen auch als abgehängt begreifen.

Unter den Jugendlichen im ländlichen Raum gebe es außerdem ein mangelhaftes Verständnis der Demokratie und ihrer Prozesse. Wenn Menschen dann das Gefühl haben, Demokratie passiere nur „in Berlin“, und sie hätten daran gar nicht teil, entstehe der Wunsch der Vereinfachung, etwa durch eine einzige, starke Partei, sagt etwa Johannes Kiess von der Universität Leipzig im Interview mit dem YouTube-Kanal „Die da oben“.

Eine Frage der Bildung

Wahlanalysen und Studien zeigen, dass es einen hohen Zusammenhang gibt mit dem Grad der Bildung, den Jugendliche erreichen dürfen, und der Zuwendung zu progressiven oder rückwärtsgewand-rechten Lebensentwürfen. Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen tendieren weit weniger zu autoritären Einstellungen und sind offener für Vielfalt, demokratische Konfliktlösungen und einen progressiven Blick auf die Welt.

Angesichts dieser Erkenntnisse wäre die beste Prävention, alles Engagement und Geld auf gute Schulen zu setzen, auf moderne, beständig überarbeitete Lehrpläne und Bildungs- und Präventionsangebote, genügend und gut fortgebildete Lehrkräfte, auf Förderungsmöglichkeiten für einen bestmöglichen Bildungsaufstieg für Kinder – auch aus bildungsfernen Familien –, und wenn Schulen zu Orten der Demokratie ausgebaut werden würden, in denen schon Kinder lernen, wie sie an der Gesellschaft teilhaben und ihre Meinung und ihr Engagement einbringen können.

Dies ist aber weiterhin nicht der Fall. Viele Schulen sind marode, viele Stunden fallen wegen fehlender Lehrkräfte aus, und ob eine Schule Bildungsaufstiege fördert, Medienkompetenz vermittelt oder Demokratie erlebbar macht, hängt in Deutschland größtenteils vom Engagement einzelner Schuldirektor*innen oder Lehrer*innen ab. Dabei sind Schulen die einzigen Bildungsorte, die wirklich alle Jugendlichen erreichen und viel verändern könnten.

Politik und Medien scheitern bei Jugendlichen angesichts einer immer krisenhafteren Welt allerdings ebenfalls an der Vermittlung demokratischer Ideen und Werte und warum diese zu einem besseren Leben für alle führen sollten. Auch deshalb gewinnen autoritäre und egoistisch-darwinistische Ideen wieder an Raum.

Helfen könnte dagegen, wenn demokratische Politik die Bedürfnisse junger Menschen wahrnehmen und ernstnehmen würde: Sei es Kritik am Bildungssystem, Bedürfnisse nach Sicherheit und Orientierung oder der Wunsch, auch morgen noch eine Welt zum Leben zu haben, statt Klimapolitik schulterzuckend nachfolgenden Generationen zu überlassen. Wichtig ist auch die Demokratieerzählung in Politik und Medien: In welcher Welt wollen wir leben? Wie wird das Leben dann für wen besser sein? Warum lohnt es sich für uns alle, danach zu streben und darum zu streiten? Gerade in einer immer krisenhafteren Welt ist es zentral, vermitteln zu können, warum uns demokratische Werte wichtig sind.

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