Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.
Eine Bezahlkarte für Asylsuchende ohne eigenes Konto könnte ein Weg zu mehr Teilhabe sein. Doch die Bundesländer machen aus dem Zahlungsmittel ein Instrument für mehr Kontrolle und vermeintliche Abschreckung.
Wer in Deutschland einen Asylantrag stellt, soll einen Teil der staatlichen Leistungen in Zukunft über eine Bezahlkarte bekommen. 14 der 16 Bundesländer wollen dafür ein gemeinsames Vergabeverfahren starten, nur Bayern und Mecklenburg-Vorpommern gehen einen eigenen Weg. Das gab die hessische Staatskanzlei am Mittwoch bekannt. Sie leitete eine Arbeitsgruppe der Länder, die bundesweite Standards erarbeiten sollte.
Diese Standards gibt es nun, bis Sommer sollen Aufträge vergeben werden. Gemeinsam soll den Karten sein, dass sie nicht an ein Konto gebunden sind, sondern als Debit-Karten funktionieren. Das heißt: Die Kommunen können Guthaben auf die Karte laden, anstatt den Asylsuchenden etwa Bargeld oder Gutscheine auszuzahlen. Dabei geht es um Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die bekommen etwa Geflüchtete im laufenden Asylverfahren.
Einig sind sich die Länder auch darin, dass niemand sonst Geld auf die Karte oder von der Karte überweisen können soll. Sie sollen auch nicht im Ausland nutzbar sein. Hessens Ministerpräsident Boris Rhein sagt, damit unterbinde man, „Geld aus staatlicher Unterstützung in die Herkunftsländer zu überweisen“. Die Behauptung ist, das bekämpfe „die menschenverachtende Schlepperkriminalität“.
Darüber hinaus haben die einzelnen Länder jedoch viel Spielraum. Sie können die Karte zum Beispiel geografisch einschränken, einzelne Branchen ausschließen oder festlegen, wie viel Bargeld damit abgehoben werden kann. Es ist absehbar, dass einige Bundesländer genau das planen. Dass Södersche „Leberkäse ja, Alkohol nein“ ist die wohl bekannteste Äußerung diesbezüglich. Was bedeutet das und wie ist das technisch möglich?
Welche Einschränkungen möglich sind
Jörg Schwitalla hat die SocialCard entwickelt, die bereits in Hannover und im Ortenaukreis eingesetzt wird. Schwitalla arbeitete vorher am Bezahlverfahren GiroPay, er hat lange Jahre Erfahrungen mit elektronischen Bezahlmöglichkeiten. Er sagt: „Die Geschichte von Einschränkungen und Beschränkungen ist eine Geschichte voller Missverständnisse.“ Gewisse Dinge könne man einschränken, andere nicht. In der aktuellen politischen Diskussion seien „viele Forderungen dabei, die für kartenbasierte Lösungen unerfüllbar sind“.
Für die Anbieter von Bezahlkarten wie der SocialCard ist es etwa nicht möglich zu sehen, was genau eine Person mit der Karte kauft. „Zigaretten oder Alkohol auszuschließen, das geht nicht“, so Schwitalla im Gespräch. Was aber möglich ist: „Wir können Branchencodes ausschließen.“
Das bestätigt auf Anfrage auch Adrian von Nostitz von givve, einer anderen Bezahlkartenlösung, die in Greiz zum Einsatz kommt: „Unsere Bezahlkarte ist technisch so konzipiert, dass entweder ganze Händlerkategorien, wie beispielsweise Glücksspiel, oder nur einzelne bestimmte Händler ausgeschlossen werden können.“
Schneemobile, Hotels und Supermärkte
Realisiert wird das über „Merchant IDs“ für einzelne Händler und „Merchant Category Codes“ für ganze Branchen. Geschäfte, die Kartenzahlungen abwickeln, bekommen einen solchen, standardisierten vierstelligen Ziffern-Code zugeordnet. Die Liste an Codes und Branchen ist lang. Die 5598 steht etwa für Schneemobil-Händler, die Hotelgruppe Hilton hat mit der 3504 einen eigenen Code, Buchläden laufen unter der 5942, Supermärkte unter 5411.
Das bedeutet: Es ist nicht möglich, technisch auszuschließen, dass jemand in einem Supermarkt Bier kauft. Höchstens, dass er das in einer Bar mit der Kennung 5813 tut. Markus Söders Leberkäse-Bier-Fantasie ist demnach praktisch nicht umsetzbar, zumindest nicht auf technischer Ebene. Ende der 1990er Jahre brauchte es für ähnliche, zweifelhafte Einschränkungen bei Bezahlkarten in Berlin das Kassenpersonal zur Erfüllungshilfe.
Eine regionale Einschränkung können die Kartenanbieter über Postleitzahlen umsetzen. Von Nostritz schreibt dazu: „Grundsätzlich ist die örtliche Eingrenzung auf mehrere Orte und Gemeinden, kreisfreie Städte oder Landkreise, Bundesländer oder eben auf ganz Deutschland möglich.“ Greiz hat das bei der dortigen givve-Karte getan, die SocialCard aus Hannover ist dagegen in ganz Deutschland gültig.
Teilhabe technisch möglich, aber politisch nicht gewollt
Zusammengefasst bedeutet das: Eine Bezahlkarte kann niemals ein dauerhafter Ersatz für ein eigenes Konto sein. Sie kann aber eine Übergangslösung bieten, wenn sie nicht zusätzlich beschränkt wird. Ähnlich war laut Schwitalla auch der Gedanke bei der Konzeption der SocialCard: „Nach ihrer Ankunft in Deutschland gehen Asylbewerber in der Regel nicht direkt zu einer Bank, um ein Konto zu eröffnen. Da ist eine Bezahlkarte eine Lösung, um die bargeldbehafteten Auszahlungen zu digitalisieren.“
Außerdem gibt es bei der Bank oft Verzögerungen, wenn die nötigen Unterlagen zur Kontoeröffnung noch nicht beisammen sind. Die Karte könne dann „eine Entlastung für die Verwaltungen und eine Möglichkeit der integrative Teilhabe für die Nutzer“ sein, so Schwitalla. In Hannover scheint das zu funktionieren, die Stadt berichtet von guten Erfahrungen.
Karten der Abschreckung
Während die Verwaltungsentlastung in den politischen Diskussionen immer wieder erwähnt wird, ist vom Grundgedanken der Teilhabe offenbar in der bundesweiten Diskussion nicht viel übrig geblieben. In Statements von Bundes- und Landespolitiker:innen geht es vor allem um Abschreckung und Kontrolle: Deutschland soll durch die eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten möglichst unattraktiv für Flüchtende werden. Die Bezahlkarte wird so zum Diskriminierungsinstrument gemacht, das menschenrechtliche Standards missachtet, kommentiert etwa Pro Asyl.
So hieß es etwa aus dem thüringischen Greiz, dass die Bezahlkarte bereits „Wirkung zeige“, die ersten Menschen seien nach der Einführung abgereist. Warum die Menschen an dem entsprechenden Tag nicht zur Aufladung der Karte erschienen sind und ob sie wirklich „abgereist“ sind oder vielleicht mit einer Grippe im Bett lagen, ist nicht im Einzelnen nachvollziehbar. Auf unsere Nachfrage beim Behindertenverband Greiz bekamen wir keine Antwort. Dessen Geschäftsführerin Dagmar Pöhland hatte gegenüber BILD behauptet, es hätten wegen der Karten bereits im Dezember 15 Geflüchtete den Kreis verlassen.
Anmerkung: In einer früheren Version war der Vorname von Pöhland falsch. Das haben wir korrigiert.
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Author: Anna Biselli