Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.
Dass rechtsradikale Inhalte und Personen in sozialen Medien enormen Anklang erfahren, ist zutiefst beunruhigend. Da ist es nachvollziehbar, dass technische Maßnahmen quasi per Knopfdruck unsere Demokratie retten sollen. Doch es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, diesen Inhalten etwas entgegenzusetzen.
AfD, US-Wahl, Russland und Nahost: Die Rolle von sozialen Medien im politischen Diskurs wird zurzeit heiß debattiert. TikTok, die Plattform des chinesischen Tech-Konzerns ByteDance, steht dabei im Fokus. Ihr wird vorgeworfen, zu wenig für den Jugendschutz und gegen die Verbreitung illegaler Inhalte zu unternehmen.
Damit könnte TikTok gegen den Digital Services Act (DSA) verstoßen, der seit dem 17. Februar EU-weit für alle Online-Plattformen sowie für Internetanbieter und Hosting-Unternehmen gilt. Unter anderem deswegen hat die EU nun ein formelles Verfahren eingeleitet, in dem die Vorwürfe geprüft werden sollen.
Fast 21 Millionen Menschen nutzen TikTok laut eigenen Angaben allein in Deutschland. Weltweit sind es rund 1,5 Milliarden. Der Filter- und Sortieralgorithmus von TikTok begünstigt Inhalte, die polarisieren. Darunter auch Content, der Desinformation und populistische Thesen sowie strafrechtlich relevante Inhalte wie Volksverhetzung und Verleumdung beinhaltet.
TikTok profitiert von dieser Content-Ausspielung, da die Plattform so mehr Menschen zu Interaktionen bewegen kann. Sie verbringen dann mehr Zeit auf der Plattform und konsumieren mehr Werbung.
„Echte Männer sind rechts“
Besonders die AfD weiß dies für sich zu nutzen, wie neue Untersuchungen zeigen. Der Politologe Johannes Hillje hat das Angebot der AfD mit jenen der im Bundestag vertretenen Parteien verglichen. Demnach erreichen AfD-Accounts auf TikTok mehr Interaktionen als die Accounts der anderen fünf Parteien zusammen. Auch auf den Plattformen YouTube, Instagram und Facebook sei der Vorsprung der AfD gegenüber den anderen Parteien enorm. „Die AfD hat die effektivste Social-Media-Kommunikation unter den Parteien“, so Hilljes Fazit. Denn die Partei sei besonders erfolgreich darin, die Emotionen der Nutzer:innen anzusprechen und so Reichweite zu generieren.
Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, postete zum Beispiel: „Echte Männer sind rechts. Echte Männer sind Patrioten“. In einem anderen Video sagt Krah: „Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher. Wir haben allen Grund, stolz auf unser Land zu sein und auf die Menschen, die es aufgebaut haben“. Beide Videos wurden hunderttausendfach angeschaut.
Ein Account, der sich „mutzudeutschland“ nennt, veröffentlichte den Ausschnitt einer Bundestagsrede von Alice Weidel, Co-Vorsitzende der AfD. Sie zitiert darin den ehemaligen tschechischen Präsidenten Miloš Zeman: „Falls Sie in einem Land leben, in dem sie für das Fischen ohne Anglerschein bestraft werden, jedoch nicht für den illegalen Grenzübertritt ohne gültigen Reisepass, dann haben Sie das volle Recht zu sagen: Dieses Land wird von Idioten regiert.“ Mehr als 10 Millionen Menschen haben das Video gesehen, knapp 770.000 Likes und mehr als 11.000 Kommentare hat es erzielt. Der Tenor in der Kommentarspalte: „Alice Weidel für Bundeskanzlerin“, „Ich mag sie einfach“, „Das ist mal eine Aussage, perfekt“ oder auch „Alice Weidel = wahre Worte, aber leider nicht ganz die richtige Partei“.
Jugendliche als Zielgruppe
Solche Ausschnitte aus AfD-Reden – meist versehen mit Effekten, peppigen Sounds und Stickern – finden sich massenweise auf TikTok. Für Postings dieser Art würden die AfD-Abgeordneten ihre Reden in den Parlamenten gezielt strukturieren, meint Hillje. Sie bündeln prägnante Zitate in Abschnitten von 60 bis 90 Sekunden, die dann als Kurzclips hochgeladen werden können.
Die AfD spricht damit vor allem Jugendliche an. „Die TikTok-Reichweite der AfD ist ihr Schlüssel zur jungen Wählerschaft“, so Hillje. Bei der Bundestagswahl 2021 erhielt die in Teilen als „gesichert rechtsextrem“ geltende Partei unter Erstwählenden zwar „nur“ sechs Prozent der Stimmen. Bei den letzten Landtagswahlen in Hessen und Bayern lag sie in der gleichen Zielgruppe aber bereits bei 15 beziehungsweise 16 Prozent.
Keine Bühne dem Rechtsextremismus
Macht das TikTok zu einer Gefahr für die Demokratie? Gefährlich wird es für unsere Demokratie immer dann, wenn Rechtsradikale eine Bühne finden, auf der sie ihre demokratiefeindliche Hetze und Desinformation unwidersprochen verbreiten können.
Dass das nicht nur in sozialen Medien der Fall ist, zeigte Markus Lanz Anfang Februar in seiner Sendung eindrucksvoll. Lanz hatte den AfD-Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla eingeladen. Während des 75-minütigen Gesprächs schaffte Lanz es nicht, den Populisten zu enttarnen, sondern pflichtete ihm sogar noch bei. Auch bei Sandra Maischberger und im Deutschlandfunk war Chrupalla in den vergangenen Wochen zu Gast.
Eine wehrhafte Demokratie kann rechtsradikale Meinungen verkraften – wenn sie sich dagegen wehrt. Diese Meinungen müssen nicht „ausgehalten“, sondern ihnen muss widersprochen werden. Ihre Vertreter:innen dürfen nicht in Talkshows eingeladen werden. Sondern deren Lügen müssen enttarnt werden. Geradezu brandgefährlich aber ist es, wenn rechtsradikalen Haltungen zu viel Raum zugestanden wird – sei es in öffentlich-rechtlichen Medien oder auf TikTok. Und eben das muss sich ändern.
Etwas muss sich ändern – aber was genau?
Anfang Februar forderte der CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Steiniger eine strengere Regulierung von TikTok. Konkret brauche es laut Steiniger ein „konsequenteres Meldewesen“ und Faktenchecks unter einzelnen Videos. Darüber hinaus müsse der Sortieralgorithmus so umgebaut werden, dass er das gesamte politische Spektrum abbildet. Außerdem hält Steiniger eine Klarnamenpflicht für notwendig. Und wenn die Regulierung nichts bewirke, dann „muss auch das Instrument des TikTok-Verbots auf den Tisch“, so der Abgeordnete.
Ein „leicht zugängliches und benutzerfreundliches“ Meldewesen müssen Plattformen wie TikTok seit dem vollständigen Inkrafttreten des DSA anbieten. Das bedeutet unter anderem, dass Nutzer:innen, die einen Beitrag gemeldet haben, fortan über das Ergebnis der anschließenden Prüfung benachrichtigt werden. Und auch die Person, deren Beitrag gelöscht oder deren Account gesperrt wird, muss von nun an darüber umfassend informiert werden. Die bislang undurchsichtigen Moderationsvorgänge sozialer Medien sollen so transparenter werden. Gemeldete Inhalte, die nach Einschätzung des Betreibers mutmaßlich einen Straftatbestand erfüllen, müssen die Plattformen hierzlande an das Bundeskriminalamt weiterleiten.
Nicht jedes Mittel gegen Rechts ist recht
Faktenchecks sind ein sinnvolles Mittel gegen Desinformation. Nicht strafrechtlich relevante Falschinformationen zu löschen, ist äußert heikel – und bedeutet im schlimmsten Fall Zensur. Wenn mutmaßlich illegale Inhalte jedoch konsequent gemeldet und geprüft werden, betrifft das mitunter auch Falschinformationen: Nämlich dann, wenn sie die Persönlichkeitsrechte Anderer verletzen. Etwa indem sie Verleumdung, üble Nachrede oder Beleidigungen beinhalten. Auch Inhalte, die volksverhetzend sind, die Shoah leugnen oder das NS-Regime verherrlichen, sind in Deutschland strafbar.
Eine konsequente Strafverfolgung illegaler Inhalte ist ein wichtiges Mittel im Kampf gegen Rechtsradikalismus – auch in den sozialen Medien. Dazu wird immer wieder auch eine mögliche Klarnamenpflicht ins Spiel gebracht. Die Annahme: Wenn Nutzer:innen eindeutig identifizierbar sind, hält sie das davon ab, Straftaten zu verüben – und wenn sie es doch tun, könnten sie schnell zur Rechenschaft gezogen werden.
Die erste Annahme ist zumindest strittig. Denn NS-relativierende Aussagen wie Max Krahs „Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher“ werden zum einen zuhauf unter Klarnamen im Internet gepostet. Zum anderen gefährdet der Zwang zum Klarnamen die Meinungsfreiheit von unterdrückten Minderheiten, die aus Sorge vor politischer Verfolgung dann lieber schweigen. Gleiches gilt für all jene, die sich gegen Rechtsradikale engagieren und dann Attacken aus diesem Milieu fürchten müssen. Und auch Opfer von Gewalttaten, die ihre Erfahrungen online teilen, müssten unter Umständen um ihre Sicherheit fürchten, wenn sie dabei nicht mehr anonym wären. Eine Klarnamenpflicht gefährdet daher eher den öffentlichen demokratischen Diskurs als ihn zu stärken.
Technik macht keine Demokratie
Dass auf TikTok vor allem populistische und rechtsradikale Inhalte erfolgreich sind, liegt aber nicht nur am Algorithmus, meint Hillje: „Es mangelt den anderen Parteien an einer effektiven Social-Media-Kommunikation.“ Mit einer besseren Ansprache könnten auch demokratische Parteien auf TikTok Reichweite erzielen – indem sie ihre Beiträge an Plattform und Publikum anpassen.
Das bedeutet, auch in sachlichen Videos direkt an die Werte der Nutzer:innen zu appellieren – ohne Scheu zu haben, dabei auch Emotionen einzusetzen. Das müssen nicht Angst oder Wut sein: „Mit denen arbeitet die AfD. Aber es gibt auch demokratische Emotionen“, meint Hillje. Er findet: „Die Emotionsaversion von demokratischen Parteien ist fatal. Emotionalisierung wird gerade im linksliberalen Milieu mit Entsachlichung gleichgesetzt. Aber Menschen denken Politik per se emotional.“
Es liegt also in der Hand aller Demokrat:innen – und besonders in denen der Vertreter:innen demokratischer Parteien – soziale Medien so zu nutzen, dass der Populismus seine bestehende Übermacht verliert. Das heißt: jugendgerechten Content schaffen, soziale Medien nicht als unwichtig für den politischen Diskurs zu verkennen und die eigene Kommunikationsstrategie auf Vordermann bringen.
Den Rechtsradikalen die Selbstsicherheit nehmen
Dass rechtsradikale Inhalte und Personen in sozialen Medien zuweilen enormen Anklang erfahren, ist zutiefst beunruhigend. Die Schuld dafür liegt aber nicht allein beim Internet. Sie liegt bei denjenigen, die sich als demokratisch bezeichnen, aber bei jeder Gelegenheit mit rechtsradikalen Parolen auf Wähler:innenfang gehen. Sie liegt bei einem Schulsystem, das seinem politischen Bildungsauftrag immer weniger gerecht wird. Sie liegt bei Abgeordneten, die Rechtsradikale zu Landesverfassungsrichtern wählen. Und sie liegt bei allen, die das System, in dem wir leben, für selbstverständlich erachten.
Auf TikTok und Co. zeigt sich deutlich, wie selbstsicher die politische Rechte in Europa geworden ist. Diese Selbstsicherheit speist sich auch aus politischer Macht: In kaum einem Parlament ist der rechte Rand nicht mehr vertreten. Den Rechtsradikalen diese Macht und Selbstsicherheit wieder zu nehmen und insbesondere Jugendliche vor Radikalisierung zu schützen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Mit technischen Maßnahmen können wir unsere Demokratie nicht retten. Sie können uns bestenfalls dabei helfen. Deshalb ist es die Aufgabe aller, denen etwas an der Demokratie liegt, sie zu verteidigen. Das kann bedeuten, sich an Demonstrationen zu beteiligen, problematische Inhalte in den sozialen Medien zu melden, rechtsradikale Meinungen zu entlarven, statt dazu beizutragen, dass sie sich immer weiter verbreiten. Denn wie heißt es so treffend: „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf“.
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Author: Carla Siepmann