Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.
Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung soll nicht nur Bund und Länder moderner machen, sondern auch Bürger:innen, Unternehmen und Behörden entlasten. Doch damit geht es nur langsam voran. Spärliche Mittel aus dem Bundeshaushalt machen das nicht besser.
Elterngeld oder Wohngeld beantragen, einen Führerschein oder Personalausweis, ein Gewerbe anmelden – das alles machen Bürger:innen und Unternehmen beim jeweiligen Amt. In Deutschland können sie das in der Regel nur vor Ort tun, müssen Unterlagen in Papierform vorzeigen und häufig Geduld fürs Wartezimmer wie für die Terminvereinbarung mitbringen. Die Behörden wiederum sind überlastet. Das liegt nicht zuletzt an Bürokratie, Personalmangel und überfüllten Aktenschränken.
Um hier für Entspannung zu sorgen, entwarf die Große Koalition 2017 das Onlinezugangsgesetz (OZG). Das sieht vor, dass Bürger:innen und Unternehmen Verwaltungsleistungen online beantragen können. Voraussetzung ist die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, die auch die verwaltungsinternen Prozesse einschließt.
Doch die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung lahmt. Das hat viele Gründe: etwa eine fehlende Gesamtstrategie, unklare Zuständigkeiten, fehlende Standards und Schnittstellen, keine Ende-zu-Ende-Digitalisierung.
Versäumnisse haben Folgen
Zwar sind einige Verwaltungsleistungen, die das Bundesinnenministerium priorisiert hat, inzwischen digital verfügbar, aber nicht bundesweit. Das heißt, Bürger:innen aus einigen Ländern können eine Leistung online nicht beantragen, die Bürger:innen aus anderen Ländern schon online zur Verfügung steht. Zudem sind die Leistungen auch nicht medienbruchfrei digitalisiert worden. Das bedeutet: Behörden müssen online eingereichte Anträge in vielen Fällen ausdrucken und abheften. Flächendeckend insgesamt 575 Leistungen online anbieten zu können, wie es das OZG vorgibt, davon sind Bund und Länder noch weit entfernt.
Die Versäumnisse in der Verwaltungsdigitalisierung bekommen in besonderem Maß die zu spüren, die darauf angewiesen sind, dass Behörden Anträge schnell bearbeiten. „Die Folgen sind Unternehmen, die Pleite gehen oder Menschen in akuten sozialen Notlagen, bei denen Wohngeld oder Bafög-Zahlungen trotz Anspruch monatelang nicht ankommen“, so Anke Domscheit-Berg von den Linken im Bundestag.
Steine im Weg
Jetzt legt die Ampel der lahmenden Verwaltungsdigitalisierung weitere Steine in den Weg, indem sie im Haushalt für 2024 wenig Geld dafür vorsieht. Hieß es im Koalitionsvertrag von 2021 noch, man wolle eine umfassende Digitalisierung der Verwaltung voranbringen, müssen die Verwaltungen der einzelnen Bundesministerien nun mit starken Kürzungen zurechtkommen.
Schon im August sorgte die Ankündigung der Mittelkürzung für große Aufregung, sodass sich Innenministerin Nancy Faeser (SPD) genötigt sah, zu beschwichtigen, man könne auf rund 300 Millionen Restmittel aus den Vorjahren zurückgreifen. Fakt bleibt aber, dass das BMI die Mittel für die Verwaltungsdigitalisierung laut Haushaltsentwurf auf 3,3 Millionen Euro angesetzt hat. Auch dafür hat Faeser eine Rechtfertigung parat: Für die Verwaltungsdigitalisierung seien die jeweiligen Fachministerien sowie die Länder zuständig.
Wie mager die Budgets anderer Bundesministerien sind, geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Frage von Anke Domscheit-Berg hervor. Den Rückstand der Verwaltungsdigitalisierung wie auch die starken Mittelkürzungen bezeichnet sie als Katastrophe. Die Ministerien auf Bundesebene planen die Digitalisierung ihrer eigenen Haushalte nun mit spärlichen Mitteln. Insgesamt veranschlagen sie 18,8 Millionen Euro. Zum Vergleich: Im Vorjahr standen für die Umsetzung des OZG 377 Millionen Euro zur Verfügung.
Verwaltungsdigitalisierung für 18,8 Millionen Euro
Die 18,8 Millionen Euro setzen sich wie folgt zusammen: Neben den 3,3 Millionen Euro des BMI stehen 7,4 Millionen Euro des Wirtschafts- und 5,4 Millionen Euro des Finanzministeriums. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie das Bildungsministerium haben für 2024 jeweils 500.000 Euro für die Verwaltungsdigitalisierung übrig, das Landwirtschaftsministerium 625.000 Euro. Und das Bundesministerium für Gesundheit will die Digitalisierung seiner Verwaltung mit nur 190.000 Euro stemmen.
Zu stemmen sind neben großen Posten wie Sachausstattung und Softwareentwicklung auch die Wartung und Pflege von Software sowie Arbeitsstunden, die dafür unter Umständen extra anfallen. Auch die Bemühungen, die Abhängigkeit von großen Software-Herstellern zu lösen und Open-Source-Software einzusetzen, stehen auf wackeligen Füßen. Das eigens dafür gegründete Zentrum für digitale Souveränität (ZenDiS) kann nur noch auf 25 Millionen Euro zugreifen, gut die Hälfte der ursprünglichen Mittel von 48 Millionen Euro.
Ob das wirklich alles ist, was die Ministerien investieren können, wird aber aus der Antwort des Finanzministeriums nicht ganz klar: „Im haushalterischen Kontext werden die Begriffe ‚OZG-Umsetzung‘ und ‚Digitalisierung der Verwaltung‘ synonym gebraucht“, heißt es dort. „Verwaltungsdigitalisierung“ sei nicht eindeutig definiert, eine klare „Abgrenzung zu anderen Ausgaben“ nicht möglich.
Wie wichtig es sei, die öffentliche Verwaltung schnell und gut zu digitalisieren und diese Aufgabe als Priorität anzuerkennen, sei vielen Ministerien noch nicht klar, sagt Domscheit-Berg. „Weil die eine Hand nicht weiß, was die andere macht, und weil es an zentraler Steuerung, verbindlichen Zielen und gemeinsamen Prozessen fehlt, kommen wir auch in diesem Jahr vermutlich keinen Meter voran.“
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Author: Esther Menhard