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Breakpoint: Gefilterte Schönheit

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Der Körper gehört einer Frau: große Brüste, knackige Hintern, wohlgerundete Oberschenkel. Das süße Lächeln passt eher zu einer 15-Jährigen. Alles eine Frage von Filtern, aber das Problem liegt woanders.
Keine Pickel, glatte Haut, jugendliches Aussehen. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Sunny NgLange Beine, volles Haar, makellose Haut und auf Wunsch auch zwanzig Jahre jünger: Ohne große Umstände kannst auch du so aussehen. Zumindest auf TikTok. 
Dass Menschen durch Filter und Bildbearbeitung im Handumdrehen einem sonst unerreichbaren Schönheitsideal entsprechen können, ist nichts Neues. Schon als ich noch in die Grundschule ging, haben meine Mitschüler:innen und ich uns mit Hilfe von Snapchat, einem damals sehr beliebten Hybrid aus Messenger und sozialem Medium, Hundeohren, Katzennasen und alberne Brillen auf unsere Gesichter montiert. Das ist mittlerweile sechs Jahre und länger her, Snapchat ist heute zurecht in der Bedeutungslosigkeit versunken. Die Filter und Montagewerkzeuge sind es nicht. 
Damals waren unsere gefilterten Bilder noch gut von den ungefilterten zu unterscheiden; denn uns wuchsen nicht wirklich Hundeohren und nur einige trugen alberne Brillen. Auch die Selfies mit den purpurnen Wangen, übergroßen, feuerwehrroten Lippen und Wimpern, die an den Augenbrauen glitchten, waren selbst für uns Grundschüler:innen einfach als bearbeitet zu enttarnen. 
Keine Lippe mehr, die am Kinn klebt
Die aktuellen Filter auf TikTok hingegen sind kaum mehr als solche zu erkennen: Wo auf Fotos früher noch eine falsche Bewegung dazu führte, dass die Lippen plötzlich am Kinn klebten, kann in Videos heute das Gesicht betastet und gedreht werden – ohne dass die gerade erst neugewonnene Gesichtsstruktur, Hautton und Augenbrauenform wieder verloren geht.
Im Februar dieses Jahres erregte TikTok mit einem neuen, hyperrealistischen Filter namens „Bold Glamour“ Aufmerksamkeit: Der neue Filter passt sich dem Gesicht nahezu perfekt an und kann auch auf den zweiten Blick lediglich für starkes Make-Up gehalten werden. Aber er verändert mehr als es herkömmliche Schminke jemals könnte: Das Gesicht bekommt eine neue Knochenstruktur und ganz andere Gesichtsmerkmale.  
Auf TikTok finden sich tausende Videos davon, wie Frauen verblüfft ihre Gesichter betasten, ihre Lippen bewegen, die Stirn runzeln – und dabei nichts vom „Bold Glamour“ verlieren: Zumindest so lange sie noch auf TikTok sind.
Abseits der Kamera wirkt der Filter nicht
Auch ich habe schon 2016 viel lieber das Selfie mit den Teufelshörnern und dem coolen schwarz-weiß-Filter geteilt. Denn auf dem echten Foto sah ich „leider“ so aus wie man mit elf nun mal aussieht: keine perfekte Haut, einige Pickel, keine roten Lippen – und auch keine Hörner. 
So groß die Freude über das eigene fabelhafte Aussehen ist, so groß kann die Enttäuschung über die Selbsttäuschung sein: Denn abseits der TikTok-Kamera entspricht kaum jemand dem klassischen Schönheitsideal. 
Ebenfalls im Februar veröffentlichte TikTok einen neuen Filter, der so neu gar nicht ist: Den „Teenage Look“-Filter. Der Filter verspricht, Gesichter jeden Alters wie das eines Teenagers aussehen zu lassen. Filter, die ein Gesicht beliebig altern oder verjüngen lassen, gab es schon als ich noch Bruchrechnen gelernt habe. Anders als meine Fähigkeit zum Multiplizieren und Dividieren von Brüchen haben sich die sogenannten Age-Filter seitdem jedoch weiterentwickelt: Inzwischen können sie auch live und in Videos angewendet werden und die gefilterten Gesichter wirken um einiges realistischer als ihre Vorgänger aus den 2010er Jahren. 
Viele Nutzer:innen führten in den letzten Monaten auf TikTok vor, wie sie mit dem „Teen-Filter“ aussehen – mal schienen die User:innen verwundert, mal erfreut, mal schockiert. Neben diesen Videos häufen sich auch freizügige Fotos von erwachsenen Frauen, auf denen Köpfe mit den Gesichtern von Jugendlichen sitzen. Ihr Alter könnte man auf 14 oder 15 Jahre schätzen, die Fotos haben teilweise hunderte von Likes.
Idealisierte weibliche Jugend
Die Idealisierung weiblicher Jugend ist älter als jeder Filter: Keine Körperbehaarung, keine Falten, volles Haar ohne graue Strähnen und bloß keine Cellulite, Dehnungsstreifen – oder jegliche andere lästige Zeichen des Erwachsenseins.
So sieht der Idealtyp „Frau“ aus, der einem auf Werbefotos und -clips mit makellos-weißen Zähnen entgegenlächelt. Ein Idealtyp, bei dem Jugend sexualisiert wird. Dass täuschendechte Filter versuchen, dieser unnatürlichen Blaupause so nahe wie möglich zu kommen, ist keine Überraschung. Es ist aber eine weitere Erinnerung daran, welche überzogenen Erwartungen an den weiblichen Körper gestellt werden.
In sozialen Medien können alle ihr Online-Aussehen nach Belieben digital verändern und wir werden so immer öfter mit dem unerreichbaren Ideal konfrontiert. Das ist insbesondere für junge Nutzer:innen gefährlich: Denn noch mehr als Erwachsenen fällt es Kindern oftmals schwer, Filter und Bildbearbeitung als solche zu erkennen. Zudem sind die Filter realistischer und präsenter im Alltag als sie es früher waren: Kaum noch eine Influencerin verwendet keine Filter.
Schönheitsideale sind menschengemacht
Dadurch können sich unrealistische Schönheitsideale für alle Geschlechter weiter etablieren. Plastische Chirurg:innen warnen beispielsweise davor, dass immer mehr Jugendliche ihr Aussehen operativ verändern lassen möchten – um im echten Leben genau so auszusehen wie es online möglich ist.
Eine Filterkennzeichnungspflicht, wie sie unter anderem von den Gleichstellungsminister:innen der Länder 2022 vorgeschlagen wurde, würde das Problem jedoch nicht lösen: Da Schönheitsideale menschengemacht sind, können sie auch nur sozial gelöst werden – und nicht technisch. Schließlich sind es Menschen, die die Filter designen, und es sind Menschen, die sie nutzen.
Eine Kennzeichnung eines Fotos als bearbeitet oder gefiltert wird nicht dafür sorgen, dass junge Mädchen und Jungen aufhören, einem omnipräsenten Ideal nachzueifern. Denn die oft weiblichen Nutzer:innen beugen sich lediglich einem überschwerem sozialem Druck. Dass sie diesen Druck an andere weitergeben, indem sie selbst gefilterte Fotos und Videos teilen, ist nicht ihre Schuld.
Was eine Kennzeichnungspflicht tun könnte, wäre, die Symptome des Schönheitswahns zu lindern: Die Kennzeichnungen würden den Kindern und Jugendlichen helfen, echte von bearbeiteten Bildern zu unterscheiden. Dass optische Ideale mit anderen Mitteln wie extremen Diäten und Make-up propagiert und verfolgt werden, würden sie aber nicht verhindern.
Das Problem ist der Druck
Krasse Schönheitsideale wie das der weiblichen Jugend sind gesellschaftlich weitestgehend akzeptiert. Sie bestanden schon, als ich mir mit Snapchat-Filtern noch Hundeohren zugelegt habe – und lange davor. Täuschend echte, moderne Beautyfilter sind ein Symptom dieser oftmals schädlichen Ideale, aber nicht ihre Ursache – daher wird ihre verpflichtende Kennzeichnung auch nicht dazu führen, dass der gesellschaftliche Druck verschwindet, im klassischen Sinne „schön“ zu sein.
Was es braucht, ist ein stärkeres soziales Bewusstsein für diesen bestehenden Druck und seine Ursachen. Wenn es kein vorherrschendes und unnatürliches Schönheitsideal mehr gibt, werden auch Filter ihren Reiz verlieren. Denn dann wird es möglich sein, auch ohne sie „perfekt“ zu sein – indem Menschen so aussehen, wie sie es wirklich tun.

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Author: Carla Siepmann

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