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Big Data bei den Geheimdiensten: Die Ampel muss automatisierte Analysen begrenzen

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Big Data bei den GeheimdienstenDie Ampel muss automatisierte Analysen begrenzen

Über den Einsatz automatisierter Datenanalysesoftware durch Bundespolizei und BKA wird intensiv gestritten. Die Nachrichtendienste bleiben bei dieser Debatte außen vor. Dabei nutzen sie solche Werkzeuge seit vielen Jahren ohne ausreichende rechtliche Beschränkungen – mit potenziell schweren Folgen für unsere Grundrechte.


Gastbeitrag, Corbinian Ruckerbauer und Lilly Goll – in Überwachungkeine Ergänzungen
Geheimdienstmitarbeiter bei der Big-Data-Analyse. Symbolbild. – Public Domain Midjourney

Corbinian Ruckerbauer und Lilly Goll arbeiten für den Berliner Think Tank interface (ehemals Stiftung Neue Verantwortung). Im Programm Digitale Grundrechte, Überwachung und Demokratie beschäftigen sie sich mit der rechtsstaatlichen Kontrolle von Nachrichtendiensten. Im Rahmen einer Impulsreihe zur anstehenden Reform des Nachrichtendienstrechts, haben sie kürzlich ein Papier zur Nutzung von Big Data durch Geheimdienste erstellt.


Die Ampelkoalition will BKA und Bundespolizei zukünftig erlauben, Programme zur automatisierten Datenanalyse einzusetzen. Der wahrscheinlich bekannteste Anbieter für solche Software, die von Sicherheitsbehörden zur Auswertung großer Datenmengen genutzt wird, ist das US-Unternehmen Palantir. Mehrere Bundesländer nutzen Software dieses Unternehmens – für die Bundesebene soll Berichten zufolge eine andere Lösung bevorzugt werden.

Aber nicht nur Polizeibehörden nutzen in Deutschland solche Tools. Auch deutsche Nachrichtendienste setzen sie ein, um aus großen Datenmengen relevante Informationen herauszufiltern. Warum sie das tun, ist erst einmal einleuchtend: Ihre Arbeit kann dadurch effektiver werden, bisher verborgene Informationen über Gefährdungslagen sind im Zweifelsfall schneller sichtbar.

Doch der Einsatz hochpotenter Analysetools hat seinen Preis. Wer sie einsetzt, kann sensible Informationen zu Tage fördern, die tiefe Einblicke in die Privatsphäre von Menschen erlauben. Ein Grundsatz unseres demokratischen Rechtsstaats lautet: Solche schwerwiegenden Eingriffe in unsere Privatsphäre und in andere Grundrechte sind nur dann rechtens, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, hierfür die notwendigen Sicherungsmaßnahmen zu schaffen.

Deutsche Nachrichtendienste arbeiten seit 2014 mit solchen Werkzeugen

Der Gesetzesentwurf über den Einsatz solcher Analysetools bei der Polizei ist umstritten. Kritische Stimmen bemängeln unter anderem die weit gefasste Befugnis, die viele Anwendungsfälle und immense Datensammlungen umfasst, die niedrigen Eingriffsschwellen, sowie die mangelhafte datenschutzrechtliche Kontrolle. So umstritten dieser Gesetzesentwurf ist: Er erkennt zumindest grundsätzlich an, dass solche schweren Grundrechtseingriffe eine gesetzliche Grundlage und bestimmte Sicherungsmaßnahmen benötigen.

Blickt man auf die Nachrichtendienste, ergibt sich ein völlig anderes Bild. Der Gesetzgeber verschließt die Augen vor der Tatsache, dass die Anwendung solcher Analysetools tief in Grundrechte eingreift. Und das, obwohl deutsche Dienste schon mindestens seit 2014 mit solchen Werkzeugen arbeiten.

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Im Jahr 2015 berichtete netzpolitik.org über interne Haushaltspläne des Bundesverfassungsschutzes. Demnach richtete der Dienst Referate ein, die diese Fähigkeiten aufbauen sollten. Beispielsweise sollte ermöglicht werden, anhand von Verkehrsdaten aus der Fernmeldeaufklärung detaillierte Kommunikations- und Beziehungsnetzwerke zu erstellen.

Verkehrsdaten ermöglichen Bewegungs-, Persönlichkeits-, und Verhaltensprofile

Solche Verkehrsdaten genießen einen deutlich geringeren rechtlichen Schutz als die Inhalte der erfassten Kommunikationsvorgänge. Sie enthalten aber mitunter genauso sensible Informationen – vor allem wenn die Behörden leistungsfähige Technologien einsetzen, mit denen sie aus großen Datenmengen neue personenbezogene Informationen generieren können.

Die Nachrichtendienste können solche Technologien nicht nur zum Erstellen von Kommunikations- und Beziehungsnetzwerken, sondern auch für andere Zwecke nutzen. Abhängig von den vorhandenen Daten können die Dienste beispielsweise auch Bewegungs-, Persönlichkeits- oder Verhaltensprofile erstellen. Auch könnten solche Anwendungen eingesetzt werden, um statistische Besonderheiten zu erkennen oder Prognosen über das Verhalten von Personen zu treffen.

Zur Veranschaulichung: Kaufen Nachrichtendienste große Mengen von Bewegungsdaten, wie sie von Datenhändlern angeboten werden, können Sie mit der geeigneten Software sensible Informationen daraus generieren. Welche Menschen hat die beobachtete Person getroffen, an welchen Demonstrationen nimmt sie teil und welche Ärzt:innen sucht sie auf. Betroffen sind meist nicht nur einzelne Personen. Wegen der großen Datenmengen, die moderne Analysetools bewältigen können, ist eine große Anzahl von Menschen berührt, deren Verhalten dazu keinerlei Anlass gegeben hat. Damit erhöht sich der Überwachungsdruck.

Potenzielle Einschüchterung

Das kann einschüchternd wirken – so sehr, dass Menschen möglicherweise davor zurückschrecken, ihre Freiheitsrechte wahrzunehmen. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Gefühl allgegenwärtig möglicher Überwachung sich negativ auf demokratische Prozesse und das Vertrauen der Bürger:innen in den Staat auswirkt.

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Zudem wächst die Menge an verfügbaren Daten immer weiter, je mehr digitale Technologien in alle Lebensbereiche vordringen. Und die Nachrichtendienste erschließen neue Quellen zur Beschaffung großer Datenmengen.

Blackbox selbstlernende Algorithmen

So kaufen sie zum Beispiel Daten aus dem Werbemarkt oder erfassen systematisch öffentlich zugängliche Daten – ohne dass die gleichen Voraussetzungen gelten wie für traditionelle Erhebungsmethoden wie die Fernmeldeaufklärung. Außerdem steigt auch die Leistungsfähigkeit der Datenanalysetools und die verfügbare Rechenkraft.

Und noch etwas kommt beim Einsatz automatisierten Datenanalysetools hinzu: Je komplexer die Analyse, desto schwerer lässt sich nachvollziehen, was da eigentlich wie analysiert wurde. Das gilt insbesondere dann, wenn selbstlernende Algorithmen zum Einsatz kommen. Dieser Blackbox-Effekt erschwert die Kontrolle durch unabhängige Stellen und den Zugang zu effektivem Rechtsschutz gegen den missbräuchlichen Einsatz für die Betroffenen.

All diese Faktoren verschärfen die Grundrechtseingriffe, die mit dem Einsatz solcher Technologien verbunden sind. So sah es im vergangenen Jahr auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Einsatz von Big Data durch Landespolizeien. Damit der Einsatz dennoch mit dem Grundgesetz vereinbar ist, sind zwei Dinge nötig: Zunächst einmal braucht es eine spezifische gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Darüber hinaus müssen Vorkehrungen getroffen werden, die sicherstellen, dass der Eingriff verhältnismäßig bleibt.

Es braucht eine verfassungskonforme rechtliche Grundlage

Dass die Nachrichtendienste danach streben, ihre Fähigkeiten zur Informationsbeschaffung immer weiter zu verbessern, ist nachvollziehbar. Es ist gewissermaßen Teil ihres Arbeitsauftrags. Doch auch dem Gesetzgeber kommt in diesem Zusammenhang ein Auftrag zu: Er muss den gesetzlichen Rahmen weiterentwickeln, um zu gewährleisten, dass die Arbeit der Nachrichtendienste mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Genau das ist der Gesetzgeber den Bürger:innen aber bisher schuldig geblieben. Das Recht hinkt der Realität des Einsatzes hinterher. Hier muss die Ampelkoalition deshalb dringend handeln: Sie sollte die anstehende Reform des Nachrichtendienstrechts nutzen und die Praxis der automatisierten Datenanalyse endlich auf eine verfassungskonforme rechtliche Grundlage stellen.

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